Ich war sehr gespannt: Im Literarischen Quartett waren alle begeistert von Nele Pollatscheks Roman „Kleine Probleme“. Ich versprach mir größtes Lesevergnügen und dazu philosophische Überlegungen, die mich als Leserin unmittelbar ansprechen.
Vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, vielleicht bin ich zu humorlos: Aber in Begeisterungsstürme bin ich bei der Lektüre nicht ausgebrochen, wenn es auch durchaus eine kurzweilige Lektüre war.
Worum geht es?
Lars Messerschmitt, 49, verhinderter Schriftsteller, sieht sich alleine im Haus. Die Kinder sind erwachsen und ausgeflogen, seine Frau Johanna, Lehrerin für Mathematik und Philosophie, hat sich für ein Sabbatical nach Lissabon davongemacht. Sie brauchte eine Pause, wohl in erster Linie von ihm.
Lars ist derjenige in der Familie, der nichts zu Ende bringen kann, alles Mögliche anfängt, das dann aber liegen lässt. Das gilt insbesondere für seinen Plan, sein „Lebenswerk“ zu schreiben, den besten Roman aller Zeiten. Dafür hat er vor einigen Jahren die feste Stelle beim Fernsehen aufgegeben. Geld verdient er mit kleineren Aufträgen, aber sein „Lebenswerk“ ist über handschriftliche, verstreute Notizen bislang nicht hinausgekommen. Er schafft es einfach nicht, sich zu disziplinieren und dranzubleiben.
Kurz vor Weihnachten sieht er sich allein in einem völlig vermüllten Haus, in dem er in den Monaten des Alleine-Seins eher gehaust als gewohnt zu haben scheint. Johanna hat sich zur Silvesterparty bei dem Sohn angemeldet, ihm dafür einige Aufträge erteilt. Wie gewohnt schiebt er alles bis zur letzten Minute auf. Der Silvestertag ist bereits angebrochen, er hat verschlafen, die Zeit läuft ihm davon. Erst in der letzten Minute entscheidet er sich, das Haus aufzuräumen und zu säubern, das seit Jahren verpackt in den Kartons liegende Bett für die Tochter aufzubauen und schließlich noch einen Nudelsalat zuzubereiten.
Das ganze Vorhaben, die Verzweiflungsanfälle wie seine Ansätze zu Tatkraft erleben wir als Leserinnen in einem irren inneren Monolog, mit dem Lars seine Aktivitäten wie auch seine Rückfälle in Schlafen, Rauchen, Nichts-Tun begleitet. Das erste Mal in seinem Leben will er wirklich versuchen, sich zu ändern, will Johanna beweisen, dass er das kann und dass er etwas zustande bringen kann. Bei dem schier unmöglichen Unterfangen alles in den letzten Stunden des Jahres zu schaffen, schwankt er zwischen Selbstanklagen, Selbstmitleid und geradezu heroischen Anstrengungen.
Seine philosophischen Aperçus stellen gleichzeitig viele unserer alltäglichen Verhaltensnormen und Tätigkeiten in Frage. Muss das eigentlich alles sein, diese Ordnung, die regelmäßige Arbeit, der vom Pragmatismus geleitete Alltag, den Johanna predigt und vorlebt?
Ihm ist der Alltag nur in kreativer Verwandlung erträglich, das kommt ihm jetzt zugute. Köstlich seine Schilderung, wie er das Bett aufbaut und den unterschiedlichen Schrauben jeweils witzige Namen zuweist, damit er sie besser unterscheiden kann. So macht ihm die Arbeit sogar Spaß.
Durchaus witzig ist auch die Schilderung all der kleineren und größeren Unfälle, die sein Vorhaben fast scheitern lassen, aus denen ihn jedoch kreative Lösungen immer wieder heraushelfen.
Alle seine Gedanken kreisen zunehmend um seine Ehe und die Vorstellung davon, dass alles wieder gut wird, wenn er sich nur ändern kann.
Alles Versäumte soll nachgeholt werden, ganz wichtig die bisher von Johanna stets abgelehnte Hochzeit. So wird der Monolog auch zu einem Nachdenken über die Liebe und das, was eine Beziehung eigentlich zusammenhält. Je mehr er erkennt, dass er die Liebe seiner Frau, mit der er nicht verheiratet ist, durch seine Trägheit verspielt hat, will er kämpfen, zum ersten Mal in seinem Leben.
Nele Pollatschek verknüpft seinen gegenwärtigen seelischen Zustand mit den Rückblicken, so dass wir als Leser viel über diese lange Nicht-Ehe, über gemeinsame Erfahrungen, über die Beziehung zu seinen Kindern, über die zu seinem alten Vater erfahren. In allen Beziehungen erkennt er seine Nachlässigkeit, seine selbstverliebte Ich-Bezogenheit, die ihn bisher unfähig gemacht hat, etwas wirklich anzupacken, geschweige denn den großen Roman zu schreiben.
Das ist alles durchaus kurzweilig geschrieben. Lars‘ unablässiger Gedankenstrom, der sprunghaft und oft elliptisch ist, zieht mich als Leserin mit, so dass ich ganz nah an diesem Erzähler bin.
Dennoch hatte ich Schwierigkeiten, mich mit Lars als Erzähler zu identifizieren. Ja, er ist jemand, der alle nervt, aber mich hat er eben auch streckenweise genervt. Die bisweilen slapstickartigen Unfälle, etwa wenn er auf dem aus einer Mülltüte ausgelaufenen Öl ausrutscht oder wenn der Müllsack, den er ins Auto quetscht, natürlich einreißt und der Müll sich in den Kofferraum ergießt, sind zwar witzig, aber doch etwas überzogen.
Seine grundsätzlichen Lebensfragen und Statements haben den Charakter von Gedankentupfern, ohne zu Ende gedacht zu sein. Gut, das ist Teil seines Charakters, aber was habe ich als Leserin davon?
Ich habe auch Probleme mit der sehr saloppen Sprache, die sich immer wieder über Regeln hinwegsetzt. Sicher, es sind Gedankenfetzen, aber muss ich Lars da wirklich immer folgen?
In diesem Sinne kann ich in die allgemeine Begeisterung der Kritik nicht fraglos einstimmen. Vielleicht ist das eine Altersfrage, vielleicht ist der Roman etwas für Jüngere.
Der Roman hat durchaus Unterhaltungswert, ob er auch Erkenntniswert hat, ist für mich jedoch die Frage. Den Roman nur als Anlass zu sehen, die eigenen, liegen gebliebenen Dinge endlich anzupacken, wäre etwas wenig.
Wenn etwas wichtig ist an dem Roman, dann ist es der verzweifelte Kampf des Protagonisten um die Liebe und die Hoffnung darauf, dass es einen Neuanfang geben kann. Zum Schluss wünschte ich das für ihn, weil er sich jedenfalls einen Tag lang wirklich abgemüht hat. Ist der Neuanfang wirklich möglich oder bleibt er eine Illusion? Die Antwort darauf überlässt Nele Pollatschek ihren Leserinnen.
Wird Lars seinen Roman am Ende doch schreiben? Auch hier entlässt Pollatschek uns mit einem Rätsel.
Lesenswert ist der kleine Roman auf jeden Fall.
Der Roman ist im Galiani Verlag erschienen, hat 199 Seiten und kostet 23 Euro.
Elke Trost
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