Jasmin-Nevin Varul kam als Tochter eingewanderter iranischer Eltern in Heidelberg zur Welt und ist Mitglied des Darmstädter Schauspiel-Ensembles. Das nur zur Einordnung ihres Einpersonen-Stücks „The Importance of being Erna“. Der Titel ist natürlich eng an Oscar Wildes Komödie „The Importance od being Ernest“ angelehnt, in der es viel um das Wortspiel um den Namen „Ernest“ und den Begriff „Ernest“ geht. Man stutzt natürlich und erwartet einen warmen Aufguss aus aktueller Perspektive, aber nein: Jasmin-Nevin Varul ist weit davon entfernt, ihr Stück mit fremder Bedeutung aufzuladen, sondern baut Wildes Stück so intelligent wie knapp in ihren Monolog ein und spielt dabei selbst ein wenig mit dem Namen „Ernest“ bzw. „Erna“.
Das Stück ist offensichtlich weitgehend autobiographisch, aber weniger faktisch als aus der subjektiven Perspektive eines Migrantenkindes. Die erste Szene zeigt eine Frau im Arbeitskittel in einem kleinbürgerlichen Wohnzimmer, die durch das Fenster die Nachbarn beobachtet und kommentiert. Es fehlt nur das Kissen auf dem fiktiven Fensterbrett.
Doch dann beginnt sie zu erzählen: schon in der Schule hat sie als kleines Mädchen den Berufswunsch „Rentnerin“ geäußert, und diesen Wunsch spielt die Autorin bzw. Erzählerin jetzt durch. Dabei wechselt sie fließend die Rollen zwischen kleinem Mädchen mit zugewanderten Eltern, dem ersehnten Rentnerin-Dasein und anderen Situation ihres Lebens. Die Autorin entgrenzt sich sozusagen zu einem Phantasiewesen, das alle Gedankengänge, Sehnsüchte und Ängste wie in einem, breiten Assoziationsstrom aufnimmt und in kleinen Szenen verarbeitet. Die große Liebe dieser Ich-Erzählerin war Helmut Kohl, und zwar der Kohl in seinen besten Jahren. Angesichts des Geburtsjahrs der Autorin kann man dies als getrost als Fiktion betrachten, aber als eine sehr glaubwürdige Fiktion, denn die Erzählerin ist ausgerechnet in Oggersheim aufgewachsen und hat daher zu dieser historischen Person ein besonderes Verhältnis entwickelt.
Doch das Politische spielt hier keine Rolle; wichtig ist nur das Verhältnis einer jungen Frau zu dem neuen Heimatland, das ihr unbekannt und seltsam vorkommt. Die Frage ihrer Herkunft beantwortet sie natürlich ganz naiv mit „Oggersheim“ – fiktiver Geburtsort der Erzählerin – und kann das penetrante Nachfragen nicht verstehen. Dann wieder liest sie ihren Eltern mit begrenztem Erfolg die Tageszeitung vor oder spielt einen Dialog mit ihrem Vater. Permanent springt Jasmin-Nevin Varul von der Erzählerin zu dem kleinen Mädchen, der ersehnten Rentnerin oder in andere Rollen – ihrer selbst? – einer Pfälzerin. Dabei zeigt sie ihre perfekte Beherrschung der breiten „Pälzer“ Mundart und erntet immer wieder Lacher im Publikum.
Der weitere Lebensweg der iranischen Pfälzerin aus Oggersheim führt über Kreuzworträtsel zu einem Lotteriegewinn, der sie mit TV-Moderatoren wie Kai Pflaume, Florian Silbereisen und Thomas Gottschalk zusammenkommen lässt, die sie wiederum treffend komisch nachahmt. So bewegt sie sich eineinhalb Stunden lang durch die letzten zwanzig bis dreißig Jahre der Bundesrepublik mit allen Absurditäten und Eigenarten des deutschen und speziell pfälzischen Alltags.
Durch Varuls vielfältige schauspielerische Ausdruckskraft und ihren Humor kommt keinen Augenblick Langeweile auf, und immer wenn man denkt, sie habe sich auf ein Thema eingeschossen, kommt ein plötzlicher Dreh zur nächsten medialen oder gesellschaftlichen Pointe. Dabei bringt sie immer wieder die Unsicherheit der Einwanderer zum Ausdruck, die nicht nur mit der Sprache sondern auch mit der Mentalität der Eingesessenen so ihre Probleme haben. Sie möchte doch so gerne dazu gehören und deshalb lieber „Erna“ heißen. Und hier kommt auch die Verwandtschaft zu Oscar Wilde zum Tragen. Irgendwann liest das noch kleine Mädchen Wildes „Bunbury“ und übernimmt Wildes Trick mit dem in der Reisetasche ausgesetzten Säugling für sich. Damit hätte sie pfälzische Eltern und gehörte mit ihrem echten Namen „Erna“ richtig dazu!
Bei aller augenzwinkernden Art, ihren deutschen – und pfälzischen – Mitbürgern deren Eigenarten vorzuhalten, kommt keinen Augenblick eine aggressive oder abrechnende Komponente ins Spiel, sondern bei allen Verwirrungen und vermeintlichen Ausgrenzungen wird klar, dass Jasmin-Nevin Varul sich in ihrer deutsch-pfälzischen Heimat wohlfühlt. Eine Liebe von Erna!
Das Publikum zeigte sich außerordentlich angetan von diesem neunzigminütigen gedanklichen und darstellerischen Feuerwerk und spendete kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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