Musik jenseits eingefahrener Kategorien

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Das Rheingau Musik Festival bietet jedes Jahr neben dem klassischen Kanon auch eine breite Palette zeitgenössischer Jazz-Produktionen und zeigt dabei ein deutliches Gespür für außergewöhnliche Vertreter dieser Gattung, wenn man denn diesen Begriff verwenden will. Der in Süd-Kalifornien Anfang der 70er Jahre geborene Gregory Porter ist ein wahrer Glücksfall für den Bereich der Musik, den man im weitesten Sinn mit Jazz, Soul, Blues und – ja auch! – Pop umschreibt. Er bezeichnet sich zwar selbst als Jazz-Sänger, sprengt aber die üblichen „Ressort-Grenzen“ durch seine ganz eigenwilligen Kompositionen und Interpretationen.

Gregory Porter vocals
Tivon Pennicott tenor sax
Albert Crawford piano
Jahmal Nichols double bass
Emanuel Harrold drums
Ondrej Pivec hammond
(c) RMf /Ansgar Klostermann

Dem heute weit verbreiteten Trend zum „Free Jazz“ widersteht er in Gestalt nicht nur tonaler sondern auch ausgesprochen melodischer Lieder. Dem klassischen Jazz-Song wiederum mit seiner meist zwei-themigen Struktur setzt er eine sehr freie Gestaltung seiner Stücke entgegen, die weniger einer strophenförmigen Struktur folgen als vielmehr einen inneren (oder äußeren) Monolog abbilden. In gewisser Weise erinnert Porter an Richard Wagner, der die Liedstruktur der Arien ersetzte durch eine Musik, die den Sinn der gesprochenen Worte in Musik umsetzte und die gesamte musikalische Struktur an den Gang des dramatischen Textes anpasste. Ähnlich agiert Gregory Porter, der ein Thema fast beiläufig formuliert und dann mit seiner Band vorträgt. Dabei ist nur eine minimale harmonische oder motivische Struktur zu erkennen. Ihm geht es nicht um den Wiedererkennungseffekt bestimmter musikalischer Motive, sondern um die musikalische Gestaltung von Texten ohne feste strophische Form.

Aus diesem Grund sind auch die Texte wichtiger als bei vielen Jazz-Standards, die oft aus eher flotten Musicals stamm(t)en, oder bei Blues und Gospel mit ihren fast schon ritualisierten Texten. Die größte Affinität von Gregory Porters Musik gilt dem Soul, da seine Texte und ihre musikalische Interpretation von einer ausgeprägten Emotionalität sind, die sich jedoch nicht im Klagen oder im (religiösen) Jubel erschöpft. Seine Stücke sind moralisch, aber nie pathetisch, gefühlsgeladen aber nie sentimental, gesellschaftskritisch aber nie ideologisch. Die musikalische Gestaltung bewegt sich thematisch, harmonisch und rhythmisch auf hohem Niveau und verzichtet weitgehend auf jegliche Effekthascherei. Man wird Gregory Porter nie – wie manchen Rockstar – in schreiende Ekstase oder in wohlfeilen Ekel über die ach so schlechte Welt verfallen sehen.

Gregory Porter und Jahmal Nichols

Sein Auftritt im Kurpark Wiesbaden verzichtete sowohl auf eine Pause als auch auf ein vorab festgelegtes Programm. Die einzelnen Stücke gingen fast nahtlos auseinander hervor und ließen gerade Zeit für kurzen Applaus zwischendurch. Dass Gregory Porter auch seine Stücke nicht mit Titeln und kurzer Erklärung ankündigte, kann man als Teil des Programms betrachten. Gregory Porter will keine Revue bekannter Musiknummern abspulen, sondern eineinhalb Stunden lang konzentriert Musik zelebrieren. Freunde der Kategorisierung und Wiedererkennung mögen dies als Schwäche empfinden – und auch er Rezensent sah dies anfangs so -, doch Porter will gerade nicht bestimmte „Musiknummern“ abhaken, sondern den Abend als „Gesamtkunstwerk“ gestalten. Auch hier ein später Nachfahre von Richard Wagner.

