In „Liebe in Zeiten des Hasses“ entfaltet Florian Illies das Lebensgefühl von in der Mehrheit deutschen Künstlern, Schauspielern, Regisseuren und Intellektuellen in einem chronologischen Durchgang durch die Jahre von 1929 bis 1939.
Berlin ist in den späten 20er Jahren das Zentrum der deutschen alternativen und avantgardistischen Szene, Paris ist das europäische Zentrum. Die Moderne räumt mit allen normativen und moralischen Grenzen auf, man probiert neue Lebensformen, experimentiert mit bewusstseinserweiternden Drogen, man hinterfragt die äußerliche Rechtschaffenheit der bürgerlichen Welt, soziale Missstände werden angeprangert, entfesselter Individualismus und neues gesellschaftliches Bewusstsein schließen sich nicht aus.
Illies führt uns in die Welt der großen Namen der kulturellen und intellektuellen Szene, er lässt uns hinter die Kulissen der großen Show blicken und zeigt die Menschen dahinter, insbesondere wie sie ihr Liebesleben gestalten.
In Berlin treffen sie sich im „Romanischen Café“: Marlene Dietrich und ihre Männer, Brecht und Helene Weigel, Kurt Weill und Lotte Lenya, die Familie Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky und viele mehr.
In Paris begegnen sich Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre und werden zum Paradepaar moderner Liebesbeziehungen. Pablo Picasso mietet für seine Geliebte Marie Therèse eine Wohnung in Paris, seine Ehefrau Gala malt er nur noch selten.
Illies beginnt den Reigen der berühmten Liebespaare im Jahr 1929. Die Welt ist schon bedroht von dem zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten auf die Politik der Weimarer Republik. Noch aber versuchen die künstlerischen und intellektuellen Eliten die Gefahr zu ignorieren und hren jeweils eigenen Plan zu verfolgen.
Die heutige Leserin ist konsterniert angesichts der Atemlosigkeit, mit der diese Menschen ihr Leben führen. Ohne Rücksicht auf Gefühle anderer wird im Namen von Emanzipation und Fortschritt kreuz und quer geliebt, werden mehrere Verhältnisse gleichzeitig neben der ehelichen Verbindung gepflegt, heterosexuelle wie homosexuelle Beziehungen praktiziert.
Diese Menschen bewegen sich in einer Scheinwelt zwischen Berlin, Paris und der Côte d’Azur. Auch mit dem Geld nimmt man es in diesen Kreisen nicht so genau. Entweder man hat es, dann kann man es ausgeben. Oder man hat es nicht, dann macht man Schulden oder lebt auf Kosten wohlhabender Freunde.
Trotz dieses hitzigen, schnellen Lebens, das oft auch von Drogen- und Alkoholmissbrauch geprägt ist, sind diese Menschen ungeheuer kreativ. Die Bühnen reißen sich um moderne Texte, Filmregisseure in Hollywood melden sich. Manche machen das ganz große Geld.
Illies begleitet sein Personenkarussell von Jahr zu Jahr, bis 1933 scheint der Aufwind für die Kreativen ungebrochen.
Dann kommt mit der Machtübertragung an Hitler im Januar 1933 der Umbruch. Illies schildert, wie sich insbesondere das Leben der jüdischen und kommunistischen Künstler und Intellektuellen dramatisch ändert. Viele verlassen sofort Deutschland. In Paris und in Südfrankreich entstehen wahre Künstlerkolonien. Die Menschen setzen hier zunächst den gewohnten Lebensstil fort, die meisten glauben nicht, dass der Spuk lange dauern wird.
Zum Teil erscheint es fast zynisch, mit welcher Nonchalance etwa ein Brecht mit seinen Frauen umgeht, was er ihnen auch im Exil zumutet. Noch erstaunlicher, was diese Frauen, die z.T. eine eigene Karriere anstreben, mit sich machen lassen.
Diese unter dem Anspruch des Fortschritts laufenden modernen Liebesbeziehungen sind in den meisten Fällen bestimmt von den Männerbedürfnissen, sie sind demnach gar nicht emanzipatorisch, sondern entsprechen alten Mustern männlicher Dominanz. Da sollen Frauen nicht eifersüchtig sein, sollen ihre menschliche Größe zeigen, indem sie die Geliebten akzeptieren, sollen auf Kinder verzichten, wenn der Mann es so will. In diesem Lichte besehen ist auch der Beauvoir-Sartre-Mythos mit einem dicken Fragezeichen zu versehen.
Es muss schon eine Dietrich, eine Anaïs Nin oder eine Alma Mahler-Werfel sein, wenn eine Frau die Kraft haben will, den Spieß umzudrehen und ihrerseits mit den Männern zu spielen.
Illies hat keine Scheu, große Namen in einem neuen Licht zu zeigen, denn künstlerische oder intellektuelle Größe ist nicht notwendig mit menschlicher Größe verbunden.
Illies Buch räumt gründlich auf mit der Verklärung großer Stars, die im Rampenlicht standen. Vielmehr wird sichtbar, wie viele Werke und künstlerische Leistungen gegen große Widerstände in der eigenen Person wie auch in den äußeren Umständen entstanden.
Wir nehmen als Leserinnen und Leser auch teil an der zunehmenden Verzweiflung vieler Exilanten, je gefährdeter ihre Existenz im französischen Exil ist. Depression, Alkohol, Drogen sind für manch einen die letzte Station, wo es keine erlösende Flucht gibt.
Illies begleitet die Schicksale seiner Entourage über zehn Jahre, als Leserinnen werden wir immer vertrauter mit Gewohnheiten und Liebschaften der Protagonisten und Protagonistinnen, so dass wir immer stärker in den Sog dieser Lebenswege geraten.
Sicher ist auch ein wenig Voyeurismus dabei, schauen wir doch ziemlich direkt in die Schlafzimmer von Berühmtheiten. Es überwiegt aber die Neugier auf die Hintergründe dieser Epoche, die so vielversprechend begann und so desaströs endete.
Illies trägt viel Wissen zusammen, das so geballt über so viele Menschen sonst selten zu finden ist. Das lohnt die Lektüre allemal.
Gegen Schluss wird das Buch etwas eilig, da stellen sich sprachliche Schnitzer und einige sachliche Ungenauigkeiten ein, die ein präziseres Lektorat hätte ausmerzen sollen. Vielleicht ist es aber auch verzeihlich, dass ein so umfangreich recherchiertes Buch Heiligenhafen an die Nordsee verlegt. Wer kennt dieses Nest schon, das an der Ostsee liegt! Die Vorkriegsszene in Berlin, in Paris und Südfrankreich ist sorgfältig beschrieben.
Ich habe dieses Buch mit großem Interesse verschlungen.
Das Buch ist im S. Fischer Verlag erschienen, es hat 432 Seiten und kostet 24 Euro.
Elke Trost
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