Die Barockmusik hat zwei Gesichter: den mal pompösen, mal gravitätischen Ausdruck der höfischen und – auch! – der geistlichen Musik auf der einen Seite und den verinnerlichten Blick des Volkes, der sich in der Kammermusik niederschlägt, auf der anderen. Diese Musik durchzieht der Grundton des Lamentos über das Leiden der Welt, der sich erst mit der Aufklärung und der aus ihr entstandenen Frühklassik verlieren sollte.
Das italienische Quintett „Armoniosa“ mit Francesco Cerrato (Violine), Stefano Cerrato (Violoncello), Marco Demaria (Violoncello di continuo), Michele Barchi (Cembalo) und Daniele Ferretti (Orgel) hat sich auf diese Musik spezialisiert und mit Giovanni Benedetto Platti und Carlo Graziani zwei Komponisten wieder entdeckt, die vor allem in Deutschland weniger bekannt sind. Ergänzt wurde das Programm des 5. Kammerkonzertes durch Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi und Heinrich Ignaz Franz von Biber.
Der 1697 geborene Platti hat in seiner Triosonate D-Dur das bis dahin nur als Basso Continuo verwendete Cello um ein zweites Cello als Melodiestimme ergänzt. Damit reicherte er das Klangbild auch thematisch-motivisch um die warme Fülle dieses Instruments an.
Schon bei diesem Werk zeichnete sich das Bemühen des Quintetts um eine historische Aufführungspraxis ab. Statt des perfekten, auf Weichheit und „Schönheit“ des Klangs getrimmten Stils des 20. Jahrhundert beschränkten sich die Musiker bewusst auf die Ausdrucksmöglichkeiten des frühen 18. Jahrhunderts, als Spieltechnik und Ausbildung der Musiker sich noch nicht auf dem hohen heutigen Stand befanden. Der Klang klingt direkter, unmittelbarer und vermittelt dadurch eine Authentizität, die förmlich durch drei Jahrhunderte bis zu uns durchscheint.
Bibers Sonate Nr. 1, eine der sogenannten „Rosenkranzsonaten“, besticht vor allem durch die ausgedehnten Violinensoli, bei denen Franceso Cerrato sein virtuoses Können zeigen konnte. Dazu lieferte die Orgel ein längeres Ostinato. Das Cello kommt in Johann Sebastian Bachs „Suite für Violincello solo Nr. 1“ zu seinem großen Auftritt. Begleitet von Marco Demaria auf dem „continuo“, bewies Stefano Cerrato seine technischen und interpretatorischen Fähigkeiten. Doch auch er verzichtete auf jeglichen solistischen „Glanz“ im Sinne einer Selbstinszenierung und stellte sein Können ganz dem Werk zur Verfügung. Gerade die Schlichtheit des Ausdrucks vermittelte – bei perfekter Technik – einen authentischen Eindruck dieser Musik.
Das zweite Stück Plattis, eine Triosonate in B-Dur, führte dagegen wieder auf den instrumentalen Beginn zurück, so dass alle fünf Musiker wieder mit von der Partie waren. Nach einem getragenen Beginn („Cantabile“) folgen ein Allegro, dann eine traurige „Siciliana“ und zum krönenden Schluss eine dreistimmige Fuge, deren Stimmen durch die Violine und die beiden Celli laufen. Antonio Vivaldis Sonata da camera a tre (Trio-Sonate) „La Follia“ wird ihrem Titel („Verrücktheit“) durchaus gerecht. Das anfangs im „tutti“-Modus als akkordisches Adagio vorgetragene Thema durchläuft anschließend neun Variationen in allen Tempi vom Larghetto bis zum Vivace, und Vivaldi lässt dabei kaum einen instrumentalen oder klanglichen Effekt aus. In diesem Stück blitzten Vivaldis musikalisches Temperament und seine Originalität unüberhörbar in allen Variationen auf, und seine Handschrift war dabei deutlich zu erkennen. Den Musikern bereiteten diese vielfältigen Variationen offensichtlich richtig Spaß.
Mit Carlo Grazianis Sonate für Violoncello und Bass G-Dur änderte sich der musikalische Stil unüberhörbar und vermittelte dem Publikum damit auch gleich eine Lektion über die musikalischen Epochen. Graziani (1710-1787) war Zeitgenosse Bachs, Haydns und Mozarts und zeigt sich in diesem Stück als Vertreter der Frühklassik. Die strenge Themenführung und Harmonik des Barocks löst sich auf zugunsten musikalischer Originalität, Heiterkeit und Unbeschwertheit. Die Sonate erinnert mehr an Haydn und Mozart als an Bach oder Vivaldi. In diesem Sinne stellte sie in diesem Programm eine Abwechslung und Auflockerung dar.
Der Abschluss führte jedoch mit Johann Sebastian Bachs Bearbeitung von Antonio Vivaldis Concerto a-Moll BWV 1065 zurück ins Spätbarock. Das „Armoniosa“-Quintett hat dieses ursprünglich für vier Cembali (um)geschriebene Stück auf ihre Besetzung angepasst und interpretierte es an diesem Abend mit frischem Elan auf seine ganz eigene Art. Hier durfte dann endlich auch einmal Michele Barchi am Cembalo sein pianistisches Können beweisen, nachdem er sich vorher weitgehend auf die zurückhaltende Begleitung seiner Kollegen hatte beschränken müssen. In diesem Stück konnten wegen seiner Eingängigkeit und Lebhaftigkeit die Musiker noch einmal alle musikalischen Register ziehen und dem Publikum zum Abschied die fröhliche Seite der Barockmusik zeigen.
Mit diesem Konzert hat das „Armoniosa“-Quintett vor dem Publikum eine breite Palette der barocken Kammermusik ausgebreitet und jedes Stück auf je eigene und individuelle Weise interpretiert. Von impliziter Klage bis zum expliziten Frohsinn war alles dabei, und das in hoher Qualität und einem historisch „echt“ anmutenden Stil.
Der kräftige Schlussbeifall des Publikums motivierte das Quintett dann noch zu einer Zugabe aus dem umfangreichen Werk Antonio Vivaldis und das Publikum zu einem weiteren kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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