Zwar sind Bühnenversionen bekannter Romane seit einiger Zeit bei deutschen Theatern „en vogue“ – warum auch immer -, doch wenn es um einen Schauerroman des 19. Jahrhunderts ohne erkennbaren Aktualitätsbezug oder gar gesellschaftspolitische Erkenntnisse geht, stellt sich doch die Frage nach dem Sinn einer solchen Inszenierung. Man kann es metaphorisch inszenieren, indem man deutliche Bezüge zur Gegenwart herstellt – hier etwa der Vampir als Kapitalismus -, aber auch als überzeichnete Groteske ohne jeglichen Erkenntnis- aber mit viel Unterhaltungswert. Letzteres ist auf deutschen Theatern seit einiger Zeit politisch-korrekt verpönt, doch das Schauspiel Frankfurt ist dieses Risiko bewusst eingegangen und hat voll auf einen fast naiven, doch ironisch gebrochenen Gruseleffekt gesetzt.
Die vorliegende Inszenierung von Johanna Wehner verzichtet von vornherein auf jegliche aktuelle oder generell politische Assoziationen und bleibt strikt im Rahmen des spätromantisch schaurigen Spektakels, wie wir es in Deutschland etwa von E.T.A. Hoffmann kennen. Dazu hat Benjamin Schönecker das Interieur eines heruntergekommenen Schlosses mit ausgetretener Freitreppe, düsteren Bildern und bröckelnden Wänden auf die Bühne gestellt. Alle Szenen spielen vor dieser Kulisse, was man soweit interpretieren kann, dass sich die düstere transsylvanische Zombie-Welt überall hin ausdehnt und in der Welt stets präsent ist. Wer will, kann Graf Dracula und seinen Blutdurst auch als Metapher auf den Krieg oder – ideologisch – auf den blutsaugenden Kapitalismus sehen, doch die Inszenierung forciert eine solche Sicht in keiner Weise. Wer die Handlung nicht kennt, tut sich jedoch bisweilen etwas schwer, dem Ablauf zu folgen, da die Szenen im nordenglischen Hafenstädtchen Whitby ebenfalls vor dieser Kulisse spielen und sich als solche nur aus den gesprochenen Texten zu erkennen geben.
Graf Dracula lässt sich in einer Holzkiste – tagsüber schlafen die Vampire ohne Sonnenkontakt! – mitsamt einer Reihe von Ersatzkisten per Schiff nach England bringen, wobei der Roman den Grund für diesen Ortswechsel schuldig bleibt. Dabei tötet er alle Mannschaftsmitglieder und lässt sogar noch den am Steuerrad festgeketteten Kapitän sterben. In England verwandelt er dann eine junge Frau in einen Zombie, die von den anderen Beteiligten des Stücks dann durch die üblichen Hilfsmittel – Holzpfahl durchs Herz – von dem Fluch erlöst wird. Im Roman vernichtet dann eben diese Gruppe den Grafen auf einer wilden Hetzjagd durch ganz Europa nach allen Regeln des Vampir-Mythos´.
Johanna Wehner lässt alle diese Ereignisse als gesprochene und pantomimisch angedeutete Szenen auf der Bühne vor der Schlosskulisse ablaufen. Die heute erforderliche ironische Distanzierung erfolgt durch eine eher chorische Anordnung des Ensembles, das immer wieder – wie im Tanztheater – als aufeinander abgestimmte Gruppe handelt und spricht. Auch die forcierte Mimik und Gestik verweist auf den irrationalen Kontext dieser Schauerromane der Spät(est)romantik, und dabei vermeidet die Inszenierung bewusst die Herausarbeitung individueller Charaktere. Denn die Erfüllung dieser klassischen Forderung an das Theater würde bedeuten, den Handlungskontext dieses Romans ernst zu nehmen, was die Akzeptanz einer angstbesetzten Irrationalität mit sich bringen würde. Also distanziert man sich von der Geschichte durch die „Mechanisierung“ der Figuren im Sinne einer Dekonstruktion der Handlung und ihrer Protagonisten. Es bleibt dann der schaurig-schöne Gruseleffekt aus der sicheren Perspektive des Zuschauersaales.
Bei allem Verständnis für diesen grotesken Unterhaltungsansatz bleibt weiterhin die Frage nach dem Sinn einer solchen Inszenierung. Dem Publikum neben der Unterhaltung „Zucker zu geben“ in Form eines Überlegenheitsgefühls über die Generationen des 19. Jahrhunderts, die einen solchen Unsinn geglaubt haben? Das wäre für die Selbstwahrnehmung des heutigen Theaters etwas wenig. Auf der anderen Seite hätte die Aufwertung der Inszenierung über die Assoziation von Krieg und Kapitalismus als Blutsauger sicherlich aufgesetzt gewirkt, und für diese Aussage gibt es auch neuere und treffendere Bühnenliteratur. Dann hätte man die handelnden Personen auch über den schmalen Bedeutungsgehalt dieses Romans hinaus charakterlich aufrüsten müssen, was wiederum die Handlung kaum hergibt.
Hatte man sich einmal für eine Bühnenversion dieses Gruselklassikers entschieden, blieb also nur noch die distanziert-ironische Distanzierung über die Reduzierung der Figuren zu Stereotypen. Dass dieses mit auf durchaus humoristisch und stellenweise witzige Weise erfolgt, ist eine Stärke der Inszenierung, der auch Dracula trotz seiner Dauerpräsenz auf der Bühne nicht das Blut aus den Adern saugen konnte.
Das Ensemble bemüht sich mit einigem Erfolg, die Gratwanderung zwischen Grusel und Ironie zu meistern. dabei ist vor allem Caroline Dietrich als Mina zu nennen, die über weite Strecken die Bühne durch ihre selbstsichere, mal ironische, mal aufbegehrende Art beherrscht, während Christoph Bornmüller eher einen von Angst und Schrecken geschüttelten Jonathan gibt. Matthias Redlhammer als Dracula hat hier eher eine undankbare Rolle, weil er – ganz ohne spitze Zähne und rot unterlaufene Augen – nur den dauerpräsenten Zaungast mit abgeklärten bis sarkastischen Kommentaren gibt. Er ist sozusagen der allwissende Ich-Erzähler, der die Schwächen der Menschen kennt – und sie für sich nutzt.
Kräftiger Beifall des fast ausverkauften Hauses.
Frank Raudszus
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