In ihrem Roman „Die ungeduldigen Frauen“ prangert die Autorin Djaïli Amadou Amal Zwangsverheiratung, Polygamie und brutale Gewalt in der Ehe im heutigen Kamerun an. Die 1975 in Kamerun geborene Amal verarbeitet in dem Roman eigene Erfahrungen. Sie selbst wurde zwangsverheiratet, erfuhr in der ersten und in der zweiten Ehe Gewalt und Unterdrückung. Erst in einer dritten Ehe lebt sie als selbstständige Partnerin an der Seite ihres Mannes. Mit ihrer 2012 gegründeten Vereinigung „Femmes du Sahel“ kämpft sie für Frauenrechte in der Sahelzone.
In „Die ungeduldigen Frauen“ schildern drei Frauen aus ihrer jeweiligen Perspektive ihre Eheerfahrungen: die 17-jährige Ramal besucht bis zur Eheschlieung das Gymnasium und will Apothekerin werden; ihre Halbschwester Hindou erscheint nach außen als geduldige Tochter, die alles hinnimmt, was für sie geplant wird; die 35-jährige Safira ist die erste Frau von Ramals Ehemann, mit Ramal kommt zum ersten Mal eine Zweitfrau in ihr Leben. Dennoch bleibt die erste Frau die Herrin des Hauses, die zweite ist wie ihre kleine Schwester, die sie zu schützen und zu erziehen hat.
Alle Frauen erfahren in ihren Ehen, dass sie keinerlei Wertschätzung als Person erfahren. Ihre einzige Funktion ist, dem Mann als Liebhaberin zu Diensten zu sein und ihm möglichst viele Kinder zu gebären. Die Lebenswelten von Frauen und Männern sind strikt getrennt, die Frauen haben nur auf Einladung Zutritt zum Bereich der Männer. Schon von klein auf lernen sie, dass Geduld, „munyal“ in der Landessprache, die wichtigste Tugend der Frau ist.
Alle Konflikte oder Gefühle sind von den Männern fernzuhalten, sie wünschen Harmonie unter den Frauen. Wird eine Frau misshandelt, ist es auf ihre zu wenig demütige Haltung zurückzuführen, oder aber es ist einfach Schicksal und Allahs Wille.
Alle drei Frauen in diesem Roman versuchen gegen die Unterdrückung ihrer Bedürfnisse aufzubegehren.
Ramal hatte zunächst alle Bewerber zurückgewiesen, weil sie sich zu jung fühlte. Dabei gehört es sich jedoch nicht für eine Frau, einen Bewerber grundsätzlich abzuweisen, weil das die Ehre des Mannes beschädigt. Also hat sie jeweils um Aufschub gebeten, bis sie tatsächlich einen findet, den sie heiraten möchte. Tatsächlich stimmt der Vater zu, als der junge Mann um ihre Hand anhält. Allerdings unterschätzt er die Macht der Familie. Als sein ältester Bruder beschließt, Amal mit einem der reichsten Männer der Stadt zu verheiraten, kann auch der Vater nichts ausrichten. Amal selbst versucht mit aller Kraft bis zuletzt, sich gegen diese Zwangsehe als Zweitfrau zu wehren, jedoch ohne Erfolg. Gerade die Frauen der Großfamilie erweisen sich als diejenigen, die die herrschenden Normen am brutalsten durchsetzen. Es scheint wie die Rache der Älteren an den Jüngeren, um selbst erfahrenes Leid zu kompensieren und sich am Los der Jungen und Schönen zu weiden.
Am selben Tag wie Ramal wird auch ihre Halbschwester Hindou mit einem als brutal und alkoholabhängig bekanntem Cousin zwangsverheiratet. Sie trägt ihre Verzweiflung nicht nach außen, sondern macht sie mit sich selbst ab. Aus ihrer Erzählung erfahren wir von der Hölle, die sie in dieser Ehe durchmacht. Im Laufe der festgelegten Hochzeitsrituale gibt es einen kurzen Moment der Begegnung der Halbschwestern, in dem Ramal erkennt, dass Hindou genauso verzweifelt ist wie sie selbst, aber auch keinen Ausweg sieht. Hindou wird einen Fluchtversuch machen, der aber scheitert.
