Nur wer im Wohlstand lebt, liebt die Metapher

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Romanbearbeitungen für die Bühne sind seit Jahren ein durchaus kontrovers diskutiertes Thema. In den meisten Fällen geht es dabei um berühmte Romane wie „Buddenbrooks“ oder „Madame Bovary“, weil man in diesen Fällen aufgrund des – zumindest bei dem typischen Theaterpublikum – hohen Bekanntheitsgrades über mehr Freiheiten bei der Umformung des Stoffes verfügt. Die Leute kennen die Handlung ja sowieso.

Mona Kloos, Béla Milan Uhrlau, Ernest Allan Hausmann (Video)

Diesen „Königsweg“ ist die Regisseurin Claudia Bossard jedoch nicht gegangen. Sie hat sich ausgerechnet den Roman „“2666“ des in Europa weniger bekannten chilenischen Autors Romano Bolaño (1953-2003) ausgesucht, der sich nicht nur durch einen geradezu monströsen Umfang (1085 Seiten), sondern auch durch einen so expressionistischen wie surrealistischen Stil auszeichnet. In diesem Roman geht es weniger um eine stringente Handlung mit eindeutig charakterisierten Protagonisten, sondern um eine metaphorische Beschreibung einer von existenziellen Kontrasten geprägten Welt, in der intellektuelle Wohlstandsprobleme neben existenziellen Grenzsituationen wie Mord und Vergewaltigung verhandelt werden. Der – aus der Sicht des Autors – grässliche Irrsinn der Welt verbietet jegliche in sich geschlossene und konsistente Handlung der literarischen Fiktion, sondern ermöglicht nur noch zugespitzte Aufschreie.

Eine Gruppe von Literaturkritikern reist nach Mexiko, um dort den verschollenen Schriftsteller Benno von Archimboldi zu finden und zu interviewen. Dort treffen sie auf den Philosophieprofessor Amalfitano, allein erziehender Vater seiner Tochter Rosa, der sie über die Situation in Mexiko aufklärt. Auch der afro-amerikanische Journalist Fate (sic!) erhält wegen seiner Aktivitäten in Mexiko und seiner Beziehung zu Rosa ein eigenes Kapitel. Ein umfangreiches Kapitel gilt ausschließlich den schrecklichen Frauenmorden, die sich in Mexiko zu einer geradezu apokalyptischen Serie entwickelt haben. Das letzte Kapitel gilt der weitläufigen Biographie des Dichters Archimboldi, der die Nazizeit, den zweiten Weltkrieg und den Holocaust erlebt hat und seine Erfahrungen in einer Serie von – allerdings wenig erfolgreichen – Romanen verarbeitet hat.

Soweit der tausendseitige Roman, den das Programmheft inhaltlich nur knapp zitiert. Claudia Bossard hat das gesamte letzte Kapitel über Archimboldi weggelassen, das Kapitel über den Journalisten Fate – er heißt hier Barry Seaman –  auf einige Video-Einspielungen und das Personentableau auf die zwei Literaturkritiker – ein Franzose und eine Engländerin -, Amalfitano sowie dessen  Tochter Rosa verkürzt. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung der westlich-wohlständischen Literaturkritiker mit der Realität einer gescheiterten mörderischen Welt, wobei Mexiko hier nur als Metapher für den „Rest der Welt“ steht.

Mona Kloos

Im ersten Teil lässt Claudia Bossard die beiden Literaturkritiker (Béla Milan Uhrlau als Jean-Claude Pelletier und Mona Klaus als Liz Morton) ein Feuerwerk an selbstreferentiellen intellektuellen Dialogen abbrennen. Die beiden vermeiden dabei bewusst zuviel dankbaren Witz und betonen dank karikaturistischer Zurückhaltung eher die Weltfremdheit dieses intellektuellen Wettkampfes angesichts der Zustände in der realen Welt. Die erste Szene bietet mehrere Minuten lang lediglich eine lateinamerikanische Geräuschkulisse mit Stimmen und Musik, bevor die beiden Kritiker auftreten. Das signalisiert, dass diese Welt nicht von den beiden „entdeckt“ wird, sondern auch ohne sie schon lange existiert und sich offensichtlich nicht um europäische Literaturkritiker schert. Dichter Disconebel symbolisiert die fehlende Transparenz und die Undurchdringlichkeit der Verhältnisse in diesem metaphorischen(!) Mexiko. Wenn dann Béla Milan Uhrlau und Mona Klaus als die Vertreter der Literaturkritik auftreten, zelebrieren sie förmlich ihren fachlichen Wettkampf um Worte und Bedeutungen.

