Bei dem Namen „Van Gogh“ denkt der kunsthistorisch normal gebildete Bürger an Sonnenblumen, an bunte Boote am Badestrand und an wildbewegte Landschaften im gleißenden Sonnenlicht. Nur wenige Maler, selbst die Impressionisten nicht, haben einen derart unverwechselbaren und eindringlichen Malstil entwickelt wie er, und ein typisches Beispiel ist der oft gehörte und fast schon spontane Kommentar bei der Betrachtung eines nicht von diesem Maler stammenden Bildes: „der malt ja wie van Gogh“.
Das Frankfurter Städelmuseum hat sich jetzt in einer umfassenden Ausstellung mit der Frage beschäftigt, wie ein Maler posthum zu einer solchen Berühmtheit gelangen konnte, der zu Lebzeiten nur wenige Bilder und die noch zu Spottpreisen an seinen eigenen Bruder verkauft hatte. Er malte nur zehn Jahre lang und schuf in dieser Zeit um die 900 Werke. Dabei durchlief er von der herkömmlichen figurativ-naturgetreuen über eine impressionistische und sogar pointillistische Phase bis hin zu der pastos ausladenden Endphase die unterschiedlichsten Malstile, ein Zeichen dafür, wie wichtig, ja geradezu existenziell die Malerei für ihn war.
Van Goghs Leben eignet sich paradigmatisch für eine posthume Überhöhung. Dabei stellt sich durchaus die Frage, ob van Gogh wegen der künstlerischen Qualität seiner Bilder berühmt wurde oder ob die Bilder wegen der Biographie ihres Schöpfers ihrerseits zu Ikonen der Malerei geronnen. Die akademische Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts jedenfalls lehnte ihn wegen seiner freizügigen Handhabung von Formen, Farben und Pinselführung rundweg ab. Seine Aufopferung für die Kunst und sein tragisches Scheitern zu Lebzeiten jedoch machten einen Märtyrer aus ihm, und das bewegte vor allem die deutsche Kunstszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die wie alle Kreativen nach dem Neuen, dem Umsturz und dem völlig Anderen lechzte. Vincent van Gogh erwies sich dabei als ideale Projektionsfläche, und vor allem seine deutschen Verehrer nutzten dies für einen umfassenden Werbefeldzug, der einen unangepassten Märtyrer der Kunst in den Mittelpunkt rückte.
Die Städel-Ausstellung ist in drei Kapitel unterteilt. Im ersten, „Mythos“ übertitelt, werden die wichtigsten Werke aus verschiedenen Epochen gezeigt und ihre Wirkung auf die deutsche Kunstkritiker und Galeristen – etwa Paul Cassirer – beschrieben. Schon in diesem Kapitel geht es nicht nur um die Werke selbst, sondern vor allem um ihre Wirkung auf Kunstkenner und -liebhaber in Deutschland. Denn van Gogh wurde zwar auch von seinen Pariser Künstlerkollegen posthum zum Märtyrer stilisiert, aber einem breiten Publikum brachten erst die deutschen Kunstkritiker diese geradezu mythische Sicht in einer Reihe von speziell van Gogh gewidmeten Ausstellungen näher.
Das zweite Kapitel widmet sich der „Wirkung“ van Goghs auf seine Umgebung. Dabei geht es vor allem um die Wirkung auf andere Künstler, die erst nach seinem Tod einsetzte. So wurden seine Bauernmotive von Nachfolgern wie Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter oder Heinrich Nauen aufgenommen und weiterverarbeitet, und seine Selbstportraits – anfangs mangels verfügbarer Modelle entstanden – fanden Nachahmer wie Max Beckmann oder Ludwig Meidner. Die Mitglieder der Dresdner „Brücke“ – Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmitt-Rottluff – verehrten van Gogh derart, dass Emil Nolde ihnen vorschlug, sich in „Van Goghiana“ umzubenennen.
Das letzte Kapitel betrachtet die verschiedenen Malweisen van Goghs. Kein Künstler vor und nach ihm hat in einer so kurzen Schaffensphase von nur zehn Jahren so viele Stilarten durchlaufen und in allen Werke von bleibendem Wert erschaffen. Nach dem naturalistischen Beginn war es die Fläche mit klarer farblicher Abgrenzung, in der ihm später Gabriele Münter, und August Macke folgten, um nur zwei zu nennen. Seinem rhythmischen Spätstil folgten wiederum Künstler aus der „Brücke“ und dem „Blaue[n] Reiter“, zum Beispiel Christian Rohlfs und Max Beckmann.
Wie ein Verweis auf den astralen Charakter der Figur van Gogh stehen im letzten Raum die „Sonnen“-Bilder, bei denen der Maler eine bis dahin unausgesprochen geltende Vereinbarung der Malkunst missachtete und bewusst die Sonne abbildete. Auch hier folgten ihm wieder spätere Expressionisten wie Otto Dix oder Max Pechstein.
Die Ausstellung zeigt auf exemplarische Weise, wie eng die – vor allem posthume! – Würdigung eines Künstlers mit dessen Biographie zusammenhängt. Beethovens Taubheit, Mozarts lange Zeit vermutete Vergiftung durch Salieri und eben van Goghs Leidensweg haben nicht unmaßgeblich zur späteren Ikonisierung der jeweiligen Künstler beigetragen. Ohne beeindruckende Kunstwerke ist das glücklicherweise auch nur in Sonderfällen möglich.
Die Ausstellung ist bis zum 16. Februar 2019 geöffnet. Näheres wie Öffnungszeiten und Ticketpreise sind über die Webseite des Städelmuseums in Erfahrung zu bringen.
Frank Raudszus
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