Das heutige Theater liebt die Einbettung klassischer Theaterstücke in weitergehende Rahmenhandlungen, siehe „Wilhelm Tell„. Doch der Film hat das schon viel früher getan, zum Beispiel mit der Komödie „Shakespeare in Love“ aus dem Jahr 1998. Die hatte sich Shakespeares Zeit und vor allem dessen Stück „Romeo und Julia“ vorgenommen und dabei in vergnüglicher Selbstreferenzialität des Schauspielgewerbes geschwelgt. Die „Neue Bühne Darmstadt“ hat diese Filmvorlage jetzt in eine dreistündigen Version für die Bühne umgearbeitet.
Das Stück von Tom Stoppard und besteht aus drei eng ineinander verwobenen Handlungssträngen. Da ist einmal das Theaterensemble samt Direktor, Geldgeber und Dichter. Letzterer – Shakespeare – hat mehreren Theaterdirektoren Stücke gegen Vorschuss versprochen, aber bisher weder ein Stück noch eine richtige Idee. Der zweite Strang besteht aus dem Stück, das sich im Laufe der Handlung langsam entwickelt, anfangs „Romeo“ heißt und erst zuletzt den berühmten Paar-Titel erhält. Die Szenen dieses Stückes verzahnen sich wegen der beteiligten Personen eng mit der Rahmenhandlung und sorgen natürlich für viel komödiantische Verwirrung. Der dritte Handlungsstrang besteht aus der aufkeimenden Liebe zwischen Shakespeare und Viola, der gelangweilten weil streng behüteten Tochter eines reichen Londoners, der sie bereits dem finanziell klammen Lord Wessex zwecks Erlangung des Adelstitels versprochen hat. Sie aber liebt das Theater und träumt von einer – im damaligen England unstatthaften – Schauspielkarriere. So verkleidet sie sich als junger Mann, spricht bei Shakespeare vor und erhält wegen ihres bewegenden Vortrags sofort die Rolle des Romeo. Unabhängig davon lernt Shakespeare Viola zufällig kennen und deklamiert unter ihrem Balkon – Achtung! – die ihm ausgerechnet von dem gleichaltrigen Kollegen und Konkurrenten eingeflüsterten Liebesverse. Im Weiteren wird schließlich Viola als Romeo aus den genannten Gründen ausfallen, Shakespeare wird die Rolle selbst übernehmen, und am Ende springt Viola in der größten Besetzungsnot für den erkrankten Julia-Darsteller ein, womit das Liebespaar schließlich sich selbst und das Ende ihrer Liebe spielt, wenn auch ohne echten Tod. Denn schließlich handelt es sich hier um eine Komödie, und der echte Shakespeare hat ja schließlich auch noch über zwanzig Jahre gelebt….
Renate Renken hat das Stück in den begrenzten Räumlichkeiten der „Neuen Bühne“ mit viel Phantasie und originellen Ideen inszeniert. Das England des späten 16. Jahrhundert wird durch ein paar angedeutete Gebäude an der Seitenwand sowie die Kostümierung dargestellt, das Theater durch einen roten Vorhang, der dem Publikum mal die gedachte Rückseite -„Backstage“ -, mal die Vorderseite – „Aufführung“ – zeigt. Versteht sich, dass da die Grenzen zwischen Rahmenhandlung und Aufführung des Stückes bisweilen verschwimmen und man die jeweilige Handlung auch schon mal aus dem Kontext oder den gesprochenen Texten identifizieren muss. Das ist natürlich durchaus nicht zufällig, sondern zeigt die enge Verwandtschaft zwischen Leben und Bühne gemäß Shakespeare eigenem Zitat „All the world´s a stage“. An dieser Inszenierung kann man erkennen, wie weniger Requisiten es für eine Aufführung bedarf. Eine Spielfläche mit einem Tisch und einigen Stühlen, ein Vorhang, eine Tür – der Rest ist Imagination.
Und diese Imagination gelingt dem Ensemble ausgesprochen gut. Alle Beteiligten sind nicht nur hoch motiviert, sondern füllen ihre jeweiligen, gern wechselnden Rollen auch überzeugend aus. Jürgen Knittel ist in seiner jugendlichen Unbekümmertheit und Spontaneität ein mehr als glaubwürdiger Shakespeare (obwohl wir diesen nicht selbst kennen), der gleich zu Beginn zagend aber nicht verzweifelnd vor einem leeren Blatt grübelt und sich seine Ideen Stück für Stück aus der alltäglichen Realität holt – nicht zuletzt aus seiner eigenen Liebe zu Viola. Miriam Zeller spielt diese Viola alias Julia mit viel Witz und Herz, opfert aber nie das Komödiantische dem Tragische. Gabriela Reinitzer changiert in ihrer Doppelrolle als Violas Amme und als Königin Elizabeth erfolgreich zwischen schlauer Dienstbarkeit und herrschaftlicher Strenge, und Rainer Poser – diesmal nicht in der Hauptrolle – verleiht dem permanent vor der Pleite stehenden Theaterdirektor Henslowe genau die richtige Mischung aus Unterwürfigkeit und realitätsblindem Optimismus. Axel Raether verkörpert den geld- und statusgierigen Wessex als wahren Kotzbrocken, und Jens Hommola gibt den knallharten Geldverleiher. Daneben spielen weitere Darsteller das Dienstpersonal oder hoffnungslose Schauspielanwärter, wobei jeder seinen Anteil an der Lebendigkeit und dem Witz dieser Inszenierung hat. Heike Pallas sorgt wie immer für eine professionelle musikalische Begleitung am Klavier, wobei hervorzuheben ist, dass einige der Genannten zur Klavierbegleitung originale englische Lieder aus dieser Zeit zum Besten geben und damit das Lokal- und Zeitkolorit beschwören.
Das Publikum zeigte sich sehr angetan und spendete kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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