Ein musikalischer Tanz der Farben

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Im Berliner Friedrichstadt-Palast läuft derzeit die Show „Arise“ – zu Deutsch „Steh auf!“. Das ist zwar nicht zu verwechseln mit Sarah Wagenknechts gescheiterter Parteigründung, beinhaltet jedoch ebenso wie diese eine Aufforderung zum Weitermachen trotz Niederlagen.

Hier geht es aber nicht um Politik, sondern um Kunst und Krise. Der berühmte Fotograf Cameron hat seine Muse verloren, was immer das bedeutet – metaphorisch oder erotisch. Auf jeden Fall ist er deprimiert und antriebslos. Während er in stiller Melancholie seine alten Fotos anschaut, beginnen diese, sich in pralles Leben zu verwandeln und ihm damit neuen Lebensmut einzuhauchen.

Ensemble

Ein Rapper in kriegerischem Kostüm und Kopfputz, offensichtlich Camerons resignierendes „alter ego“, verunsichert ihn, ähnlich wie Goethes Mephisto, durch sarkastische bis defätistische Sprüche in Liedform, mit denen er die Figuren, die jetzt farbenfroh durch Camerons Erinnerungen und sichtbar über die Bühne des Friedrichstadt-Palastes tanzen, zu marginalisieren versucht. Damit weckt er auch weitere dunkle Gedanken in Form schwarzer Gestalten, die bedrohlich die Bühne umtanzen. Doch wo Gefahr droht, ist die Rettung nicht weit (Zitat!), und schon wechseln die Kostüme ins sonnige Gold, und die bisher vermummten Gesichter lächeln strahlend ins Publikum. Das alles zu fetziger Musik mit typischer, vielleicht etwas zu forcierter Lautstärke. Doch das scheint die grundlegende Strategie dieser Inszenierung zu sein: das Publikum nicht nur durch Farben und Tempo, sondern vor allem durch Sound in einen Rausch zu versetzen. Die Farben schlagen sich in den ausgesprochen vielfältigen und originellen Kostümen nieder, die das gesamte Spektrum des Theaters und der Fantasy-Literatur abdecken.

Spektakuläres Bühnenbild

In einem akrobatischen Tanz umgarnen zwei archaische Männer eine sich diesem eindeutig eindeutig erotischen Tanz lustvoll wie eine Kurtisane hingebende Frau, die anschließend an die Rampe schreitet und sich singend beim Publikum für die Treue bedankt. Gemeint ist offensichtlich die hoffentlich überwundene Pandemie. Diese Dame entpuppt sich dann als Camerons Muse, an diesem Punkt der Inszenierung wohl noch als Erinnerung.

Um auch dem artistischen Aspekt einer solchen Show zu seinem Recht zu verhelfen, setzt jetzt eine Akrobatiknummer mit zwei gegenüber liegenden Schaukeln ein, bei der die Artisten zwischen den Schaukeln durch die Luft fliegen und mit scheinbarer Leichtigkeit zielsicher landen.

Dann trifft sich ein Paar – offensichtlich Cameron und seine Muse – in trauter Innigkeit und bei elegischer Musik in der Bühnenmitte; doch die liebevolle Zweisamkeit wird bald gestört durch eine Horde aggressiver Gestalten, die ihre Kreise immer enger um die beiden ziehen und schließlich über sie herfallen. Auch dies offensichtlich eine metaphorische Darstellung von Camerons Ängsten.

Dann zeigt eine kopfzahlstarke und scheinbar aus gleichermaßen langbeinigen wie blonden jungen Damen bestehende Tanzgruppe, wie präzise man einen Gruppentanz choreografieren und vor allem durchführen kann. Auf den Sekundenbruchteil exakt schnellen alle Beine hoch oder zu Seite, und die komplexen, sich gegenseitig durchdringenden Tanzfiguren der sich immer wieder teilenden und vereinigenden Gruppe erscheinen nach außen so einfach wie bei einem Fest eines Kindergartens. Man muss vor dieser tänzerischen Professionalität den Hut ziehen.

Die langbeinigen Damen und Camerons „alter ego“

So wechseln sich Szenen des Zweifels, der Angst oder gar der Resignation mit denen des Trotzes, des Mutes und des Optimismus in gekonnt arrangierter Folge ab, und dabei werden alle Register der Musik, des Tanzes und des erzählerischen Pathos gezogen. Vor allem letzteres ist für eine solche Show wichtig, will doch das Publikum zusammen mit den auf der Bühne Agierenden den gefährlichen Weg von der Niederlage durch Gefahren und Rückschläge bis zum strahlenden Happy End emotional hautnah miterleben. Und da hilft ein gerüttelt Maß an Pathos immer, sei es im Text oder in der Musik.

Gegen Ende begeistert dann die Artistengruppe das Publikum noch einmal mit einer großartigen Trapezshow mit atemberaubenden Luftschrauben. In anderen Szenen waten märchenhaft kostümierte Figuren durch Wasserflächen auf der Bühne, die teilweise Pooltiefe annehmen, so dass die Kostümierten bis zu den Schultern eintauchen.

Ein wahres Spektakel, das wohl kaum noch zu übertreffen sein dürfte, und das alles in jeder Hinsicht mit höchster Präzision und Tempo serviert. Man verlässt den Saal wie im Rausch und muss sich anschließend erst einmal herunterfahren.

Frank Raudszus

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