In der aktuellen Theaterszene sind derzeit zwei Trends zu beobachten: einerseits versuchen die Regisseure, die als Einschränkung empfundene Spartenbindung – Sprechtheater, Musiktheater, Tanztheater – aufzubrechen und „multimediale“ Inszenierungen auch von Klassikern auf die Bühne zu bringen. Damit wollen sie die Sehgewohnheiten des Publikums konterkarieren und in gewissem Sinne auch den Guckkasten-Charakter der klassischen Bühne aufheben. Das Unerwartete, ja: Provokative soll letztlich das Publikum aus der Reserve locken. Dabei opfern sie bewusst die Intensität eines fokussierten Ausdruckspotentials zugunsten eines als innovativ oder gar revolutionär empfundenen performativen Spektakels.
Andererseits ist eine Flucht in die zugespitzte Ironie zu konstatieren. Die Regisseure hegen offenbar die Befürchtung, sich durch ernsthafte, engagierte Beschäftigung mit einem gegebenem Thema und die damit einhergehende Verbindlichkeit den Vorwurf des Pathos, der Affirmation oder gar der bürgerlichen Psychologisierung einzuhandeln. Das Schlimmste ist der intellektuelle Spott sich als ironische Beobachter gerierender Kritiker, die sich durch eben diese Ironie einem traditionellen Problembewusstsein überlegen fühlen. Da ist es doch besser, als Regisseur gleich selbst zur Allzweckwaffe der Ironie zu greifen, die eine abgeklärte Distanz zu der ach so schrecklichen Welt bietet. Und dabei kann es gar nicht deftig genug zugehen.
Beide Trends spielen bei der Inszenierung von Molières „Der Bürger als Edelmann“ und Richard Strauss´ „Ariadne auf Naxos“ eine Rolle. Diese doch eher ungewöhnliche Verbindung ist jedoch nicht die Idee der Darmstädter Dramaturgie oder gar des Regisseurs. Kein Geringerer als Hugo von Hoffmannsthal hatte die Idee, Strauss´Einakter-Oper an Molières Gesellschaftssatire anzuhängen, wobei die dramaturgischen Gründe dafür im Dunkeln liegen. Molières Komödie ist ein konfektioniertes Stück des 17. Jahrhunderts über Eitelkeit und Dummheit des Bürgertums, mit den üblichen Zutaten wie Tochter und ungelittenem – weil nicht adeligem – Liebhaber, Opportunisten und Schmeichlern sowie den praktischen und resoluten Dienstboten. Letztere betrügen den eitlen Protagonisten, in dem sie ihm den ungeliebten Schwiegersohn in der Verkleidung eines orientalischen Potentaten „unterjubeln“.
„Ariadne auf Naxos“ dagegen entspringt der schwermütig-elegischen Grundstimmung des „Fin de Siècle“. Die von Theseus verlassene Ariadne wünscht sich den Tod, und die pragmatische Zerbinetta versucht, sie mit allerlei Geschichte über die Liebe und die Männer davon abzuhalten. Am Ende entführt sie Bacchus in ein besseres Jenseits. Parallel dazu läuft auf der selben Bühne ein Schäferstück mit den üblichen Personen wie Brighella und Truffaldino. Der Sinn dieser Parallelhandlung erschließt sich dem Zuschauer nicht, da auch keine direkten Kontakte zwischen Ariadne und den Schäfern entstehen. Wahrscheinlich wollte Hoffmannsthal die handlungsarme Elegie damit etwas auflockern.
Die beiden Stücke werden dramaturgisch dadurch verbunden, dass Jourdain, die Hauptperson aus Molières Stück, die Oper „Ariadne auf Naxos“ mit ihm selbst in einer tragenden Rolle aufführen will. Doch die Operndarsteller ziehen ihm nur das Geld aus der Nase und spielen die Oper ohne den tumben Geldgeber. Der Musikmeister aus Hoffmannsthals Libretto wird zu diesem Zweck bereits früh in Molières Handlung eingebaut, ebenso wie die beiden Darsteller der Oper. Damit ergibt sich eine – wenn auch dünne – Klammer zwischen den beiden Stücken.
Bei Molières Komödie lässt Regisseur Weise der vordergründigen Ironie freien Lauf. Um die gesellschaftliche Kritik an Eitelkeit und Dummheit des Bürgertums geht es hier nicht. Alle Personen sind als Knallchargen angelegt, wenn auch in durchaus originellen und grellen Kostümen, die für einige Heiterkeit sorgen. Die Hauptperson Jourdain entlarvt sich nicht durch seine Worte und Handlungen, sondern ist von vornherein als Karikatur seiner selbst angelegt. Da kann er reden, was er will. Das gilt auch für seine dick-dümmliche Tochter Lucile und ihren affigen Bräutigam Cleonte, die ihre Texte bewusst ohne jegliche Feinsteuerung als gestanzte Banalitäten von sich geben. Selbst Nicole, die pragmatische Dienstmagd, die im Hintergrund die Fäden zieht, kommt als grober Klotz im Stil der Commedia dell´Arte daher. Ihr sächsischer Dialekt ist als Zugeständnis an das Publikum zu sehen, denn der ist im Westen immer für einen Lacher gut. Lediglich die beiden Operndarsteller – Dorante und Dorimene – bieten so etwas wie intellektuelle Distanz zu diesen Verrückten im Hause Jourdains, aber die kommen ja auch aus dem besseren Hause der internationalen Oper.
