Die Protagonistin des Romans „Ich bleibe hier“ wächst als Bauerntochter im Südtiroler Graun auf. Ihre Mutter gibt ihr einen lebensbegleitenden Satz mit: „Vorwärts schauen, das ist die einzige Richtung, die erlaubt ist. Sonst hätte Gott uns die Augen seitlich gemacht wie bei den Fischen“.
Dieser Satz ist es, der schon für die junge Frau gilt. Sie wird Lehrerin und möchte ihren Beruf mit Begeisterung ausüben. Doch inzwischen, im Jahr 1936, sind die Faschisten an der Macht, und das deutschsprachige Südtirol wird mit allen Mitteln gezwungen, italienisch zu werden. Als erstes wird die deutsche Sprache verbannt und der Unterricht nur noch von schlecht ausgebildeten Italienern gehalten. Die Einheimischen verlieren ihre Arbeit, dafür werden Süditaliener angesiedelt und übernehmen die Jobs. Dann verliert unsere Heldin ihre Tochter auf eine schier unglaubliche Art an eine unbekannte Familie.
Schließlich bricht der Zweite Weltkrieg aus, und der Ehemann muss an die Front. „Nach vorne schauen“ ist wieder angesagt. Irgendjemand muss schließlich den Bauernhof weiterführen. Doch die Wunde durch den Verlust der Tochter will sich nicht schließen.
Als der Ehemann verwundet und traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt, beschließt das Paar, über die Berge zu fliehen, und riskiert damit die Verurteilung des Mannes als Deserteur. Jeden einzelnen Tag müssen sie von jetzt an ums nackte Überleben kämpfen.
Als sie schließlich das Ende des Krieges feiern können und wieder ein normales Leben auf ihrem Hof führen wollen, verlieren sie ihre Existenz durch den Bau eines Staudamms, der das ganze Tal überfluten wird. Kann ein Mensch so viel ertragen?
Am Ende des Romans sagt die Protagonistin „So geht es mir schon mein ganzes Leben. Am Ende muss ich mich von Dingen befreien, sie zerreißen, sie von mir wegschieben. Ich glaube, das ist mein Mittel, um nicht wahnsinnig zu werden.“. Ja, denkt sich der Leser, das ist der einzige Weg, noch weiter existieren zu können.
Heute ist die Gegend um den Reschensee, der durch den Stausee entstand, eine Touristenattraktion, und kaum jemand weiß um die tragischen Existenzen der vorigen Generationen.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 280 Seiten und kostet 22 Euro.
Barbara Raudszus
No comments yet.