Dass alles Leben im Wasser entstand und erst von dort an Land gespült wurde, ist ein naturwissenschaftlicher Gemeinplatz. Doch das Wissen um die Macht des Wasser – sei es als wildes Meer, sei es als sprudelnder Bach, sei es als stiller See – hat sich seit Beginn der bewussten Menschheitsgeschichte in mächtigen Mythen entfaltet, vom antiken Poseidon bis hin zu den Nixen und Wassermännern der romantischen Märchen. Eines der zu diesem mythischen Kreis gehörenden Märchen handelt von der Nixe, die sich in einen Menschen verliebt, jedoch an dessen Treulosigkeit scheitert und auch nicht mehr zurückkehren kann zu ihren aquarischen Schwestern. Dieser Topos lässt sich auch als Variante des Sündenfalls deuten, der mit der Lust auf einen Apfel beginnt und mit der Vertreibung aus dem Paradies endet.
In der Oper findet sich dieser Mythos sowohl bei E.T.A. Hoffmanns und
Lortzings „Undine“ als auch in Antonin Dvoraks „Rusalka“ wieder. Während die ersten beiden Komponisten das Thema noch im fast naiven Stil der Romantik bearbeitet haben, lässt Dvorak in seiner im Jahr 1900 entstandenen Version bereits die Moderne durchschimmern. Nicht mehr der romantisch-märchenhafte Aspekt steht bei ihm im Vordergrund, sondern der psychologische, mit einem unüberhörbaren gesellschaftskritischen Einschlag. Hier versucht eine Frau, Rusalka, unter Aufgabe ihrer Herkunft einen Mann an sich zu fesseln, verliert jedoch mit seiner Liebe auch ihre eigene Identität. Der „Prinz“ – Dvorak behält das romantische Vokabular bei – bemüht sich gar nicht erst, diese Frau zu verstehen oder gar kennenzulernen, sondern verstößt sie, da sie seinem (männlich) rationalen Weltbild nicht entspricht. Doch sein eigenes Scheitern an der eiskalt berechnenden „Fremden Fürstin“ wirft ihn auf sich selbst und sein Versagen gegenüber der ihn liebenden Rusalka zurück. Es bleiben zwei Unglückliche zurück, die nicht mehr ins Leben finden. Der erlösende, weil tödliche Kuss Rusalkas entspricht zwar dem romantisch-mythischen Ursprung, ist bei Dvorak jedoch nur noch metaphorisch gemeint in dem Sinne, dass man(n) eine schuldhaft verlorene Liebe nicht nach Belieben wiederbeleben kann.
Die Regisseurin Luise Kautz hat das Libretto in diesem Sinne inszeniert und dabei die romantisch-mythischen Elemente bewusst verknappt. Ihr geht es um die psychologische Situation zwischen den Geschlechtern, die jeweiligen emotionalen Erwartungen und die Enttäuschungen. Dabei hat sie die drei Akte als je eigene Erzählung gestaltet. Im ersten Akt träumt die junge Rusalka davon, die Enge ihrer (Wasser-)Welt zu verlassen und sich bei den (Land-)Menschen zu verwirklichen. Die Liebe zum „Prinzen“ lässt sich hier durchaus metaphorisch als Sehnsucht nach der offenen, Erfolg versprechenden Welt der Menschen verstehen. Der Wassermann ist das beharrende Element dieser überschaubaren, sprich: statischen Welt und warnt vor den Gefahren des Wechsels und der Unmöglichkeit der Rückkehr. Die Hexe, für Rusalkas Vermenschlichung zuständig, ist einerseits Zugeständnis an das mythische Original, lässt sich aber auch als Metapher für den (westlichen) Konsum verstehen, der die Menschen verwandelt und eine Rückkehr in die einfache und geschlossene Welt ihrer Herkunft unmöglich macht.
Lani Tran-Duc hat dazu ein Bühnenbild geschaffen, das die dunkle Unterwasserwelt mit Nebel und schwarzen Felsnachbildungen symbolisiert. Dazu trägt der Wassermann (Johannes Sekhoon Moon) einen glitzernden Anzug, der den archaischen, märchenhaften Zug dieser Welt charakterisieren soll, während die drei Elfen in luftigen, farbenfrohen Kleidern durch die Unterwasserwelt schweben. Dagegen trägt Rusalka (Katharina Persicke) bereits ein eher modern geschnittenes Kostüm, hat sich also innerlich bereits aus dieser Umgebung gelöst. Während der Ouvertüre und auch später wieder sieht man Katharina Persicke in einem Schwarz-Weiß-Video in verschiedenen Einstellungen im Wasser treiben, wobei sich die – wohl ungewollte – Assoziation an Ophelia einstellt.