Die Inszenierung von Molières Stück kommt durchaus mit viel Tempo auf die Bühne, doch der Witz hält sich in Grenzen, weil er sich größtenteils auf Situationskomik und Slapstick beschränkt. Wenn man Molières eigentliches Thema aus welchen Gründen immer nicht ernst nimmt, bleibt nur der Klamauk. Es ist allerdings auch fraglich, ob man diesem Stück noch aktuelle Bezüge hätte entlocken können.
Ein Pluspunkt ist jedoch die musikalische Gestaltung, ganz im Sinn einer multimedialen Performance. Molières Stück kommt über weite Strecken als Musical daher. Dazu spielt das reduzierte Orchester im Graben Musik, die sich zwischen Spätromantik à la Richard Strauss und dem Musical-Genre einpendelt. Dazu tanzen dann die „Schäfer“ der Ariadne-Librettos in hautengen altrosa Ganzkörper-„Stramplern“. Ein Jazz-Trio auf der Bühne kontert die eher konventionelle Musik aus dem Graben mit sparsam-coolen Improvisationen, wobei sich die beiden Musikgattungen streckenweise geschickt überlappen. Musikalisch erfüllt diese Inszenierung den Anspruch einer spartenübergreifenden Performance auf jeden Fall.
Das dramaturgische und szenische Ambiente ändert sich jedoch schlagartig mit dem Beginn des zweiten Teils. Jetzt trägt Katrin Gerstenberger den ausgedehnten Monolog der todessüchtigen Ariadne auf hoch künstlerische Weise und mit allen Attributen der tragischen Oper vor. Aller Slapstick ist verschwunden, woran auch das bewusst platt-witzige Bühnenbild – dunkle Höhle, wilde Wolken und vorbeilaufenden Pappwogen des Meeres – nichts ändert. Wenn dann Zerbinetta (Aki Hashimoto) ihr gut zuredet bzw. -singt, ist das der zweite künstlerische Höhepunkt dieses Abends. Beide Sängerinnen wetteifern im positiven Sinn um den sängerischen Höhepunkt und bringen ihr gesamtes stimmliches Potential zum Tragen.
Trotz oder gerade wegen dieser hohen Qualität der instrumentalen wie der sängerischen Darbietung tritt an dieser Stelle jedoch der Bruch ein, denn die Frage, was das noch mit dem Molièreschen Stück zu tun hat, stellt sich jetzt mit ganzer Schärfe. Man genießt die sängerische Qualität, fragt sich aber, ob man sich nicht auf die Strauss-Oper hätte beschränken können. Dass am Schluss dann noch einmal der Bogen zurückgespannt wird zu dem übertölpelten Jourdain und seiner Entourage, dient nur dem konsistenten Abschluss des Programms, doch an die Slapstick-Einlagen des ersten Teils denkt der Zuschauer nicht mehr. Da helfen auch die zunehmenden personellen Querverbindungen zu Molière gegen Ende der „Ariadne“-Handlung nicht mehr viel. Die Slapstick-Stimmung will nicht mehr aufkommen, und das ist auch gut so.
Besonders hervorzuheben bei dieser Inszenierung sind die beiden Sängerinnen, Katrin Gerstenberger und Aki Hashimoto, deren ganze Konzentration ihren Gesangspartien gilt, die sich aber dennoch in das etwas verworrene Spiel integrieren. Die anderen Darsteller – es ist ein sehr kopfstarkes Ensemble – seien hier nicht einzeln aufgeführt, weil der Slapstick des ersten Teils eher physische statt darstellerische Qualitäten erfordert. Doch alle zeigen hohes Engagement und sind mit viel Einsatz bei der Sache. Das galt ganz besonders für die Musiker, die im Graben die verschiedensten Musikstile zu bewältigen hatten. Sie tun es mit hoher Professionalität.
Das Fazit dieses „gesamtkünstlerischen“ Experiments weist eine starke Ambivalenz auf, um es einmal freundlich auszudrücken. Man könnte auch etwas deutlicher von einer inszenatorischen „Schräglage“ sprechen, womit wir nicht nur den „schrägen“ Touch der ersten Hälfte meinen. Man fragt sich im Anschluss an diesen Abend, worin jetzt die Aussage der Inszenierung besteht. Etwa in der Gleichzeitigkeit aller Bühnenmittel, das heißt im Selbstzweck? Inhaltlich verlor sich die Aussage jedenfalls bereits im ersten Teil, wenn denn eine vorhanden war.
Frank Raudszus
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