Ausgerechnet mitten im Zweiten Weltkrieg inszenierte der Broadway die schwarze Komödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ von Joseph Kesselring. Die anschließende Verfilmung mit Gary Grant in der Hauptrolle wurde zu einem weltweiten Kassenschlager. Die Geschichte ist makaber genug und konnte zu Kriegszeiten wohl auch nur im weiten Amerika in die Kinos gebracht werden. Jetzt hat die Hessische Spielgemeinschaft das Stück auf Hessisch umgeschrieben und es auf der Terrasse des Staatstheaters dem lokalen Publikum zum ersten Mal präsentiert.
Der Theaterkritiker Mortimer Brewster besucht seine beiden alten Tanten, hauptsächlich wegen der hübschen Nachbarstochter Elaine, die dort ein- und ausgeht. Sein Bruder Teddy ist dem Wahn verfallen, Präsident Roosevelt – der erste um die Jahrhundertwende – zu sein, und baut im Keller des Hauses den Panama-Kanal, wie er seinem süßsauer lächelnden Bruder wortreich erklärt.
Zufällig entdeckt Mortimer in einer Kommode die Leiche eines Mannes und schreibt diese Tatsache sofort seinem Bruder zu. Bei seinen verzweifelten Bemühungen um Aufklärung und Schadensbegrenzung erfährt er von seinen Tanten, dass dieses nicht der erste Todesfall sei und sie bereits elf weiteren einsamen älteren Herren mit Hilfe von etwas Arsen einen würdigen Übergang in die Ewigkeit ermöglicht hätten. Daher auch die Grabungsarbeiten am vermeintlichen Panamakanal im Keller. In hellem Entsetzen versucht Mortimer einerseits, die ahnungslose Elaine herauszuhalten, und andererseits, seinen Bruder als Geistesgestörten möglichst unauffällig wegschließen zu lassen. Doch da taucht plötzlich sein anderer Bruder Jonathan, der schon als Kind durch seine Brutalität auffiel und eine lupenreine Kriminellenkarriere hingelegt hat, mit seinem Gesichtschirurgen Einstein und einer Leiche im Auto auf, um eine Weile hier unterzutauchen. Mit Drohungen gegen Tanten und Bruder setzt er ein Bleiberecht durch, und jetzt überschlagen sich die Ereignisse, zumal auch noch der lokale Polizist wegen einer Routinesache erscheint.
Marga Hargefeld – selbst als Tanta Abby auf der Bühne aktiv – und Ralf Hellriegel – seines Zeichens der schreckliche Jonathan -, haben die Geschichte ins Hessische übersetzt und eine Reihe von lokalen Anpassungen eingebracht. So spielt das Stück im US-amerikanischen Darmstadt (Illinois), das dann im Laufe der Handlung mit dem ursprünglichen Darmstadt zusammenfließt. Da gibt es natürlich eine Reihe von Anspielungen , die nur „Heiner“ – so die inoffizielle Bezeichnung für die Darmstädter – verstehen. Mindestens drei Mal fällt die fragende Bemerkung „Ihre Physiognomie kommt mir irgendwie bekannt vor“ – natürlich auf hessisch! – aus der Kult-Lokalposse „Datterich“, und auch sonst wird jede Gelegenheit für kleine Seitenhiebe auf lokale Besonderheiten genutzt.
Um die Handlung aufzulockern, hat die Regie in Gestalt von Judith Kuhnert Musical-Elemente eingebracht. Nach verschiedenen Szenen erklingen dann bekannte US-Schlager mit szenisch passenden Texten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gesungen von Benjamin Geipel und Sophia Garnier (Elaine) und/oder vom Tutti des Ensembles und begleitet von einem Instrumental-Duo in den Kulissen. Bei den szenischen Ereignissen kommt es nicht in erster Linie auf Realitätsnähe an. In augenzwinkernd ironischer Selbstreferenz steigt dann die Leiche bei ihrem Transport auch mal selbst aus ihrem Behälter und murmelt etwas von „mangelnder Professionalität“, und die elf Vorgänger des aktuellen Toten treten als grau gekleidetes und geschminktes Gesangsensemble auf.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen jedoch Mortimer (Benjamin Geipel), die beiden Tanten (Marga Hargefeld und Karin Heist) sowie Jonathan (Ralf Hellriegel). Die beiden Damen spielen den Part der naiven, in einer moralischen Parallelwelt lebenden Tanten mit viel Sinn für den grotesken Kontrast zwischen der gesellschaftlichen Realität „draußen“ und ihrem ganz eigenen sozialen Empfinden. Das Komik-Potential nutzen sie dabei voll aus und ernten entsprechend viele Lacher. Bei den Männern hat Ralf Hellriegel die dankbarste Rolle, denn richtig fiese Bösewichter ziehen auf der Bühne allemal besser als die meist langweiligen Guten. Hellriegel nutzt diese Chance nicht nur mit imponierender körperlicher Präsenz, sondern auch mit dem, was man in Darmstadt ein „Schlappmaul“ nennt, will sagen: sein Jonathan nimmt kein Blatt vor den Mund und macht allen Anwesenden klar, warum er ein so erfolgreicher Killer geworden ist und dass er genau so viele Opfer auf seiner Liste hat wie die Tanten. Und es könnten noch mehr werden, wenn sie nicht parieren – vor allem Mortimer.
Natürlich geht am Ende alles gut aus, wie es sich für eine Komödie gehört, der Bösewicht wird bestraft und über den Keller der Mantel des Schweigens ausgebreitet, wobei auch noch die Polizei wegen ihrer Unfähigkeit ihr Fett abkriegt.
Um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, bedient sich das Ensemble durchweg eines gemäßigten Dialekts, der für die Einheimischen noch erkennbar und für die Zugereisten noch verständlich ist. Das tut der Wirkung aber keinen Abbruch, und der Beifall des Publikums am Ende zeigte, dass diese Inszenierung durchaus zu einem Publikumsrenner werden kann.
Frank Raudszus
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