Peter Handke nennt sein neues Buch „Das zweite Schwert – Eine Maigeschichte“. Hier bricht einer auf, um Rache zu nehme. Es geht um Wut und um Gewaltfantasien, insgesamt um die Ungerechtigkeit der Welt.
Warum aber „Das zweite Schwert“? Es bezieht sich auf ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium (Lukas 22, 36-98), das Handke seiner Maigeschichte voranstellt. Diese Stelle im Evangelium ist sehr verrätselt und hat die unterschiedlichsten Deutungen erfahren. Jesus rät vor seiner Kreuzigung seinen Jüngern, sich mit Geld und Ranzen auszustatten. Wenn sie das aber nicht haben, sich ein Gewand zu kaufen und ein Schwert. Als die Jünger ihm sogar zwei Schwerter zeigen, sagt Jesus: „Das genügt.“ Wie kann nun der Friedensprediger Jesus für das Schwert sprechen? Allgemein wird das so gedeutet, er wolle den Jüngern mit auf den Weg geben, dass sie fortan sich selbst beschützen müssen, wenn er es nicht mehr kann. Was nun aber ist das „zweite Schwert“, wie ist das in der Erzählung zu verstehen? Verweist das „zweite Schwert“ auf eine geistige Dimension der Selbstverteidigung? Die Deutungsgeschichte der Schwertmetapher ist höchst kompliziert und zum Teil widersprüchlich.
Ein solch seltsamer Widerspruch durchzieht auch Handkes schmalen Band: Der einerseits friedliebende Erzähler, der sich der Natur zuwenden, auf sie hören kann, das Vogelgezwitscher genau identifizieren kann, ist gleichzeitig getrieben von einem Rachegelüst, das ihn anstachelt aufzubrechen, um seine längst verstorbene Mutter zu rächen, die von einer anderen Frau vor Jahren verunglimpft worden sei.
Der Aufbruch zu diesem „Rachefeldzug“ erfolgt spontan, kurz nach einer lang ersehnten Heimkehr, aus einer geradezu idyllischen Situation der häuslichen Stille.
Er, der Friedliebende, der sich angewöhnt hat, mit den von der Welt Vergessenen und vom Leben nicht Verwöhnten in der Dorfkneipe oder auf den Stufen ihrer Unterkunft zu plaudern, ausgerechnet er ist besessen von dem Gedanken zu töten. Er findet niemanden, der das für ihn tun will, und er versteht, dass er die Rache selbst vornehmen muss.
Der Aufbruch erfolgt in aller Ruhe. Nach sorgfältigem Ankleiden mit frisch gebügeltem weißen Hemd und einem dreiteiligen Dior-Anzug macht er sich auf den Weg über das Ile-de-France-Plateau. Mit Bahn und Bus, dann zu Fuß und schließlich mit dem Taxi geht es zu der verlassenen Klosterruine Port-Royal-des Champs, wo er innere Einkehr hält.
Auf-dem-Weg-Sein ist die Möglichkeit, die Menschen um ihn herum zu beobachten und gleichzeitig über die Menschen zu reflektieren, die ihm in seinem Leben begegnet sind. Dabei ist ein Unterton der Selbstgerechtigkeit des Ich-Erzählers unverkennbar. Er gibt sich als der Wissende, der die Menschen erkennt, während sie ihn gar nicht wahrzunehmen scheinen, obwohl er mit seiner für den Weg viel zu eleganten Kleidung auffallen müsste. Niemand erkennt offenbar, dass er etwas Besonderes ist.
Insbesondere in seinem Verhältnis zu Frauen empfindet er eine solche Unachtsamkeit gegenüber der Besonderheit seiner Person. Immer wieder sind es die Frauen, deren anfängliche Liebe zu ihm in Hass und Feindschaft umschlägt. In ihm wiederum rufen insbesondere die Frauen Gewaltfantasien wach, die ihn an seinem Tun und Lassen hindern.
Die allgemeine Frauenfeindschaft des Erzählers richtet sich nun mit aller Wucht auf diese eine Frau, die in einem Zeitungsartikel nicht nur über ihn selbst hergefallen sei, sondern eben auch über seine „heilige Mutter“.
Das Rachebedürfnis wird genährt von einer grundsätzlichen Wut auf alles Kritische, das für den Erzähler in den Zeitungen kulminiert: Deren öffentliche, scheinbar glatte Sprache – „ohne Anrempelworte“ (was er damit meint, bleibt unklar) – empfindet er als den „Gipfel der Gewalttätigkeit“, denn sie verstehe sich als die alleinrichtige, die alles besserwissende, allesdeutende. Zeitungen richteten auf diese Weise „auf dem Erdkreis das größte Unheil“ an und fügten ihren „wehrlosen Opfern nie wiedergutzumachendes Unrecht“ zu.
Bestärkt wird diese Sicht durch die Haltung des Richters, dem er in der Abgeschiedenheit der Klosterruine von Port-Royal-des Champs begegnet. Auch dieser Richter ist erfüllt von einer Wut. Seine Wut bezieht sich auf die „Rechtsmißbraucher“: Ihnen müsse seiner Meinung nach die höchste Strafe gelten, denn sie täten ihren Opfern „Unheil um Unheil, Weh um Weh, unrecht um Unrecht“ an. Sie spielten ihre Rechte gegenüber anderen in übertriebener Weise aus, als ginge es um ihren Existenzbeweis.
