Konrad Heiden: „Hitler rast“

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Im sogenannten „Röhm-Putsch“ im Jahr 1934 ließ das Hitler-Regime zum ersten Mal die bürgerliche Maske fallen und zeigte sein mörderisches Gesicht. Dass die Bevölkerung das damals nicht merkte, lag an der totalen Kontrolle der Medien durch die NSDAP sowie an der durchorganisierten Propaganda, die überhaupt erst den „Putsch“ des SA-Führers Ernst Röhm erfand. Das alles weiß man heute, und die Details sind in einer Flut einschlägiger Literatur recherchiert und analysiert worden.

Das vorliegende Buch stammt von dem Journalisten Konrad Heiden, der es 1934 im damals noch sicheren weil unter französischer Kontrolle stehenden Saarland unter dem Pseudonym Klaus Bredow verfasste. Stefan Aust hat diesem Mann in seinem Buch „Hitlers erster Feind“ ein Denkmal gesetzt. Der Herder-Verlag hat das vorliegende, lange vergriffene Buch jetzt wieder neu aufgelegt und um ein ausführliches Nachwort des Historikers Sven Felix Kellerhoff erweitert, der das Buch aus der heutigen historischen Sicht einordnet.

Was bei diesem Buch besonders auffällt, sind die Details der inneren Verfasstheit sowohl der NSDAP als auch der Hitler-Regierung im Jahr 1934. Das fällt umso mehr auf, als Konrad Heiden aus dem relativ entfernten Saarland recherchieren und berichten musste. Die Fülle an Informationen sind auch nur durch die Tatsache zu erklären, dass die nationalsozialistische Bewegung und vor allem die Person Hitler den Autor bereits seit 1922 fasziniert hatten und ihn während der ganzen Zeit danach jede verfügbare Information sammeln ließen. Das vorliegende Buch verfasste er dann nach dem berüchtigten 30. Juni 1934 in knapp drei Wochen.

Natürlich darf man aus den genannten Gründen nicht alles für bare Münze nehmen, was Konrad Heiden in der kurzen Zeit niedergeschrieben hat. Doch Historiker wie Kellerhoff geben ihm in seiner Analyse im Großen und Ganzen Recht, vor allem wo es um das Lügengebäude der Partei um die Röhm-Morde geht. Sieht man einmal von dem damals üblichen Schreibstil ab, liest sich das Buch wie ein Polit-Krimi, wobei sowohl die Abläufe als auch die Motivationen konsistent und nachvollziehbar dargestellt sind. Heiden hatte während seiner jahrelangen Beschäftigung mit der NS-Bewegung offensichtlich ein sehr gutes Gefühl für deren Denk- und Handlungsstrukturen entwickelt. Für den Leser eröffnet sich eine neue Welt, nämlich die der Zeitgenossen, die die Ereignisse unmittelbar erlebten und deuten mussten. Gerade heutige Leser begegnen dem Themenkomplex des Dritten Reiches mit dem Wissen von über siebzig Jahren historischer Forschung, hier aber berichtet jemand unmittelbar aus der Perspektive des mitleidenden Zeitgenossen. Dass Heiden zu dem Zeitpunkt von dem wahren Ausmaß der sich anbahnenden Katastrophe keine Vorstellungen hatte, übt bei der Lektüre einen besonderen Schauder aus. Und seine Prophezeiung einer kurzen verbleibenden Lebenszeit von Hitlers Regime sowie vom bevorstehenden Sieg des Sozialismus weckt noch ganz andere Assoziationen. Aber diese Voraussagen aus dem Jahr 1934 sind nachvollziehbar und stellen sogar sie etwas wie einen tröstlichen Optimismus dar, der leider in jeder Hinsicht nicht den späteren Tatsachen entsprach.

Trotz dieser leichten Einschränkungen stellt die Lektüre dieses Buches auch heute noch einen Gewinn dar, sofern man es nicht um der reinen Fakten willen liest.

Das Buch ist im Herder-Verlag erschienen, umfasst einschließlich Nachwort und Anmerkungen 159 Seiten und kostet 18 Euro.

Frank Raudszus

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