Eigentlich war für diesen Sonntagabend in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt der schaurige, politisch inkorrekte „Shockheaded Pater“, zu deutsch „Struwwelpeter“, angekündigt. Die erwartungsfroh eintrudelnden Besucher, ersichtlich als Kinder noch mit dem guten alten Buch des Frankfurter Arztes gefüttert, sahen sich mit einer krankheitsbedingten Absage konfrontiert. Wer wollte, konnte sich stattdessen die kürzestfristig angesetzte Ersatzveranstaltung „Cat Person. Storys“(sic!) anschauen, und dazu entschlossen sich dann doch nicht wenige.
Die Bühne war nur mit einem Tisch mit Requisiten und Stuhl sowie einem alten Ohrensessel drapiert, und dann erschien die Schauspielerin Edda Wiersch, Mitglied des „Shockheaded Peter“-Ensembles, und kündigte mit launigen Worten eine Einfrau-Veranstaltung mit ihrer Lesung von Kurzgeschichten der US-Amerikanerin Kristen Roupenian unter dem oben erwähnten Titel an.
Und schon ging es los: im großväterlichen Ohrensessel sitzend las sie eine Geschichte, die ein Großvater alter Couleur so seinen Enkeln nicht vorgelesen hätte. Eine junge Frau lernt einen etwas älteren Mann kennen, geht mit ihm aus und landet im Bett. Doch die Nacht endet mehr als ernüchternd, wenn auch Befürchtungen einer Vergewaltigung mit anschließendem Mord eher der banalen Realität einer erotisch völlig missglückten Nacht weichen. Anschließend hat sie praktische und moralische Probleme, die enttäuschende „One Night“-Beziehung zu beenden. Das Ganze ist in seiner erotischen Tolpatschigkeit teils ernüchternd, teils banal, teils sogar komisch, und bringt letztlich die schwierige Rolle der Frau in diesem brisanten Beziehungsumfeld treffend zum Ausdruck. Edda Wiersch las das Ganze mit einem nicht zu verkennenden sarkastischen Unterton, der sich nur mühsam hinter vorgetäuschter Naivität verbarg.
Nach einer auflockernden Gesangseinlage folgte als Gegenstück ein modernes Märchen, deutlich angelehnt an Pucchinis gerade in Darmstadt laufende Oper „Turandot“. Doch hier heiratet die Prinzessin auf Druck der Eltern einen der Verehrer, träumt aber weiterhin von dem Richtigen, nicht unter den Verehrern ausgemachten, steigert sich trotz Kindern und Königskrone in den ultimativen Liebhaber hinein, vermutet ihn in einer seltsamen Figur, verliert dabei ihre geistige Gesundheit, bringt schließlich – in Verwirrung oder aus Rache? – ihren Königsmann um, wird selbst Königin und stirbt irgendwann im Alter der britischen Queen. Ganz klar wurde die Aussage dieses ausgedehnten Märchens nicht, es sei denn, dass die Frau sich für all die Zuschreibungen und Zumutungen unter Verachtung aller Regeln und Konventionen rächt. Edda Wiersch las auch diese schräge Geschichte mit dem Unterton der abendlichen Kinderstunde und bebilderte das Ganze mit Playmobilfiguren und einem Playmobil-Schloss auf dem Tischchen, wobei sie die umgebrachten Figuren einfach umschnippte.
Nach einer weiteren, über die Liebe klagenden Gesangsdarbietung erzählte sie die letzte Kurzgeschichte nur frei aus der Erinnerung in Kurzform. Eine beißlustige Frau gewöhnt sich diese Unsitte zwar ab, aber bei einem sexuell übergriffigen Mann setzt sie sie spontan wieder ein, erntet begeistertes Lob von anderen Frauen ob ihrer Rache an diesem fiesen Typ und macht diesen Handlungstyp anschließend zu ihrem Markenzeichen bei dem Gang durch verschiedene Firmen.
Die Botschaft dieses Abends war klar: die Frauen wehren sich gegen übergriffige oder fremdbestimmende Männer mit allen Mitteln und werden das mit entsprechender Beißlust auch künftig tun. Wir werden in den kommenden Wochen die Nachfrage nach Maulkörben genau verfolgen.
Viel Beifall für Edda Wiersch, übrigens auch von den Männern, soweit das im Dunkel der Kammerspiele festzustellen war.
Frank Raudszus
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