Hier begegnen sich zwei, die erfüllt sind von Wut über andere, über alle, die nicht so tiefgründig und gerecht sind wie sie selber, die sich deshalb auch zum Maßstab aller Dinge machen.
Und was wird aus dieser Wut, aus den Rachegedanken und dem Mordgelüst?
Die Wut des Richters verklingt nach seiner Ansprache gegenüber dem Erzähler, die wie ein Selbstgespräch ist, und weicht einer kontemplativen Haltung. Wichtig ist nur noch die Betrachtung des Schönen, das ist hier das Scheunendach der Klosterruine. Dieser Ort und dessen Betrachtung verbindet sie als Gleichgesinnte.
Der Erzähler wiederum findet einen anderen Weg aus seinem Rachefeldzug heraus. Ganz nahe am Ziel, der Wohnung der Verleumderin, mischt er sich unter die Gäste eines Festes. Hier findet er seine Rache: Die Verleumderin ist nicht Teil seiner Geschichte, von ihr wird nicht erzählt, das ist seine Rache: „Nicht das Schwert aus Stahl, sondern das andere, das zweite.“
Handkes „zweites Schwert“ ist die Macht des Wortes. Er muss nicht töten, er kann mit dem Wort viel mehr erreichen, und zwar gerade mit dem nicht gesprochen Wort. Die Frauenfeindin, die Verleumderin, wird bedeutungslos gerade dadurch, dass sie unterschlagen wird. Sie wird nicht physisch getötet, sondern gedanklich, aber der Impuls bleibt gewalttätig.
Handke trägt diesen „Rachefeldzug“ in einem eigentümlichen Ton vor: Der Erzähler wechselt vom kontemplativen betrachtenden Ton zu aggressiv anklagenden Ton, dann wieder als Selbstgespräch im Bibel -Ton, als wolle er sich selbst oder auch seine Leser zur Konzentration auffordern mit Appellen wie „und hör doch“, „siehe“, „und da schau her“.
Der ganze Text ist wie ein Selbstgespräch, bisweilen im Telegrammstil, mit Wiederholungen, mit unvollständigen Sätzen. Häufig ruft er sich zur Ordnung, wo ihm zum Klischee erstarrte Worthülsen unterlaufen: „sozusagen, kein sozusagen!“ oder „Nein, kein ‚gleichsam‘.“, um beides dann doch wieder und wieder zu benutzen.
Sicher ist Handke ein großer Jongleur mit der Sprache, der alle Register zieht: präzise Beschreibungen, genaue Beobachtung, stichwortartige Gedankenfetzen, implizite Kritik an nachlässiger Sprache. Sicher gibt es immer wieder durchaus tiefgründige Betrachtungen über sein Verhältnis zur Welt. Der Bezug zur religiösen Weltsicht Pascals, der mit dem Kloster Port-Royal eng verbunden war, ist ihm dabei ein Leitfaden.
Dennoch hat diese schmale Band mich besonders nach der zweiten Lektüre mit seiner Wut angesteckt: Wut auf den Erzähler, Wut auf den Autor. Hier spricht ein offenbar beleidigter Handke, der sich von der heftigen Diskussion um seine Person nach der Verleihung des Nobelpreises ungerecht behandelt und missachtet fühlt, der Kritik in erster Linie als narzisstische Kränkung empfindet.
Mit der Kraft seines Wortes nimmt er Rache an all denen, die ihm den Nobelpreis nicht gegönnt haben, die seine politische Sicht angeprangert haben, die zwischen Literatur und Realität nicht unterscheiden wollen, die alte Geschichten von seiner angeblichen Gewalttätigkeit hervorgekramt haben.
Handke gibt mit diesem Buch dem Leser nun selbst einen Anlass, nicht zwischen Werk und der Person des Autors zu unterscheiden.
Zu sehr ist dieses Bekenntnis zu den eigenen Gewaltphantasien und auch tatsächlichen Gewaltausbrüchen – zugegeben wird einer – auch gleichzeitig Rechtfertigung: Menschenhass und Gewaltfantasien als Kehrseite großer Menschenscheu, als Reaktion auf traumatische Kindheitserfahrungen, als der Stiefvater die Mutter misshandelte.
Sein zweites Schwert bedeutet das Ignorieren aller Vorwürfe und all derer, die ihn kritisieren. Hier spricht ein Handke, der sich alleine gegen die widrige Welt gestellt sieht: Ich lebe in einer anderen Welt, die ihr alle gar nicht kennt und wahrnehmt, die ihr auch gar nicht versteht. Sein zweites Schwert ist das der Verachtung all der – aus seiner Sicht – selbstgerechten Besserwisser. Die Frage ist nur, wer hier eigentlich der Selbstgerechte ist.
Vielleicht muss man das Buch auch ganz anders lesen. Mir selber ist die Lust an weiterer Handke-Lektüre vergangen.
Das Buch ist im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 157 Seiten und kostet 20 Euro.
Elke Trost
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