Das 9. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt war ganz dem Streichquartett gewidmet. Dabei hatte sich das Tesla-Quartett ein auf den ersten Blick ungewöhnliches Programm zusammengestellt: Sergej Prokofjew und Joseph Haydn, deren Werke in schöner Spiegelsymmetrie (P – H – H – P) erklangen. Nicht genug dieser Symmetrie, dominierten an diesem Abend zwei Tonarten das Geschehen: F-Dur und h-Moll, die auch in schönem Wechsel, wenn auch nicht spiegelsymmetrisch, zum Tragen kamen. Die vier Musiker – Michelle Lie und Ross Snyder an der Violine, Edwin Kaplan an der Viola und Serafim Smigelskiy am Cello – zeigten sich auch ansonsten als originelle Gruppe. So tauschten die beiden Violinisten nach der Pause die Positionen, was man bei Streichquartetten wohl selten erlebt, und Serafim Smigelsky ließ es sich nicht nehmen, das Publikum in schönstem amerikanischen Tonfall über die Gründe der Zusammenstellung des Programms aufzuklären. Seinen eigenen, unverkennbaren Humor unterstellte er aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit ihrer Musik auch den beiden Komponisten. Wären sie Zeitgenossen gewesen, wären sie bestimmt gute Freunde geworden – meinte Smigelskiy. Da stellte sich die Assoziation an den berühmten Film „Ein seltsames Paar“ fast automatisch ein.
Das Tesla-Quartett wurde seinem Namen mit diesem elektrisierenden Auftritt in vollem Umfang gerecht und dürfte mit dieser Batterieladung sicher eine hohe Reichweite erzielen. An den Anfang hatten sie nicht etwa ein eingängiges Haydn-Quartett gesetzt, sondern Prokofjews frühes Quartett in h-Moll, das er im amerikanischen Exil schrieb. Ein schroffer Beginn und eine fortgeschrittene, wenn auch tonale Harmonie verweisen unmissverständlich auf das 20. Jahrhundert. Der zweite Satz beginnt als Andante, entwickelt sich dann aber schnell zu einem dramatischen Vivace, dass klanglich schon grenzen streift, ohne sie jedoch Richtung Atonalität zu überschreiten. Das Andante des dritten Satzes wird dann mit seiner ostinaten Metrik zum musikalischen Höhepunkt und verklingt schließlich leise und fast resignierend. Das Tesla-Quartett zeigte vom ersten Augenblick an seine musikalische Qualität, die sich einerseits in der Gleichberechtigung und Präsenz aller vier Musiker zeigte, obwohl Michelle Lie an der Ersten Geige ihre Führungsaufgaben durchweg mit Erfolg ernst nahm.
Joseph Haydns Streichquartettop. 50 Nr. 5 aus den Jahren 1784-87 wirkte dagegen geradezu erleichternd, stehen hier doch tänzerische Themen mit spielerischem Charakter im Vordergrund. Das Adagio des zweiten Satzes ist eine wohlige Seelenmassage, während im Menuett tatsächlich Haydns Humor mit mehreren „falschen“ Schlussakkorden durchbricht. In diesem Stück zeigte Michelle Lie als erste Geigerin eine ausgesprochen starke technische und musikalische Leistung.
Nach der Pause erklang dann gleich das nächste Haydn-Quartett: op. 33 Nr. 1 in h-Moll. Zeitlich also ein Rückschritt, wenn man unterstellt, dass die Musik eines Komponisten mit zunehmendem Alter reifer und ausdrucksstärker wird. Jetzt führte Ross Snyder das Quartett an der ersten Geige, und er stand seiner Vorgängerin in keiner Weise nach. Das Andante zelebrierten die vier Musiker geradezu mit Inbrunst, und das Finale weist bereits unverkennbar auf Mozart hin, der Haydn als seinen Lehrmeister (nicht nur) bei Streichquartetten pries.
Das zweite Prokofjew-Quartett aus dem Jahr 1941 beginnt mit heftigen Dissonanzen, wohl auch als Reaktion auf den Überfall seitens Deutschlands. Der marschartige Tanz trägt ebenfalls militärische Züge, obwohl diese Komposition im Kaukasus entstand, wo Prokofjew sich auf die dortige Volksmusik stützte. Man merkt dies an den einfachen, oft ostinaten Motive, wie sie sich gerade bei hart ums Überleben kämpfenden Bergvölkern entwickelt haben mögen. Ein Bass-Solo im Adagio bringt einen lyrischen Ton hinein, dann wieder sorgen Stakkati und Pizzicati für eine flirrende, fast erregte Grundstimmung. Der dritte Satz erinnert in seiner konsequenten Schroffheit an Strawinskys „Sacre du printemps“.
Die vier Musiker interpretierten auch dieses Stück bei allem Elan hoher Präzision und viel Gespür für stimmliche Transparenz. Jedes Instrument hatte hier nicht nur seinen Auftritt, sondern war mit seiner Stimme durchgehend präsent, ohne dass deswegen die vier Musiker gegeneinander arbeiteten. jeder ließ dem anderen seinen Freiraum und nutzte seinen eigenen. das machte vor allem das Prokofjew-Quartett so spannend, ja: aufregend.
Das Publikum zeigte sich sehr angetan von den – übrigens farbenfroh gekleideten – Musikern und erhielt für den kräftigen Beifall noch eine Zugabe: Debussy, der – wie Ross Snyder es ausdrückte – als Abschluss angenehmer denn Prokofjew sein sollte – und war.
Frank Raudszus
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