Island, knapp südlich des Polarkreises (ca. 67 Grad nördlicher Breite) gelegen, erstreckt sich über eine Fläche, die etwa vier Fünftel der britischen Hauptinsel entspricht, zählt aber nur 350.000 Einwohner. Da davon etwa zwei Drittel in Reykjavik und dessen näherer Umgebung leben, ist der Rest der Insel nahezu menschenleer. Die anderen Städte, soweit man sie so nennen darf, liegen überwiegend an der Küste und lassen sich an zwei Händen abzählen. Das Innere der Insel ist fast ausschließlich den Bergen, Gletschern und ausgedehnten Flachgebieten vorbehalten.
Aus diesen Randbedingungen könnte man schließen, dass sich eine Reise nach Island kaum lohnt, zumal die Hauptstadt mit ca. 125.000 Einwohnern über das Profil einer deutschen Provinzstadt kaum hinauskommt. Doch weit gefehlt: die Insel und ihre Hauptstadt weisen einen ganz eigenen Reiz auf, der jeden Besucher von Anfang an für dieses (flächenmäßig gar nicht so) kleine Land einnimmt.
Landschaft und Bauten
Wenn man auf dem Flughafen Keflavik landet, sticht im ersten Augenblick – schon aus der Luft – die flache und karge Landschaft ins Auge. Da wir im März anreisten, kam dazu noch die ockerfarbige bis braune Farbe, da noch kein frisches Grün die weiten Flächen belebt. Bäume sieht man weit und breit nicht, und auch Büsche sind dünn gesät. Reykjavik liegt etwa vierzig Kilometer entfernt, sodass bei dem Bustransfer noch einen Eindruck der wesentlichen städtischen Ansiedlungen der Insel gewinnt. Neben den vielen geduckten und oft auch farbigen Häusern, wie man sie aus Skandinavien kennt, erheben sich hier allerorten modernde Gewerbebauten, die jedoch wegen des reichlich vorhandenen Baugrunds und auch der latenten Erdbebengefahr auf wenige Stockwerke beschränken. Island liegt auf der Grenze der amerikanischen und eurasischen Kontinentalplatten, die jährlich um einen kleinen, aber messbaren Betrag auseinanderdriften. Das führt zu vielen kleinen Erdbeben, die jedoch kein größeres Problem darstellen.
Der alte Hafen
Reykjavik liegt an einem kleinen Sund, der sich nach Westen zu einer großen Bucht weitet. Mehrere vorgelagerte kleiner Inseln schützen den inneren Sund und damit die Hauptstadt vor dem Seegang aus West und Nordwest, der im Nordmeer recht heftig ausfallen kann. Die Altstadt ist um den alten Fischereihafen im Westen herum angesiedelt und von einer ausgeprägten Hafenathmosphäre geprägt. Als sich dieser alte Hafen sowohl für Container- als auch für Kreuzfahrtschiffe als unzureichend erwies, verzichtete man aus städtebaulichen wie auch aus technischen Gründen auf eine Erweiterung und errichtete stattdessen weiter im Osten einen neuen Hafen für größere Schiffe. Das beließ der Altstadt ihren ursprünglichen, fast schon intimen Charakter, wenn auch die Straße im Sinne einer „autogerechten Stadt“ mitten durch die Stadt führt. Es wurde auch lange diskutiert, ob man die Werft mit ihren Slips unmittelbar vor der Altstadt ebenfalls verlagern sollte, zumal dort mit dem „Marina“ ein ausgesprochen modernes, geradezu „hippes“ Hotel liegt. Doch man hat bewusst darauf verzichtet, um den Charakter eines Fischereihafens zu bewahren. So schaut man jetzt aus den seeseitigen Hotelzimmern unmittelbar auf die mehr oder minder großen Werftlieger und kann den Werftbetrieb studieren.
Der erste Spaziergang von diesem Hotel aus gilt natürlich dem Hafen selbst. Außer verschiedenen Schiffen der Küstenwache und von Kabelfirmen liegen hier Fischdampfer, Rettungskreuzer und Museumsschiffe. Letztere gehören zu einem modernen Schiffahrtsmuseum, das leider wegen verschiedener Umbauten geschlossen war. Vor dem Museum liegt neben einem alten Fischkutter auch ein ehemalige Korvette der Küstenwache, die in den drei isländisch-englischen „Fischereikriegen“ von 1958 bis 1974 eine gewisse Berühmtheit erlangte.
Eine weitere Attraktion des alten Hafens sind die Agenturen für „Whale Watching“, die von hier aus ihre Touristenboote in die Walgebiete zwischen Island und Grönland schicken. Wer genug Zeit für eine ausführliche Erkundung Islands mitbringt, sollte sich dieses Erlebnis unbedingt gönnen, dafür allerdings einen ganzen Tag einplanen. Wer diese Zeit nicht hat, sollte jedoch auf jeden Fall das Wal-Museum „Whales of Iceland“ besuchen, das fünf Gehminuten hinter dem Schiffahrtsmuseum liegt. Dieses Museum beherbergt lebensgroße Exemplare aller wichtigen Walarten, die im Nordmeer vorkommen. Ausgefeilte Audio- und Videoinstallationen bieten umfassende Informationen zu diesen größten lebenden Säugetieren an. Hier kann man durchaus mehrere Stunden verbringen und sich einen bleibenden Eindruck von der Größe dieser Meeresbewohner verschaffen.
