Das 5. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt war fast so etwas wie ein Familienkonzert: im Orchester die langjährigen Mitglieder Hans-Jürgen Höfele (Fagott) sowie seine Frau Kornelia Hagel-Höfele (Flöte) und vorne an der Rampe deren gemeinsamer Sohn Simon als Solo-Trompeter, der bereits in der Vorwoche beim Kammerkonzert aufgetreten war. Das muss man erst einmal schaffen!
Aber wir wollen hier ja keine Familiengeschichte erzählen, denn die Musik steht natürlich im Mittelpunkt. Und davon gab es an diesem unter dem Dirigat des Italieners Enrico Onofri stehenden Abend genug, und zwar in jeder Hinsicht erfrischende. Denn die Trompete verbreitet durch ihren hellen, offenen Klang eine musikalische Atmosphäre der Frische und des Aufbruchs.
Im Gegensatz zur üblichen Reihenfolge begann dieses Konzert gleich mit einem Solo-Teil, nämlich dem Trompetenkonzert Es-Dur von Joseph Haydn. Das lag daran, dass man den Solopart diesmal auf zwei Konzerte verteilt hatte, die man auch noch etwas voneinander trennen musste.
Die Nähe zu Mozarts Musik ist bei diesem Stück geradezu frappant, und man kann sich vorstellen, dass Haydn dieses fünf Jahre nach Mozarts Tod entstandene Konzert zumindest unterbewusst seinem großen Kollegen gewidmet hat. Es beginnt mit einem heiteren Thema, das Simon Höfele in einer leichten, spielerischen Art intonierte. Dabei half ihm die Tatsache, dass Es-Dur seit alten Musikzeiten als die „strahlende“ Tonart galt. Die üppige Kadenz gegen Ende des ersten Satzes gestaltete er souverän und locker, was angesichts der Anforderungen an die Tonbildung bei diesem Instrument besonders bemerkenswert ist. Im zweiten Satz konnte er dann die lyrische Seite seines Instruments und im Finalsatz sein Virtuosentum hinsichtlich Tempo und Dynamik zeigen.
Die anschließende Ouvertüre C-Dur von Fanny Hensel war an diesem Abend nicht nur der „Lückenfüller“ zwischen zwei sehr ähnlichen Trompetenkonzerten, sondern auch eine stille Hommage an diese oft und vor allem zu ihren Lebzeiten unterschätzte Komponistin. In diesem Stück sind die Charakteristiken der klassischen Musik von Haydn bis Beethoven wie in einem kleinen Brennglas verdichtet. Nach langsamem Beginn mit einem warmen Klarinettensolo steigern sich Tempo und Dynamik, wie man es von Mozart und Beethoven kennt, um dann in einem fulminanten Finale zu enden. Das Orchester zeigte hier auch gleich Verve und viel Spielfreude.
Dann durfte wieder Simon Höfele auf die Bühne, diesmal mit Johann Nepomuk Hummels Trompetenkonzert in E-Dur, einer für Trompeten eher seltenen Tonart. Obwohl Hummels Konzert nur fünf Jahre jünger als Haydns ist, wirkt es deutlich näher an Beethoven und der langsam beginnenden Romantik. Das mag wohl auch an den anderen Einflüssen des erst 1778 geborenen Komponisten liegen, der die Welt der Musik ganz anderes aufnahm als der 1732 geborene Haydn. Das Orchester ist hier eigenständiger als bei Haydn und die Verschränkung der Orchesterstimmen stärker ausgeprägt. Die Trompete beginnt erst nach einer ausgedehnten Orchestereinleitung, hat dann aber längere Passagen zu bewältigen, was dem Solisten ohne jede sichtbare Anstrengung gelang. Im zweiten Satz überzeugte vor allem der warme, weiche Klang der Trompete, während Höfele im letzten Satz wieder mit seiner scheinbar ganz lockeren Präzision bestach. Dabei überraschte er immer wieder mit neuen Klangfarben, die man diesem Instrument gar nicht zugetraut hätte.
Das Publikum dankte Simon Höfele mit begeistertem Beifall, und dieser spielte mit HK Grubers „Exposed Throat“ nicht nur eine geradezu artistische Zugabe, sondern moderierte sich dabei selbst in souveräner, humorvoller Weise.
Im zweiten Teil des Abends spielte die Konzertdirektion noch einmal augenzwinkernd an den bereits erwähnten Familiencharakter dieses Abends an. Denn die vierte Sinfonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy stammt ausgerechnet von dem Bruder Fanny Hensels, was im Programmheft jedoch bewusst nicht thematisiert wurde. Wohl auch, um Fanny nicht wieder „nur“ als Schwester des berühmten Bruders zu erwähnen.
Die sinfonische Gattung hatte nach 1830 mit einem großen Problem zu kämpfen. Sie hatte seit Haydn einen geradezu phänomenalen Aufstieg erlebt und nach dem scheinbar nicht zu übertreffenden Mozart in Beethoven noch einmal einen neuen Höhepunkt erlebt. Was sollte schon nach dessen „Siebenter“ noch kommen? Das wussten Komponisten wie Mendelssohn, Schumann und später sogar Brahms genau und äußerten es auch mehr oder minder direkt, aber dennoch versuchten sie sich weiterhin an dieser Kunst. Doch selbst der heutige Rezipient misst diese Sinfonien unbewusst an Beethovens Werken und sieht in ihnen natürlich überall dessen Nachwirken.
Warum denkt man dennoch bei den ersten Takten von Mendelssohns „Italienischer“ an Shakespeares „Sommernachtstraum“? Eben weil sich in beiden die unverwechselbare musikalische Ausdrucksweise dieses Komponisten so deutlich zu erkennen gibt, dass man sie bisweilen miteinander verwechseln kann. Der erste Satz wirkt, wie immer bei Mendelssohn, energisch und doch froh, durchaus anders als Beethovens konzentriertes Auftrumpfen. Der zweite Satz mit einem choralartigen Thema, das sich zu einer liedhaften Wanderung durch die musikalischen Gefilde entwickelt, während der dritte das Wandern etwas prägnanter und doch liebenswürdig gestaltet. Im vierten Satz schließlich lässt Mendelssohn dem Orchester freien Lauf bis hin zu einem furiosen Finale.
Enrico Onofri erwies Mendelssohns „Italienischer“ die Reverenz seines im inoffiziellen Titel der Sinfonie erwähnten Heimatlandes und injizierte dem Orchester seine musikalischen Gene hinsichtlich Tempo und Temperament. Den letzten Satz hat man selten so lebendig und lustvoll erlebt wie an diesem Abend. Das Orchester folgte dem ausgesprochen körperlich agierenden Dirigenten nicht nur willig sondern fast schon begeistert und erntete damit nach dem Schlussakkord den verdienten Beifall. Der steigerte sich dann soweit, dass Onofri noch eine Zugabe in Gestalt der Wiederholung des zweiten Satzes spielte. Zugaben bei Solisten gehören dazu, Zugaben des Orchesters sind selten, werden aber, wie dieser Abend zeigte, genau so geschätzt.
Frank Raudszus
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