Safira wiederum erzählt ihre Geschichte als liebende und geliebte Ehefrau. Sie hat zwanzig Jahre in einer monogamen Beziehung gelebt, in der sie mit Geschenken überschüttet worden ist. Die Menge an Goldschmuck einer Frau steht für ihr Glück in der Ehe. Umso verzweifelter ist sie, als ihr Mann die schöne und kluge Ramal als Zweitfrau nimmt. Sie geht davon aus, dass Ramal ihren Mann umgarnt hat, um sich in sein Leben einzuschleichen. Safiras ganzer Hass gilt der armen Ramal. Sie schmiedet die wildesten Pläne, um Ramal in schlechtes Licht zu setzen und sich selbst als die überlegene Liebhaberin in Szene zu setzen. Erst als es ihr schon fast gelungen ist, Ramal zu vernichten, kommt es zum offenen Gespräch zwischen den beiden Frauen. Erst jetzt erkennt Safira Ramals tatsächliche Situation.
Alle Frauen in diesen Ehen sind gefangen im Teufelskreis von Normen und Traditionen. Die Frauen belauern sich gegenseitig, wo eine gegen diese Regeln verstößt und wo eine möglicherweise zeigt, dass sie unglücklich ist. Das ist nicht etwa Anlass zu Mitleid und Unterstützung, vielmehr zu Hohn und Spott. So verbirgt sich in dieser Frauenwelt jede vor den anderen, da weibliche Solidarität nicht zählt. Es bedarf sehr großen Muts, aus dieser Welt auszubrechen. Es bleibt offen, ob es Ramal gelingen wird, so wie es offenbar der Autorin selbst gelungen ist. Den Versuch macht sie jedenfalls.
Safira hingegen kämpft ganz innerhalb der ihr zugewiesenen Frauenrolle. Ihr Ziel ist es, die Einzige ihres Mannes zu bleiben. Dafür setzt sie ihre ganze erotische Kraft und jede erdenkliche Gemeinheit ein. Fluchtgedanken und Hoffnung auf ein anderes Leben formuliert sie nicht. Hindou wiederum scheint kapituliert zu haben.
In dieser Welt sind auch die Männer gefangen in den vorgegebenen Rollen von Männlichkeit. Ein monogamer Mann ist ein Schwächling, eine aufbegehrende Frau beschädigt seine Ehre. In der Familie hat er die Hierarchie zu beachten, die Familie ist der große Zusammenhang von Vätern und Brüdern, die stets über den Status und die Ehre der Familie wachen. Dem kann auch ein Mann nicht entrinnen.
Dieser Roman ist sicher nicht von erster literarischer Qualität, dafür haben die drei Geschichten zu sehr dokumentarischen Charakter, eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Aber wir erhalten ein so eindringliches Bild von der Situation dieser Frauen in Kamerun, dass unsere hiesigen Genderprobleme und Diskussionen um Gendersternchen sich sehr relativieren. Das soll nicht heißen, dass wir im europäischen Raum nicht weiter für Frauenrechte und eine gendergerechte Sprache kämpfen sollten, aber angesichts der Entrechtung von Frauen in anderen Erdteilen klagen wir auf hohem Niveau.
Deshalb sollten wir dieses Buch lesen, und zwar auch die Männer, um uns bewusst zu machen, wie es wohl um die Mehrheit der Frauen auf diesem Globus bestellt ist. Nur können wir helfen? Das können offenbar nur die betroffenen Frauen selbst, wenn es ihnen gelingt zu entkommen. Umso wichtiger ist es, Frauen wie Djaïli Amadou Amal und ihre Vereinigung „Femmes du Sahel“ zu unterstützen.
Warum sollten langfristig nicht auch in einem Land wie Kamerun Frauen als Individuen wertgeschätzt werden und als Partnerinnen auf Augenhöhe in einer Lebensgemeinschaft rechtlich anerkannt werden? Allerdings war das auch bei uns in Europa ein langer Weg, und wir sind immer noch auf dem Weg.
Der Roman ist im Orlanda Verlag in der Übersetzung aus dem Französischen von Ela zum Winkel erschienen, hat 172 Seiten und kostet 18 Euro.
Elke Trost
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