Der Roman „Die Unschärfe der Welt“ spielt in Siebenbürgen und im Banat von der Zeit des rumänischen Königs Michael bis hin zum Sturz des Diktators Ceaucescu, eine Zeitspanne, die rund ein Jahrhundert umfasst. Erzählt werden in sieben Kapiteln die unterschiedlichen Schicksale mehrerer Generationen einer Familie. Alle wurden sie geprägt in Rumänien, in einer Dorfgemeinschaft, die von der Scholle lebt und deren Horizont von Bergen und Flüssen begrenzt ist., und manche von ihnen verschlägt es später nach Süddeutschland.
Der Roman beginnt mit der Pfarrersfrau Florentine, die sich hochschwanger von einem Pferdeschlitten zur nächsten Bahnstation fahren lässt, von wo sie mit dem einzigen Zug ins nächste Krankenhaus fährt. Bereits eine Woche lang hat es geschneit, und die umliegenden Dörfer, Äcker und Höfe sind unter dem Schnee verschwunden. Florentines Ehemann Hannes, Fußball- und Gitarrespieler mit dunklem Vollbart und halblangem Haar, hat hier im Banat seine erste Pfarrstelle angetreten. Florentine ist in der Stadt aufgewachsen und weiß nicht, was ihr das Landleben abverlangt. Doch sie setzt alles daran, dass ihr das Experiment gelingt.
Der Aufenthalt im Krankenhaus wird zum Horrortrip. Die Toilette besteht aus zwei Löchern, wobei in einem davon noch ein winziger Fötus liegt. Es ist alles sehr archaisch, der Ton des Arztes ausgesprochen ruppig, und so ist sie froh, als ihre Blutung gestoppt ist und sie nach Hause fahren kann.
Im Frühjahr bringt sie dann ihren ersten Sohn zur Welt. Er heißt Samuel und wird noch mit zweieinhalb Jahren nicht sprechen. Florentine erklärt sich diesen Defekt mit ihrer eigenen Schweigsamkeit dem Kleinen gegenüber. Dann ist „Schnee“ das erste Wort, mit dem Samuel seine Mutter überraschen wird.
Iris Wolff verwebt eigene Erlebnisse aus dem privaten Bereich oder aus der Dorfgemeinschaft – etwa Spitzeltum – mit politischen Elementen wie Folter der Securitate, aber auch mit Ausläufern des Zweiten Weltkrieges und schließlich mit einer waghalsigen Flucht aus Rumänien nach Deutschland. All diese Ereignisse sind eingebettet in die persönlichen Biographien der handelnden Personen des Romans. Jedoch geht es dabei hauptsächlich um die Personen selbst – ihre Gefühle, ihre Eigenarten, ihre Wünsche, aber auch ihre Lebenstüchtigkeit.
All das wird in einer sinnlichen, ausdrucksstarken Sprache erzählt, die dem Leser unter die Haut kriecht. Immer wieder muss man innehalten, um Textpassagen nochmals zu lesen, auf sich wirken zu lassen, ja: förmlich zu schmecken.
Das Buch ist im Verlag Klett-Cotta erschienen, umfasst 213 Seiten und kostet 20 Euro.
Barbara Raudszus
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