Die Trompete war im Jazz des frühen 20. Jahrhunderts neben Posaune und Klarinette eines der führenden Instrumente und hielt sich zusammen mit diesen Geschwistern vom „New Orleans“ bis zum „Dixieland“. Mit dem Aufkommen des Saxophons in seinen drei Spielarten Tenor, Alt und Sopran verloren die drei Originalinstrumente deutlich an Gewicht im Jazz. Spätestens seit den vierziger Jahren dominiert das Saxophon wegen seiner einzigartigen Klangfarbe die Bläserszene im Jazz.
Da wirkt es geradezu wie ein Protest, wenn ausgerechnet ein Jazz-Trompeter in die erste Liga der Jazz-Bläser aufsteigt, die über Jahrzehnte von Saxophonisten wie Ornette Coleman, John Coltrane, Charlie Parker oder Lester Young dominiert wurde, um nur einige ältere Namen zu nennen. Und die Liste bekannter Saxophonisten ist deutlich länger als die der Trompeter, von Posaune und Klarinette ganz zu schweigen.
So kam auch der deutsche Jazz-Trompeter Til Brönner bei seinem Konzert „The Good Life“ im Rahmen des Rheingau Musik Festivals im sommerlich warmen Kurpark Wiesbaden nicht umhin, die Frage zu kolportieren, wie um Himmels willen er denn ausgerechnet auf dieses Instrument gekommen sei. Doch Brönner ist ein viel zu guter „Entertainer“, um aus dieser Frage kein humoristisches Marketingmaterial zu schlagen. So klagte er über seinen Fehler, nicht die Gitarre gelernt zu haben wie sein Band-Kollege Bruno Müller, dem alle Frauenherzen zuflögen. Er sei nun mal bei seinem Instrument hängen geblieben. Die heitere Ironie war in diesen Worten nicht zu überhören. Genau so wenig zu überhören waren Brönners Perfektion auf diesem Instrument sowie das hohe Niveau seiner Band, die neben Bruno Müller aus Mark Wyand (sax), Jasper Soffers (piano), Johannes Barnickels (keys) Christian von Kaphengst(bass) und David „Fingers“ Haynes (drums) besteht.
Wie bei solchen Konzerten üblich, intonierte die Band die ersten drei Stücke in Folge ohne Ansage, um das Publikum „warm zu spielen“. Wie das Publikum „a posteriori“ erfuhr, handelte es sich bei dem ersten Stück um die Filmmusik zu „Die drei Tage des Condor“ aus den 70er Jahren – und einige hatten das sogar erkannt! Das zweite Stück stammte von dem Gitarristen Wes Montgomery und das dritte, „46 and 6“ übertitelt, von Till Brönner selbst.
Die Filmmusik ist geprägt von einer langsamen, aber sehr akzentuierten Rhythmik, wie sie für den Spannungsaufbau in einem Thriller gebraucht wird. Bereits hier bestach Brönner durch seine virtuose und stets präzise Intonation und den strahlenden Klang seiner Trompete. In Wes Montgomerys Ballade gibt die Trompete das Thema vor, dann wechseln sich Soli von Trompete und Klavier ab, wobei sich vor allem Brönner durch hohe Virtuosität auszeichnete. Beeindruckend auch das enge Zusammenspiel zwischen Trompete und Saxophon.
In Brönners Ballade „46 and 6“ – der Titel bezieht sich auf eine Kreuzung in New York – gibt die Gitarre das Thema vor und soliert dann im Wechsel mit der Trompete. Anschließend intonieren Trompete und Saxophon ein intensives Zwiegesspräch, bei dem sie alle Klangräume „rauf und runter“ durchlaufen und das schließlich in ein „wildes“ Finale mündet.
Johnny Mercers Ballade „Once upon a Summertime“ ist quasi ein Solostück für Trompete, bei dem die Querflöte (Mark Wyand) assistiert. Laut Brönner stammt dieses Stück aus dem ersten Film von Catherine Deneuve, zu der er natürlich auch gleich eine selbst erlebte Anekdote nachreichen konnte. Das Stück ist von intensiver, melancholischer Erinnerung an verliebte aber vergangene Zeiten.
