Musik zum November

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Der Monat November ist vor allem in Deutschland mit einer Fülle von kontrastreichen Daten versehen, von der Komik des 11.11. über die changierende Bedeutung des 9.11. bis hin zu den unspezifischen, aber ernsthaften Trauertagen: Volkstrauertag und Totensonntag. Da überlegt man sich als musikalisches Ensemble schon, was man dem Publikum in einem Kammerkonzert präsentiert. Das Signum-Quartett mit Florian Donderer und Annette Walther an der Violine, Xandi van Dijk an der Viola und Thomas Schmitz am Violoncello hatte für das 3. Kammerkonzert am Staatstheater Darmstadt ein ausgewogenes Programm zusammengestellt, das jedoch den ernsthaften Charakter der Jahreszeit von Stück zu Stück stärker betonte.

Das Signum-Quartette: v.l.n.r. Thomas Schmitz, Annette Walther, Xandi van Dijk und Florian Donderer

Am Anfang stand Beethovens erstes Streichquartett op. 18 Nr. 3 aus dem Jahr 1798. Beethoven stand hier noch ganz in der Tradition Haydns, bei dem er auch Unterricht in dieser Gattung nahm. Der erste Satz beginnt liedhaft-geschmeidig, gar nicht so, wie man Beethoven aus den geradezu schon sprichwörtlichen „letzten Streichquartetten“ kennt. Fast nachdenklich wandern die Instrumente durch das thematische Material, und das Schroffe, Kompromisslose späterer Werke deutet sich hier nur an. Im zweiten Satz (Andante con moto) wirkt das Wechselspiel der Instrumente zeitweise geradezu minimalistisch. Dagegen kommt das Allegro des dritten Satzes eher wie ein Scherzo daher, das man hier auch erwartet. Der Finalsatz zeichnet sich durch ein ausgesprochen komplexes Zusammenspiel der Instrumente aus. Intensives Frage-/Antwortspiel, Wandern von Motive durch die Instrumente und schnelle dynamische Wechsel verleihen diesem Satz einen typisch Beethovenschen Charakter.

Das Signum-Quartett versuchte nicht, dieses Werk mit der Aura des späten Beethovens aufzuladen, sondern interpretierte es als das, was es ist: das Erstwerk dieser Gattung, das noch unter dem Einfluss der Vorgänger steht. Dennoch war es nicht nur zum „Warmspielen“ für das Restprogramm gedacht, sondern erfüllte sowohl von der Qualität dieser Musik als auch vom Vortrag einen hohen Anspruch. Dabei überzeugten vor allem das präzise Spiel und die zupackende, bei Bedarf aber auch feingliedrige Interpretation.

Das darauf folgende Stück „Fratres“ von Avo Pärt aus dem Jahr 1977 wirkt fast wie ein Stück mittelalterlicher Musik für Streichquartett. Die über weite Strecken homophone Musik erweckt durch die Intonation der Spieler streckenweise den Eindruck eines altertümlichen Blasinstruments. Gleichlaufende, sich ähnelnde melodische Figuren laufen in langsamem Tempo auf und ab und erzeugen dabei einen fast rituellen Charakter. Aus dem zarten Beginn entwickelt sich langsam aber stetig eine immer weiter zunehmende klangliche und dynamische Fülle, die jedoch nie den gesanglichen Rahmen verlässt. Der Titel dieses Stücks verweist auf die Herkunft der Idee aus den Gesängen der Mönche in früh-mittelalterlichen Klöstern.