Der zweite Akt besticht vor allem durch seine Kälte. Im Gegensatz zu dem nebulösen Gesamtbild des ersten Aktes herrscht jetzt rationale Klarheit auf einer punktuell ausgeleuchteten Bühne, und dramaturgisch prägen die vordergründigen Interessen der drei Protagonisten die Handlung. Ein verständnisloser Prinz (Thorsten Büttner), eine stumm leidende Rusalka und eine eiskalt intrigierende Fürstin (Kathrin Gerstenberger). Das Bühnenbild dominieren drei bühnenhohe, in sich bewegliche Zylinder aus Drahtseilen, die sich wie Quallen im Meer in einem ständigen Auf und Ab durch ein imaginäres Meer zu bewegen scheinen. Sie stehen für das Schwebende, nie rational zu Fassende der Emotionen, werden jedoch vom Prinz ignoriert oder von der Fürstin bewusst und fast spielerisch für ihre Zwecke benutzt. Dieser Akt ist in seiner zielführenden, emotionslosen Gleichgültigkeit geradezu puristisch und lässt den Zuschauer nahezu erschaudern. Man versteht auf fast physische Art Rusalkas Sprachlosigkeit, im Mythos eine Bedingung der Verwandlung, in dieser Inszenierung eine Reaktion auf die Verständnislosigkeit und die Kälte der menschlichen Welt.
Der dritte Akt entfaltet dann eine geradezu apotheotische Wirkung. Die Beteiligten erkennen die Unmöglichkeit einer echten Beziehung zwischen den Welten der ambivalenten Emotionen und der eindeutigen Interessen und fügen sich in den Verlust ihrer jeweiligen Identität. Wie beim Sündenfall ist eine Rückkehr zum früheren Status nach dem Kontakt zur anderen Welt nicht mehr möglich, und die Protagonisten sind zum seelischen Tod verdammt. Nur die Fremde Fürstin entzieht sich rechtzeitig dem Schicksal wie die Schlange des Sündenfalls. In diesem Akt betont die Regie vor allem die emotionalen Bedeutung der Einsicht, des Verzichts und der Vergebung und setzt damit einen überzeugenden Kontrast zur ignoranten Kühle des zweiten Aktes.
Die Darsteller setzen das Regiekonzept auf überzeugende Weise in eine konsistente Bühnenhandlung um. Vor allem Katharina Persicke in der Hauptrolle der Rusalka wirkt nicht nur durch ihre durchgehende Präsenz, sondern vor allem durch ihre (außer im zweiten Akt) stimmliche und darstellerische Variabilität. Neben ihr ist vor allem Kathrin Gerstenberger zu nennen, die den zweiten Akt nicht nur durch ihr goldenes Kostüm, sondern vor allem durch ihre raumfüllende Stimme und ihre Bühnenpräsenz beherrscht. Thorsten Büttner(Tenor) gibt einen alerten Prinzen, kann sich jedoch streckenweise stimmlich nicht gegen das Orchester durchsetzen. Das wiederum gelingt Johannes Seekhoon Moon mit seinem voluminösen Bass recht gut, und auch darstellerisch zeigt er deutliche Präsenz. Elisabeth Hornung verleiht der Hexe – wohl ganz im Sinne der Regie – eher geschäftlich-pragmatische denn mythische Züge, und Julian Orlishausen als Wildhüter sowie Xiaoyi Xu als Küchenjunge sorgen für die einzigen humoristischen Elemente dieser Inszenierung. Die drei Elfen (Rebekka Reister, Gundula Schulte und Maren Favela) verzichten ganz im Sinne des Regiekonzepts auf zu viele romantisch-verspielte Zutaten und verstehen sich eher als realistische Vertreterinnen einer Welt, die den Kontakt zu den Landwesen bewusst vermeidet.
Das Orchester unter der Leitung von GMD Daniel Cohen interpretiert Dvoraks Musik ausgesprochen geschmeidig, wobei der Dirigent die szenische Distanz gegenüber den romantisch-mythischen Elementen übernimmt. Weder dunkel raunendes Wispern noch gefühlige Sehnsucht lässt sich den Orchesterklängen entnehmen, eher eine bei aller Eingängigkeit der Themen punktuelle Distanz, als wolle er sagen, die ganze Bühnenhandlung habe nichts mit Märchen und Mythen aber um so mehr mit Menschen, Macht und Missbrauch zu tun. Durch diese aufmerksame und fast schon etwas hintergründige musikalische Interpretation unterstützt das Orchester das Bühnengeschehen auf wahrhaft kongeniale Weise.
Das Premierenpublikum zeigte sich angetan und spendete kräftigen, mit „Bravo“-Ruden durchsetzten Beifall.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Hans Jörg Michel
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