Wilhelm Hauff verbindet in seiner Erzählung „Das Wirtshaus im Spessart“ im Rahmen einer Entführungsgeschichte eine Gräfin samt Gefolge mit einem einfachen Goldschmied. Beide übernachten im selben, wegen angeblicher Überfälle übel beleumdeten Wirtshaus und geraten auch prompt in die Hände einer auf Lösegeld spekulierenden Räuberbande. Durch Tausch der Kleidung kann sich die Gräfin der Bande entziehen und Hilfe holen.
In den fünfziger Jahren wurde diese Erzählung als Film für ein Massenpublikum hergerichtet, wobei man natürlich ein spektakuläres Happy Ende benötigte. Kurzerhand verwandelte man den Räuberhauptmann in einen attraktiven aber verarmten italienischen Edelmann, während man der jungen Gräfin einen schon angejahrt-ängstlichen, erotisch nicht satisfaktionsfähigen adligen Bräutigam zur Seite stellte. Damit war ein von Hauff nicht so vorgesehenes, aber publikumskompatibles Ende möglich. Die Schauspielerin Lieselotte Pulver wurde mit diesem Film schlagartig berühmt.
Die Neue Bühne Darmstadt hat ihrer Inszenierung natürlich die bekanntere weil attraktivere Filmversion zugrunde gelegt. Dazu hat man die Bühne mit Baumattrappen vollgestellt, die nach einfachem Umdrehen als gräfliche Holzwände dienen. Auf dem Boden vermitteln verhängte Bänke und klein gesägte Baumstücke die unwegsame Umgebung eines dunklen Spessart-Waldes, in dem sich anfangs der Goldschmied (Stefan Peschek) und sein Reisegefährte (Dominik Kaiser) fast verirren.
Im Gasthaus führt die Wirtin Edda (Gabriele Reinitzer) ein hartes Regiment und lässt vor allem die ärmeren Gäste ihre Abhängigkeit spüren. Der fliegende Händler Jakob (Rainer Poser) steht ihr an Abgefeimtheit nicht nach. Als die Gräfin Franziska (Anna Baum) mit Bräutigam-Baron Sperling (Axel Räther) und Zofe Barbara (Miriam Zeller) eintrifft, dauert es nicht lange, bis die vierköpfige Räuberbande unter ihrem Hauptmann Roberto(Jürgen Knittel) einfällt, alle einsperrt und Lösegeld verlangt.
Nachdem Franziska in den Kleidern des jungen Goldschmieds geflohen und ihren Vater vergeblich um das Lösegeld angefleht hat, kehrt sie zurück, um irgendwie den als Gräfin dort ausharrenden Goldschmied und die anderen vor dem Tod zu retten, und dient sich dem Räuberhauptmann als unerschrockener Räubergeselle an. als dieser nächstens merkt, dass es sich hier um eine Frau handelt, beginnt die Handlung sich zu überschlagen.
Renate Renken hat dieses Stück mit viel Tempo und Witz inszeniert und garniert es, wo es geht, mit der die Dramatik unterstützenden Klaviermusik von Heike Pallas und den Liedern, die man noch als Schlager der 50er im Ohr hat („Ach das könnte schön sein…“). Die Kostüme decken den gesamten Bereich von adligen Beinkleider bis zu den Lumpen der Räubergesellen ab,. und Rainer Poser darf sogar in strahlend-weißer Militäruniform den schneidigen Major mit Berliner Tonfall auftreten. Den Darstellern macht es offensichtlich viel Spaß, diese romantische Komödie mit finsterem Wald, üblen Spelunken und mehr oder minder miesen Räubern glaubwürdig und mit dem nötigen Schmiss Ironie auf die Bretter zu bringen. Und schließlich kommt – mindestens gegen Ende – auch die Liebe zu ihrem Recht. Allerdings geht diese Version der Räubergeschichte nicht so weit wie die Komödien der Rokkoko-Zeit, bei dem zum Schluss die vermeintlichen Rebellen gnädig von den Herrschenden aufgenommen und rehabilitiert werden, sondern lässt das ungeplante Liebespaar einfach über alle Berge fliehen.
Die Rollenschwerpunkte sind hier nicht auf das übliche Liebespaar konzentriert, sondern breit über das gesamte Personaltableau gestreut. Anna Baum und Jürgen Knittel stehen als ungleiches Paar Gräfin und Räuberhauptmann zwar im Mittelpunkt und füllen ihre Rollen überzeugend aus, aber neben ihnen kommt das ganze Ensemble darstellerisch zu prägnanten Auftritten. Gabriele Reinitzer wirkt als Wirtin Edda bisweilen wie Brechts Mutter Courage, und Rainer Poser glänzt sowohl in der Rolle des hinterhältigen Händlers mit Sprachfehler wie in der des schneidige Sprüche klopfenden Offiziers. Axel Räther schlüpft ebenfalls in die diametralen Figuren des schon leicht senilen Barons und des handfesten Räubergesellen. Stefan Peschek und Miriam Zeller spielen das zweite Paar aus Goldschmied und Zofe ebenfalls glaubwürdig und mit der nötigen Präsenz, und die Statisterie kann mal beim Räuberspielen so richtig zupacken. Obwohl die Handlung eigentlich gruselig war und öfter vom Aufhängen und Köpfen gedroht wurde, überwogen doch die heiteren Momente und gaben viel Anlass zum Lachen.
Und schließlich stimmte auch die kulinarische Seite wieder, die typische Spessart-Gerichte von echten Räubern direkt an den Tisch lieferte.
Frank Raudszus
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