Dieser intellektuelle Wettkampf endet erst, wenn Professor Amalfitano (Christian Klischat) auftritt. Er kennt sowohl die literarische als auch vor allem die reale Welt mit ihrer schrecklichen Dysfunktionalität. Er kann die Welt nur noch als Farce begreifen und tritt folgerichtig in Clownskostüm und -maske auf. Die beiden Literaturkritiker verlieren im Gespräch mit ihm zusehends ihr für die wohlhabende Nordhalbkugel typisches Überlegenheitsgefühl und retten sich in Ersatzaktivitäten. Die eben noch so eloquente Liz bewegt sich eine gefühlte Stunde lang nur in ekstatischen Disco-Tänzen, und Jean-Claude zieht sich schließlich angesichts des desillusionierenden des Professors hinter den Gazevorhang seiner buchstäblich nackten Individualität zurück.

Amalfitano zeigt sich den beiden Literaturkritikern von seiner surrealistischen Seite. Er kann nichts mehr ernst nehmen und changiert in seinen Reden zwischen Ironie, Sarkasmus und ein wenig Zynismus, wobei es ihm vor allem darum geht, die Selbstgewissheit der beiden Intellektuellen zu untergraben. Er rückt damit als großer Zampano der Verunsicherung immer mehr in den Mittelpunkt. Zwar kann er den beiden viele Auskünfte zu dem geheimnisvollen Benno von Archimboldi geben, doch jede scheinbar positive Informatiion wird sofort wieder durch eine gegenteilige Aussage relativiert oder gar entwertet. Ein wenig erinnert die Suche der beiden Intellektuellen nach dem großen Dichter an Parsifals Suche nach dem heiligen Gral, nur dass hier die Suche nicht zu einer Lösung oder gar zu einer Apotheose führt sondern schlicht versandet. Andererseits erinnert diese Inszenierung auch an Becketts „Warten auf Godot“, denn die beiden Kritiker entfernen sich während der Aufführung immer weiter von ihrem ursprünglichen Ziel, vereinsamen und verlieren die Bodenhaftung, Archimboldi finden sie jedoch nicht.

Mona Kloos, Christian Klischat, Béla Milan Uhrlau

Einen neuen Impuls bringt Rosa, Amalfitanos Tochter, die längst desillusioniert ist und noch nicht einmal mehr an die Liebe glaubt, geschweige denn an den Glauben selbst. Die Kritikerin Liz Morton verwickelt sie in ein Gespräch und gewinnt ihr Vertrauen. Das Stück endet mit der zumindest in Ansätzen optimistischen Feststellung Mortons, dass sie die junge Rosa und ihr Gespräch nicht vergessen werde.

Trotz der Rätselhaftigkeit des Sujets – Claudia Bossard hat den selbst schon sehr enigmatischen Roman zu einer Kurzversion verdichtet – beeindruckt diese Inszenierung wegen ihrer Dichte und des Verzichts auf jegliche Effekthascherei. Die eitlen Intellekt-Dialoge der beiden Kritiker kommen eher als ironische denn als platte Karikaturen daher, der Philosophieprofessor Amalfitano wirkt trotz seines Clownskostüm nie klischeehaft sondern streckenweise sogar ernsthaft, wenn auch sibyllinisch, und die junge Rosa setzt als ernsthaft-illusionslose junge Frau einen Kontrast zu ihrem Vater und den beidem Literaturkritikern. Dazu hat Annalena Fröhlich eine weder aufdringliche noch aufgesetzte Bühnenmusik geschaffen, die dem verbalen Geschehen – eine Handlung im herkömmlichen Sinne gibt es ja kaum – den passenden Rahmen verleiht. Auch das Schweigen wird geübt, wenn ausgerechnet die eloquente Kritikerin auf den Wert des Redeverzichts hinweist und dem Publikum eine mehrminütige Geduldsprobe zumutet, die dieses jedoch diszipliniert besteht.

Diese Dichte der Inszenierung ist den Darstellern zu verdanken, die das Stück mit Ernst und Engagement und ohne jegliche Effekthascherei präsentieren. Béla Milan Uhrlau und Mona Kloos werfen sich gekonnt die verbalen Bälle zu, Christian Klischat verleiht Almafitano szenisches Gewicht und Anabel Möbius gibt der Rosa trotz einer relativ kurzen Szene eine eigene Kontur. Ernest Allan Hausmann spielt den Journalisten Fate bzw. Harry Seaman im Video und bleibt trotz dieses nur virtuellen Auftritts nicht ohne Wirkung.

Das Premierenpublikum zeigte sich angetan von diesem Stück und spendete kräftigen Beifall.

Frank Raudszus

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