Es mag ein Zufall sein, dass die Premiere der Komödie „Jeeps“ von Nora Abdel-Maksoud am Staatstheater Darmstadt fast genau am hundertsten Todestag von Franz Kafka stattfand, wäre da nicht die sogartige Wirkung des Bühnenbildes von Wanda Traub, das sofort die Assoziation an Kafkas „Prozess“ weckt. Zwei lange Reihen grauer Aktenschränke täuschen durch geschickte Verengung eine für die Kammerspiele ungewöhnliche Bühnentiefe vor und erzeugen damit den Eindruck einer riesigen, abweisenden Bürokratie-Maschine. Wenn dann die beiden ersten Ensemble-Mitglieder von hinten in die ferne Enge einsteigen, wirken sie im ersten Augenblick wie riesenhafte Monster, was den Eindruck des Irrationalen noch verstärkt. Erst langsam stellen sich die menschlichen Sehorgane auf die optische Täuschung ein.
Doch die Ähnlichkeit mit dem Prager Dichter hält noch einige Zeit an. Der pedantische Gabor (Hisham Alnamer), Mitarbeiter der mit dem Bühnenbild gemeinten Arbeitsagentur, setzt sich umgehend an einen Tisch und beginnt in geradezu manischer Bürokratenmanier, Akten zu stempeln, während ihn seine extrovertierte Kollegin A(r)mina (Mariann Yar) mit einer Suada über alles und nichts permanent ablenkt und sich überdies als seine Vorgesetzte geriert. Dann erscheint am Rande der etwas verquere Bewerber Maurice (Sebastian Schulze), der so unterwürfig wie hinterhältig eine Erhöhung des Bürgergelds beantragen möchte. Man sieht, hier geht es um aktuelle Themen.
Soweit die konkrete Nähe zu Kafka; jetzt dreht die Geschichte jedoch ins Komödiantische, Slapstickhafte. Die Vorstellung von Handlung und Umgebung erfolgt eher wie eine groteske Revue, wobei neben dem Bürgergeld für Arme das Thema des Erbens im Vordergrund steht. Die Politik hat beschlossen, das Erbrecht zu revolutionieren und künftig die je anfallende Erbmasse öffentlich zu verlosen. Die entsprechenden Lose können hier bei der Arbeitsagentur beantragt werden.
Letzteres eröffnet viele Möglichkeiten des komödiantischen Lokalbezugs, und die Regie nutzt das auch weidlich, indem sie die Länge der Warteschlange mit bekannten Darmstädter Adressen beschreibt. Darüber hinaus wird von Anfang an klargestellt, dass es hier nicht um einen todernsten, an den gesellschaftlichen Sachverhalten von Erbe und Bürgergeld orientierten Diskurs geht, sondern um die komödiantische Aufarbeitung dieser Themen in Form einer Groteske.
Dazu muss natürlich auch noch der Erbfall personifiziert werden. Das erfolgt in Gestalt von Silke Benz (Karin Klein), die sich gleich mit dem zitatschweren Satz vorstellt „Mein Name ist Benz. Silke Benz!“. Sie wurde durch das neue Gesetz enterbt und will ihren bis heute nicht beantworteten Antrag auf ein Los nun vor Ort direkt bei Gabor durchsetzen. Dafür setzt sie nicht nur ihre energisches Auftreten sondern auch ein Erpressungsmittel in Gestalt eines Funkgeräts ein. Gabor ist nämlich begeisterter SUV-Fahrer und hat sich einen teuren Geländewagen vom Munde abgespart. Den will Silke – plötzlich im Verbund mit Maurice – im Fall der Ablehnung in die Luft sprengen.
Nun beginnt ein heftiger verbaler und bisweilen tätlicher Kampf um finanzielle Zusagen und Ablehnungen, um Gerechtigkeit und Deutungshoheit im sozialen Bereich. Da werden alle Argumente der jeweiligen Parteien zugespitzt auf den Bühnenmarkt geworfen, umeinander gedreht und verzerrt, wie es die jeweilige Position verlangt. Das erfolgt ohne jegliche parteiische Polemik und gegenseitige Anklagen, sondern eher als zugespitzte Farce. Regisseurin Jessica Weisskirchen geht es nicht um die endgültige Deutung von richtig und falsch aus der hohen Regiewarte, sondern um die Darstellung der jeweiligen Kämpfe und deren Verbissenheit. Auch Widersprüche werden dabei nebenbei ohne Plattheit offengelegt. Das geht nicht immer ohne vordergründigen Witz bis zum Kalauer ab, sorgt jedoch für viel Bewegung und immer wieder überraschende Diskurswendungen. Im Zuge der weiteren Handlung kracht es im wahrsten Sinne des Wortes, aber die Beteiligten erholen sich immer wieder, und langsam schälen sich unerwartete Koalitionen und Verrat an vermeintlichen Komplizen heraus. Das muss man im Einzelnen nicht mehr verstehen, und wir wollen hier auch nicht die Lösung verraten, soweit wir meinen, sie verstanden zu haben.
Aber die Logik der Handlung ist sowieso nicht wichtig, sondern eher die Befindlichkeit der Akteure und ihr Versuch, sich der jeweiligen Situation anzupassen. Dabei zeichnet sich vor allem Karin Klein aus, deren Silke sich permanent dem Lauf der für sie nicht günstig verlaufenden Ereignisse beugen muss. So gibt sich die anfangs vermeintliche Millionenerbin angesichts der massiven Vorwürfe sozialer Ungerechtigkeit als Tochter eines Lehrers aus, der sich seine bescheidenen, im Grunde nur Verlust generierenden Ferienwohnungen vom Munde abgespart hat. Das erfordert natürlich blitzartige Änderungen von Mimik, Gestik und Auftreten, wobei mal Wut und Aggression, mal Zerknirschung und Schluchzen angesagt ist. Karin Klein zeigt hier alle Facetten ihres Könnens und beherrscht über lange Strecken die Bühne.
Doch ihre Bühnengenossen stehen ihr in nichts nach. Mariann Yars A(r)mina kommt als wirbelnde, mit allen Wassern gewaschene Selbstdarstellerin daher und dominiert ebenfalls eine Zeitlang den Kollegen Gabor wie Antragssteller Maurice. Die beiden Männer haben etwas undankbarere Rollen, da sie als Pedanten bzw. schüchtern-verschlagener Bürgergeldbezieher angelegt sind. Sie füllen aber auch diese Rollen mit viel Witz und Hintergründigkeit aus.
Man darf von diesem Stück nicht die letztgültige Klärung aller Fragen zum Erben erwarten, aber sich immerhin an der temporeichen und scharfzüngigen Darstellungen der Widersprüche und widerstreitenden Meinungen abarbeiten. Dass dabei der Humor nicht zu kurz kommt, ist ein weiterer Vorzug dieses zu recht als Komödie bezeichneten Einakters.
Das Premierenpublikum hatte dabei auch viel Spaß und spendete allen Beteiligten kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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