Als der englische „A capella“-Chor „The Kings´ Singers“ am 22. Juli beim Rheingau Musik Festival im Kurhaus Wiesbaden auftrat, war sein Auftritt im Staatstheater Darmstadt sozusagen noch nicht verklungen. Da lag es nahe anzunehmen, dass die sechs jungen Männer das selbe Programm noch einmal abspulen würden. Doch diese Befürchtung des Rezensenten, es handele sich um eine bloße Wiederholung, erwies sich als unbegründet. Zwar waren Teile des Programms einschließlich der Moderation tatsächlich identisch, doch es kamen an diesem Abend genügend andere Stücke zu Gehör, um den Eindruck eines unverwechselbaren Programms zu vermitteln.
Dennoch können wir für die identischen Programmteile auf unsere Rezension des Darmstädter Konzerts verweisen. Dazu gehören der Beginn mit dem Gebet von Henry VI., die Jubiläumskomposition „Quintessentially“, das Straßenlied „Poor Roger“ sowie Nick Muhlys Komposition „To stand in this House“. Damit war es denn aber auch schon genug der Überschneidungen. Den größeren Teil dieses Abends prägten andere Lieder, darunter erstaunlich viele deutsche Volkslieder – eine stille Abbitte für den bevorstehenden Brexit??
Da hörte man dann das gute alte „Innsbruck, ich muss dich lassen“ in einer völlig neuen, musikalisch anspruchsvollen und sogar humorvollen Version. Dann erklang eine Hymne auf den Weingenuss von Hans Leo Haßler von Roseneck aus dem späten 16. Jahrhundert, bei dem die sechs Sänger jede Strophe mit einem sich jedes Mal verstärkenden „Prooooost!“ beendeten. Bei der letzten Strophe waren Einschränkungen der Standsicherheit zu verzeichnen. Nach dem Zwischenspiel der religiösen Hymne „The seasons of his mercies“ von Richard Rodney Bennet – ebenfalls aus dem späten 16. Jahrhundert – kamen wieder zwei deutsche Lieder. Max Regers „Morgengesang“ nach Johannes Zwecks Text aus dem 15. Jahrhundert spiegelt die damalige Zeit mit einer introvertierten Homophonie und zeigt den Übergang von der ernsten Kirchenmusik der mittelalterlichen Klöster zur erwachenden Volksmusik. Dagegen zeigt Johannes Brahms´ „Abendständchen“ nach einem Text des 18. Jahrhunderts, wie sich die Mehrstimmigkeit in den dazwischen liegenden drei Jahrhunderten entwickelt hat. Obwohl beide Komponisten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lebten, spiegelten sie in diesen beiden Stücken in gewissem Sinne den musikalsichen Stand der jeweiligen Epoche wider.
Nach einem Ausflug zu einem japanischen Komponisten, der vier Haikus in Anlehnung an den Jazz der 50er und 60er Jahre vertont hat, kam noch einmal das deutsche Volkslied zu seinem Recht. Nach dem traditionell, fast homophon gesungenen „Es dunkelt schon in der Heide“ zogen die sechs Sänger mit „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ alle humoristischen Register des Gesangs – bis hin zu eine „Kuk-Kuk“Variante im Stil des Beginns von Beethovens „Fünfter“.
Nach „Poor Roger “ und dem Muhly-Song – bereits bekannt aus dem Darmstädter Konzert – öffneten die „Kings´ Singers“ die „Zuckertüte“, wie sie es selbst nennen. Nun gab es leichte Kost, gerne interpretiert in verrückter Manier. Dazu gehörte neben „Blackbird“ von den Beatles der gute alte Seelenwärmer „Green Sleaves“, dem die sechs Sänger auf gekonnte Weise neues Leben einhauchten, und nach dem Song „It´s a new World“ schmetterten sie die Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“ auf ganz unernste und dennoch mit all den Instrumenten-Imitationen naturalistische Weise.
Das hätte schon gereicht, um das Publikum zu begeistern. Doch das applaudierte derart stark und ausdauernd, dass die jungen Männer noch zwei Zugaben sangen: das afrikanische Lied „Kelele“ von Angélique Kidjo (arr. Toby Young) sowie „That Lonesome Road“ von James Taylor.
Frank Raudszus
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