Andrej Kurkow wurde in St. Petersburg, Russland, geboren, zog aber schon als Kind mit seinen Eltern in die Ukraine nach Kiew, wo er noch heute lebt. Er studierte Fremdsprachen, arbeitete als Zeitungsredakteur und sammelte während seines Militärdienstes Erfahrungen als Gefängniswärter. Auch als Kameramann war er schon tätig und verfasste mehrere Drehbücher. Er schreibt in russischer Sprache, und das vorliegende Buch haben Johanna Marx und Sabine Grebing ins Deutsche übersetzt.
Der Roman versetzt den Leser in die rechtlose Zeit um 1918, am Ende des Ersten Weltkrieges. Der Protagonist Samson ist mit seinem Vater in Kiew unterwegs, als durch die Straßen ziehende und ziellos mordende Kosaken erst seinem Vater mit einem Säbelhieb den Schädel spalten und dann mit einem zweiten Hieb ihm selber das rechte Ohr abschneiden. Samson kann sein Ohr gerade noch auffangen, seinen ermordeten Vater muss er jedoch vorerst liegen lassen, um sein Ohr versorgen zu lassen. Später wird er den Vater bestatten.
Zurück in der Wohnung, greift sich Samson den Familienpass, auf dem die Familie noch vier Mitglieder hat. Vater, Mutter, Schwester und er selbst. Das war 1913. Jetzt gibt es Österreich-Ungarn nicht mehr, ebenso das russische Reich und seine Familie. Nur er, Samson, ist übrig geblieben.
Mühsam schlägt sich Samson in diesen rechtlosen Zeiten durch, kommt mit Zwangseinquartierungen in seiner Wohnung zurecht und erhält aufgrund seiner Lese- und Schreibkenntnisse bei der Miliz eine Arbeit als Ermittler. In Nadjeschda begegnet ihm schließlich die dringend benötigte Liebe und Herzenswärme in einer ansonsten wahnsinnigen Zeit, in der die verschiedensten politischen Kräfte um die Macht kämpfen. Korruption, Gewalt und Rechtlosigkeit sind an der Tagesordnung, doch Samson ermittelt auf seine eigenwillige Art in verschiedenen Mordfällen und findet Diebe und Mörder.
Der Roman liest sich mitreißend und ist immer wieder gespickt mit Humor. Wir auch sonst hätte man diese Zeiten überleben können? Und auch das abgeschlagene Ohr, das Samson in einer Blechdose aufbewahrt hat, wird ihm am Ende noch zum Lebensretter.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst363 Seiten und kostet 24 Euro.
Barbara Raudszus
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