Fernöstliche Kultur – speziell Musik und Theater – stellen für viele Europäer immer noch ein Rätsel dar. Das liegt mit Sicherheit auch an der Sprachbarriere, da asiatische Sprachen in Europa (noch) nicht zum Bildungskanon gehören. Damit entfällt der spontane Zugang zu allen sprachlastigen Kulturausprägungen, und auch die erklärungsbedürftigen wie Musik sind zu einem gewissen teil an die Sprache gebunden.
Da hat es der Tanz etwas leichter, denn er kommt im Idealfall ganz ohne Sprache aus und bringt Emotionen und Botschaften allein durch die Körpersprache zu Ausdruck. Das Staatstheater Darmstadt zeigt derzeit in einem Sonderprogramm eine Reihe südkoreanischer Choreografien, und zwar im Kleinen Haus (und nicht in den Kammerspielen), um auch breiteren Kreisen den Zugang zu ermöglichen.
Am 14. Februar standen drei Choreografien auf dem Programm, von denen eine kurzfristig, sozusagen am Programmheft vorbei, auf die Bühne kam. alle drei stammten von unterschiedlichen „Dance Companies“ und von jeweils anderen Choreografien. So erhielten die Besucher bereits am ersten Tag dieses mehrtägigen Gastspiels eine Übersicht über den Stand des südkoreanischen Tanztheaters.
In dem ersten Stück, „Once upon a Time“ übertitelt, lässt der Choreograph (und Mittänzer!) Kyung min Ji seine dreiköpfige Gruppe „Goblin Party“ das alte Korea wieder aufleben. Zwei Tänzer und eine Tänzerin tanzen in weißer Kleidung und mit weißen Hüten alte koreanische Riten, wobei eher alltägliche Aktivitäten und weniger religiöse Rituale im Vordergrund stehen. Akrobatische Figuren bilden nicht den Schwerpunkt dieser Choreografie, stattdessen aber archetypische und auch humorvoll abgewandelte Bewegungsmuster. Dabei spielen sowohl koreanische Perkussionsinstrumente – sprich: Trommeln – als auch die obligatorischen Fächer eine wichtige Rolle. Die Trommeln sorgen für rhythmische Untermalung der Bewegungen, und die Fächer verleihen den Bewegungen mit ihren vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten Charme und Leben. Die Dreierkonstellationen – eine Frau und zwei Männer – bilden viele zwischenmenschliche Situationen auf treffende und oft humorvolle Weise ab. Außerdem prägen die typischen fernöstlichen Höflichkeitsmuster die Figuren und ihre Interaktionen auf originelle Weise ab und erweisen der uralten asiatischen Kultur ihre Reverenz.
Die zweite Choreographie, „Flight“, stammt von Chelin Jeong und wird von der „Melancholy Dance Company“ getanzt. Das Stück ist jedoch nicht melancholisch, sondern erinnert eher an eine Varieté-Nummer. Zwei Tänzer präsentieren einen eher akrobatischen Paar-Tanz, der allerdings keinerlei erotischen Momente enthält sondern die Körperbeherrschung betont. Immer wieder kreieren die beiden Tänzer Situationen kurzfristiger Labilität, die sich dann jeweils durch akrobatische Präzision und scheinbar spontane Ideen auflösen. Natürlich ist hier alles geplant, und jeder der beiden Tänzer kann sich auf seinen Partner verlassen. Dabei spielt auch die Mimik und Gestik mit, denn bisweilen liegt gegenseitiges Misstrauen oder Ablehnung in den Gesichtszügen, das sich als schauspielerischer Effekt entpuppt, um die Spannung der jeweiligen Situation zu steigern. Ein wenig erinnert diese Choreografie an die asiatischen Kampfsportarten, wie man sie aus einschlägigen Filmen kennt, jedoch eleganter und ohne die dort zur Schau getragene Aggressivität.
Nach der Pause zeigte dann die Company „Art Project Bora“ die Choreografie „Tail Language“. Sechs Tänzerinnen und drei Tänzer in weißer Kleidung präsentieren eine Allegorie auf das Leben der Insekten, soweit man das aus den schmalen Requisiten und den Tanzfiguren entnehmen kann. Zu Beginn dreht sich ein einsamer Tänzer auf der Bühne. Als einzige Requisite steht ein weißer Mantel wie eine Vogelscheuche im Hintergrund. Dann erscheint eine Gruppe von Tänzerinnen und beginnt, den Gang von hochbeinigen Insekten oder seltsamen Vierbeinern zu imitieren. Dazu entwickelt sich langsam aber stetig ein akustischer Hintergrund, der anfangs aus einem durchdringenden Dauerrauschen besteht und sich dann zu verschiedenen Formen bewegten Wassers ändert: Wasserfall, Brandung, Gurgeln eines Baches. Dazu stellen Tänzerinnen weitere Mäntel auf, in die sie sich anschließend einwickeln. Die Assoziation an Larven und Verpuppungen ist unübersehbar, vor allem, wenn sich die Tänzerinnen später wie zukünftige Schmetterlinge aus den Mänteln schälen und mit anfangs unsicheren Bewegungen auf allen Vieren über die Bühne staksen. Natürlich entwickeln sich diese Bewegungen schnell zu eleganten, selbstsicheren Schritten, eben wie Schmetterlinge davonfliegen. Die Wassergeräusche werden damit zur Allegorie der Lebensgrundlage. Diese Choreograpfie ist nicht nur die längste (45 Minuten), sondern auch die intensivste und eindrucksvollste. Sie spiegelt eine naturnahe und in sich ruhende Lebensweise wieder, die man jedoch auch bei den Südkoreanern als einen Traum deuten kann, denn die Realität dieses Landes ist geprägt von einer konsequenten Industrialisierungsgrad und einem ausgeprägten Leistungsdenken. Tröstlich, dass dort dennoch solche Träume getanzt werden.
Frank Raudszus
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