Breite Klangpalette des 19. und 20. Jahrhunderts

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Zum 2. Kammerkonzert hatte das Staatstheater Darmstadt eine noch junge Pianistin eingeladen, ihr Ausnahmekönnen dem Darmstädter Publikumj vorzuführen. Die Deutschgriechin Danae Dörken hat bereits in jungen Jahren eine Reihe von bedeutenden Preisen erspielt und tritt seit Jahren mit internationalen Ensembles auf. In Darmstadt präsentierte sie an diesem Abend eine breite Palette unterschiedlichster Klangfarben, deren Herkunft sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts – Chopin – bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts – Poulenc – erstreckte.

Die Pianistin Danae Dörken

Sie begann mit Claude Debussys „Images“ aus dem Jahr 1902. In den drei Stücken „Reflets dans l´eau“, „Hommage à Rameau“ und „Mouvement“ spielt Debussy unter weitgehendem Verzicht auf traditionelle harmonische Regeln mit dem Klang des Instruments. Da perlen die Wassertropfen und gurgeln die Bäche, ohne das auch nur entfernt der Verdacht auf reine Programm-Musik wie bei Smetana aufkommt. Debussy übersetzt die sinnliche Wirkung des Wassers in die eigene Sprache der Musik ohne platte Analogien. Die Verbeugung vor Rameau vermeidet ebenfalls jegliche direkte Anleihe an dessen Musik, baut jedoch einen Klangraum auf, der wie von ferne eine ähnliche Atmosphäre wie dessen feierliche Barockmusik erzeugt, jedoch gebrochen durch die seitdem vergangenen drei Jahrhunderte. Das abschließende „Mouvement“ tat seinem namen mit schnellen, wiederkehrenden Akkordfolgen alle Ehre. Danae Dörken meisterte diese drei so unterschiedlichen Musikstücke nicht nur mit ausgeprochen leicht wirkender Virtuosität, sondern auch mit viel Gespür für die feinen Klangunterschiede und deren plastische Ausgestaltung.  Körpersprache und Mienenspiel spiegelten die emotionalen Gehalt der drei Musikstücke authentisch wider.

Der darauf folgende Sprung zu Béla Bartóks „Rumänische[n] Volkstänze[n]“ führte in eine ganz andere Klangwelt, wo eher einfache Harmonien und herkömmliche Klangformen vorherrschten, diese aber im tonalen Gewand des frühen 20. Jahrhunderts. Auch diese Tänze verlangen hohe pianistische Fähigkeiten, da Bartók sie mit reichhaltigen pianistischen Schwierigkeiten versehen hat. Er hat den eher schlichten Dorftänze ein musikalisches Denkmal gesetzt, allerdings auf der Höhe des zeitgenössischen musikalischen Niveaus. Hier musste sich Danae Dörken von den irrisierenden Klangflächen Debussys trennen und eher volkstümliche Töne anschlagen.

In den acht „Nocturnes“ des Franzosen Francis Poulenc (1899-1963) dagegen ahnt man einen späten Nachfahren von Franz Schubert, der ja auch die kleinen Musikstücke liebte. Die einhundert Jahre zwischen den beiden schlagen sich in einer anderen, distanzierteren Tonalität nieder, doch Poulencs Nocturnes wiesen ähnliche EIgenschaften auf die Schuberts „himmlische Längen“. Auch er kann sich in lang gezogenen, wiederholten und variierten Melodielinien fast verlieren. Dabei folgt er – mit der Tonalität des 20. Jahrhunderts – eher nachvollziehbaren Harmonielinien. Die Sehnsucht und Wehmut Schuberts  – und auch Chopins – schimmern immer wieder zwischen den Notenzeilen dieser so unterschiedlichen und doch ähnlichen Musikstücke hindurch. Danae Dörken brachte gerade dieses Aspekt von Poulencs Nocturnes mit feinen Anschlagsvarianten überzeugend zum Ausdruck.

Den Abschluss der ersten Hälfte bildete Manuel de Fallas „Feuertanz“ aus dem Ballett „Der Liebeszauber“ aus dem Jahr 1915. Unverfälschte spanische Rhythmen und sprühendes Temperament zeichnen diese lebhafte Kompositione aus, die einem Pianisten ein hohes Maß an technischen Fähigkeiten und Präsenz abverlangen. Danae Dörken kniete sich in diese Aufgabe mit einer solchen Verve hinein, dass man das Gefühl hatte, sie benötige einen Ausgleich für die vielen feinen und verästelten Klangwirkungen der drei Komponisten davor. Ein wahrhaft fulminanter Abschluss des ersten Programmteils.

Nach der Pause folgte dann Frédéric Chopins berühmte Sonate Nr. 3 in h-Moll, eines der großen Klavierwerke des 19. Jahrhunderts. Der furiose, weit ausladende Beginn geht in ein anrührendes Liedthema über, wie man es von Chopin kennt. Dieses wird jedoch immer wieder abgelöst von aufgewühlten Akkordketten, und so treiben das Liedthema in mehrfachen Variationen und die akkordischen Eruptionen dem Satzende entgegen. Das „Scherzo“ des zweiten Satzes ist eher kurz und besticht vor allem durch den rasanten Beginn und die plötzliche Fermate, die dann überleitet in wuchtige, absteigende Akkorde. Das anschließende „Largo“ verströmt eine nachdenkliche, fast schon weltabgewandte Grundstimmung. Ausgeprägte musikalische Themen weichen flüchtigen Gedanken, Assoziationen und Erinnerungen, die schließlich in ein liedhaftes Thema münden. Das abschließende „Presto“ baut sich langsam auf, gewinnt dann immer mehr Tempo und Dichte und endet in einem aufbrausenden Finale.

Danae Dörken interpretierte diese ausgeprochen anspruchsvolle Komposition, die man als Chopins pianistisches Vermächtnis an die Nachwelt auffassen kann, mit hoher Präzision und dem Gespür für die breite Palette von Ausdrucksmöglichkeiten, die Chopin hier ausbreitet. Jeder Satz verströmt seine ganz eigene Aura, die weit über die meist punktuelle Ausdrucksbreite seiner anderen Klavierstücke hinausgeht. In  den Ecksätzen zeigte Danae Dörken ihre brillante Technik einschließlich einer erstaunlichen Anschlagswucht, und im Largo glänzte sie mit einer intensiven Emotionalität, die jedoch nie in Sentimentalität umschlug, sondern genau auf dem schmalen Grat  der authentischen Nachempfindung wandelte.

Der abschließende begeisterte Beifall des Publikums bewegte Danae Dörken dazu, noch ein Intermezzo von Johannes Brahms als Zugabe zu spielen.

Frank Raudszus

 

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