Anschließend daran erklang Alfred Schnittkes Streichquartett Nr. 3, das sich im Wesentlichen um Zitate aus mehreren musikalischen Epochen dreht. Gleich zu Beginn ertönt für einige Takte unüberhörbar Musik von Orlando die Lasso, gefolgt von dem Fugen-Thema aus Beethovens Streichquartett op. 131, das jedoch nur Kenner heraushören. Nicht jeder Konzertbessucher hat dieses Thema im Kopf. Ähnliches gilt für die Tonfolge „d-es-c-h“, die an Dimitri Schostakowitsch erinnern soll. Man erfährt es aus dem Programmheft, doch nur der Musikexperte kann diese Folge in der Musik Avo Pärts unverwechselbar erkennen. Doch damit nicht genug: im Laufe der nahtlos durchgespielten drei Sätze treten weitere Zitate und Anspielungen an Komponisten wie Beethoven oder Orlando di Olasso auf, die man zwar als solche identifizieren kann, aber nicht muss. Diese Spekulationen bleiben Partiturkennern überlassen. Für den Zuhörer ist hier der stete Wechsel zwischen tonalen Zitaten aus verschiedenen Epochen und der modernen, bisweilen atonalen harmonischen und metrischen Umgebung unüberhörbar und spannend. Schnittke versucht in diesem Stück tatsächlich, die Stile verschiedener Epochen nicht nur in einer Komposition zusammenzuführen, sondern auch miteinander zu verbinden und ineinander zu integrieren. Das führt zu ganz neuen Hörerfahrungen, ist aber sehr schwer zu spielen, das es keinen homogenen, in sich geschlossenen musikalischen Deutungsraum gibt. Doch das Signum-Quartett meisterte diese Herausforderung souverän und ließ keinen Augenblick der Unschlüssigkeit oder Inkonsequenz erkennen. Sowohl die eingängigen Motive als auch die schroffen Dissonanzen und überfallartigen dynamischen Eruptionen kamen voll zum Tragen, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Eine beeindruckende Interpretation!

Hatten bereits die beiden modernen Werke musikalisch mit eher moribunden Motiven gespielt, so wurden diese jetzt in Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ zum Hauptthema. Gleich die ersten Takte verweisen auf die Endgültigkeit und Gnadenlosigkeit des Todes, und durch alle vier Sätze zieht sich der Kampf des flehenden Mädchens mit dem mal schmeichelnden und lockenden, mal fordernden und drohenden Tod. Der erste Satz verbreitet neben den Ausbrüchen mit seinen distanzierten, wenig eingängigen Motiven eine seltsam jenseitige Atmosphäre, während der zweite Satz mit seinen Variationen des Liedthemas streckenweise wie ein Requiem wirkt. Hier wird das Thema des Todes in seiner Variabilität zentral intoniert. Das Scherzo des dritten Satzes kommt akzentuiert und unerbittlich daher, nur kurz unterbrochen vom Hoffnung schöpfenden Trio. Der Finalsatz schließlich fasst den Werdegang der drei vorangegangenen Sätze in einem fast schon brutalen Presto zusammen, das selbst die kurze Hoffnung des Trios ad acta legt. Die dynamischen Kontraste und vor allem die plötzlichen Pausen sorgen immer wieder für eine abrupte Beendigung eventuell versöhnlicher melodischer Linien und führen das Stück schließlich zu dem vom Titel angedeuteten unerbittlichen Ende.

Die vier Musiker trugen dieses Werk bis zum Schluss mit hoher Präzision und nie nachlassender Spannung vor. Dabei kam vor allem die gute Abstimmung zum Ausdruck, die jedem Instrument ausreichend Raum zur Entfaltung gab. Der Finalsatz entwickelte sich dabei in jeder Hinsicht zu einem wahren Höhepunkt des Abends, er bildete sozusagen die Apotheose der Vergänglichkeit.

Das Publikum hörte bis zum Schluss mit höchster Aufmerksamkeit zu, was sich an den verschwindend wenigen Störgeräuschen ablesen ließ. Der Applaus erfolgte dann geradezu eruptiv, und es hätte sicher noch die eine oder andere Zugabe gegeben, hätte der Erste Geiger diese nicht offiziell in die Bar der Kammerspiele verlegt, wo auch noch andere Musikstile einschließlich Rock(!!) erklingen sollten.

Frank Raudszus

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