Eine schnelle brasilianische Samba beendete die erste Hälfte, bei der Till Brönner dem Klavier und dem Saxophon den Soloauftritt überließ und selbst als veritabler Jazz-Sänger mit spontanen Lautmalereien glänzte.
Das erste Stück, „1000 kisses deep“ von Leonard Cohen, wird nur von der Trompete und dem Bass vorgetragen, wobei Christian von Kaphengst das Publikum mit einem längeren Bass-Solo begeisterte. Dagegen wirkte Sascha Distels „The Good Life“ aus dem Jahr 1968 mit seiner eingängigen Liedform richtig schön traditionell; und die Band servierte es auch augenzwinkernd im Stil der guten alten Jazz-Standards. Der Latin-Standard „Her Smile“ entführte die Zuhörer gefühlt an die Copacabana, wobei der warme Sommerabend und Till Brönners Gesang(!) ihr Übriges taten.
War die zweite Hälfte bis hier leicht und fast schon unterhaltsam, so wurde es jetzt intensiver und anspruchsvoller. Das ist durchaus als Steigerung zu verstehen, hatte jedoch zur Folge, dass aufgrund der ausgesprochen langen Stücke die auflockernde Moderation weitgehend unterblieb und das Publikum einer ausgesprochen intensiven Improvisierstunde ausgesetzt war. Das erforderte nicht nur die absolute Bereitschaft, sich in die motivischen, harmonischen und rhythmischen Besonderheiten dieser Musik einzudenken, sondern auch eine hohe Konzentration auf das einzelne musikalische Element. Ob das angesichts der hochsommerlichen Temperaturen noch jedem Zuhörer in dem geforderten Maße gelang, ist zu bezweifeln. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Publikum unruhig wurde, ganz im Gegenteil: es folgte den ausgedehnten Improvisationen auf der Bühne wie gebannt.
„Return to the Fold“ ist ein vierzig Jahre alter Jazz-Klassiker, der in seiner introvertierten Distanziertheit stark an den „cool jazz“ erinnert. Hierbei erforschen die Musiker im engen Zusammenspiel neue Klangräume und -farben. Dabei ergeben sich immer wieder „space-ige“ Klänge, die wie aus dem All oder einer Raumstation importiert zu sein scheinen. Die Musiker folgen nicht mehr einem vorgegebenen Thema und improvisieren darüber in einer nachvollziehbaren Form, sondern sie gestalten die musikalische Form aus dem inneren Empfinden im Rahmen einer minimalen äußeren Form, die von ostinaten Wiederholungen geprägt ist. Dieses Stück scheint des Öfteren in einem dramatischen oder leise verklingenden Finale zu enden, um dann doch immer wieder auf ganz andere, unkonventionelle Art von neuem zu beginnen. Die Erwartungshaltung des Publikums in Richtung einer klaren Form, eines Höhepunktes und eines geschlossenen Endes werden hier eins ums andere Mal unterlaufen. Dabei durchlief die Band eine ganze Palette unterschiedlichster musikalischer Empfindungen und Ausdrucksweisen, die als Gemeinsames eine intensive Introvertiertheit, fast schon Weltabgewandheit zum Ausdruck brachten.
Till Brönner und seine Band schwangen sich mit diesem langen Stück noch einmal auf ganz andere musikalische Höhen hinauf und zeigten dabei vor allem ihre ausgeprägten Fähigkeiten zu einem intensiven und emotional dichten Zusammenspiel. Von der Leichtigkeit der ersten Hälfte war jetzt nicht mehr viel geblieben, und das Publikum – soweit es nicht dank hoher Jazz-Affinität darauf vorbereitet war – musste sich daran gewöhnen, dass Jazz an einem warmen Sommerabend nicht unbedingt mit Tempo, Witz und flottem Rhythmus gleichzusetzen ist, sondern hohe Ansprüche stellt – und erfüllt.
Frank Raudszus
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