Schon das erste Stück kam als langsamer Soul mit freier Metrik daher, mit einem ausgedehnten Saxophon-Solo von Tivon Pennicott, der in diesem Programm neben Gregory Porter die auffälligste Rolle spielt. In seinen Soli nutzt er seine musikalische Freiheit weitestgehend aus, ohne dabei in die atonalen Regionen des „free jazz“ zu entschwinden. Der Pianist Albert „Chip“ Crawford bevorzugt bei seinen Soli einen kraftvoll-dynamischen, akkordischen Stil, kann sich aber bei der Begleitung auch auf zurückhaltende Akkorde beschränken. Als dritter Solist ist der Bassist Jahmal Nichols zu nennen, der ein Stück fast im Alleingang bewältigte und dafür auch spontanen Beifall erhielt. Der Schlagzeuger Emanuel Harrold und der (Hammond-)Organist Ondrej Pivec traten zwar nicht in gleichem Maße solistisch auf, schufen aber den rhythmischen und harmonischen Rahmen.

Gregory Porters Gesang ist ein eher lang gezogener Sprechgesang, durchaus mit harmonischen und thematischen Elementen, aber einem eher an ein Gespräch erinnernden Duktus. Auf diese Weise bringt er dem Publikum sein Anliegen vor und beginnt darüber singend nachzudenken. Das Ganze wirkt wie „ad hoc“ intoniert, ist aber natürlich ausgefeilt arrangiert. Auch Jazz-Zitate flicht Porter gerne ein: so erwähnt er in einem Lied den „A Train“, dann das Ziel Harlem, und im Hintergrund bimmelt es wie bei einer guten alten „Bimmelbahn“. In dem Lied „Take me to the Alley“ spricht Porter das Publikum direkt an und widmet dieses nachdenkliche Lied den Einsamen, den Verlierern, den Abgehängten. Im Wechselspiel mit dem Piano besticht hier vor allem die ausgeprägte Rhythmik. Das Lied endet mit dem leise verklingenden „rest here in my garden, lonely one“.

Blick von der Bühne

Das Lied „Boy  …. Young Man“ beginnt langsam und geht dann nach einem Break in einen temporeichen „Rock Swing“  mit Soli von Saxophon und Hmamond-Orgel über. In „Hey Laura it´s me“ sinniert Gregory Porter wie in einem inneren Monolog über eine Beziehung nach und erzählt dabei deren Geschichte. In dem Gospel „There´s a Spirit“ versucht Porter mit der Textzeile „Clap your hands in the rhythm of your hearts“ zum Mitklatschen zu bewegen – angesichts der hohen Temperaturen an diesem Abend aber mit mäßigem Erfolg. Über die Liebe sinniert Porter mit dem wiederkehrenden Refrain „There will be no love that´s dying here. The bird that flew in through my window
simply lost his way.“

Das Lied „Smile“ erinnert in seiner eingängigen und doch raffinierten Melodik an Gregory Porters Namensvetter und Vorgänger Cole Porter. Der Text  „Smile, even if your heart is breaking“ könnte auch gut aus den legendären 30er Jahren stammen. Ob diese Ähnlichkeit wohl als Reverenz an Cole Porter gedacht war?

Ein großes Vorbild für Gregory Porter war Nat King Cole. Ihm huldigte Gregory Porter an diesem Abend in einer kurzen Moderation und widmete ihm sozusagen das rhythmisch akzentuierte Lied „This is not for me“. Dabei lieferte „Chip“ Crawford am Klavier eine kurze Revue bekannter Nummern von Schubert, Mozart und Beethoven („da-da-da-daaaa“) und dazwischen den „lieben Augustin“, um dann in eine fulminante Improvisation mit Bass und Schlagzeug überzuleiten. Gregory Porter beschloss diese musikalische Parforce-Tour mit dem gesungenen Eingeständnis „I need the Music“. Finis.

Als Zugabe aufgrund des begeisterten Beifalls gab es noch ein Märchen, das mit „Once there was a Kingdom“ begann und mit „When Love was King“ endete.

Gregory Porter uns seine Band wissen genau, wie man einen solchen Abend musikalisch gestaltet, ohne das Publikum mit Standards abzufüttern. Diese sieben Vollblut-Musiker zelebrierten Musik um ihrer selbst willen und nicht, um bestimmte Publikumserwartungen zu erfüllen.

Frank Raudszus

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