Kulturelle Blickfänger
Außer maritimen Spezialitäten hat die Altstadt jedoch auch kulturelle Höhepunkte zu bieten. Da ist zuerst einmal die Konzert- und Kongresshalle „Harpa“ (isländisch für „Harfe“) zu nennen, die sich direkt im Anschluss an den alten Hafen auf einem exponierten Platz erhebt. Die bewusst asymmetrischen und schrägen Außenwände bestehen aus einer ausgesprochen leicht wirkenden Glas- und Stahlkombination, wobei einzelne Glaselemente farbig gehalten sind und je nach Lichteinfall unterschiedliche Farbreflexe verursachen. Das Innere besteht aus einer bis nach oben offene Halle, die von leicht ansteigenden Rampen umgeben und von breiten Treppen durchzogen ist. Der Innenraum wirkt ein wenig wie eine Kathedrale, jedoch ohne deren typische Strenge. Leichtigkeit und Licht prägen diesen Bau auch von innen her. Hier finden alle großen kulturellen und gesellschaftlichen Ereignisse statt, und die „Harpa“ ist ebenso ein Markenzeichen für Reykjavik wie die Elbphilharmonie für Hamburg.
Nicht weit davon entfernt erstreckt sich im Altstadtbereich das Kunstmuseum – „Listasafn Reykjavíkur Reykjavík Art Museum“ -, ein moderner, jedoch schlichter Bau, in dem man die isländische Kunstszene in wechselnden Ausstellungen erkunden kann. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung zu den inneren Altstadtbezirken, wo neben kleinen Plätzen die Domkirche und das Landnahme-Museum einen Besuch lohnen. Natürlich sollte man auch die kleinen Café und Bars in dieser Ecke nicht vergessen; und auch ein Spaziergang an dem innerstädtischen See Reykjavíkurtjörn ist vor allem an sommerlichen Tagen zu empfehlen.
Freunde der Kirchenarchitektur sollten sich unbedingt die Hallgrimskirkja anschauen. Man erreicht sie über die sanft ansteigende Einkaufsstraße „Skólavörðustígur“ in weniger als fünfzehn Minuten. Sie erhebt sich auf einem die Alstadt überragenden Hügel und erinnert im ersten Augenblick ein wenig an Gaudis „Familia Sagrada“ in Barcelona“. Technikaffine Besucher sehen vielleicht eher Ähnlichkeiten mit dem „Space Shuttle“, denn die Kirche sieht von Weitem tatsächlich ein wenig wie eine startbereits Rakete mit weit ausladenden Steuer- und Tragflächen am unteren Ende aus. Die Kirche hat aus zwei Gründen zu vielen Diskussionen geführt: einerseits die Form, die so gar nicht an nordisch-protestantische Kirchen erinnert, und andererseits Farbe und Material, denn sie besteht aus hellem Beton, der an die hellen Farben vieler isländischer Felsformationen anschließen soll. Neben dem schlichten, lichtdurchfluteten Inneren der Kirche ist vor allem der Ausblick von der Aussichtsplattform zu erwähnen, der einen weiten Blick über die Stadt und Umgebung ermöglicht und den man man auf keinen Fall verpassen sollte.
Das wankelmütige Polarlicht
Das Polar- oder Nordlicht ist eine Hauptattraktion nördlicher Regionen. Fotos davon wecken jedes Mal Begeisterung und Staunen. Leider hat das Polarlicht die unangenehme Eigenschaft, nicht planbar zu sein; es erscheint einfach nicht, wenn Touristen es wünschen, auch wenn sie vehement darauf bestehe, da sie ja schließlich dafür bezahlt haben. Wir hatten an diesem späten Abend Glück und Pech zugleich. Auf der Fahrt nach Keflavik, weit genug entfernt vom Lichtermeer der Großstadt, erschien plötzlich rechts der Fahrtstrecke ein weit ausgedehntes Polarlicht, das sich dem menschlichen Auge jedoch nicht vielfarbig sondern eher wie eine weiße Wolkenformation zeigt. Der wesentliche Unterschied zu Wolken besteht jedoch darin, dass sich die Form des Polarlichts im Sekundentakt ändert, je nachdem, wie die Teilchen des Sonnenwindes, die sich mit über 800 km/sec ausbreiten, auf Magnetfeld und Atmosphäre der Erde treffen. „Ohs“ und „Ahs“ der Busreisenden begleiteten diese Erscheinung. Am Zielort allerdings, wo Zeit und Ruhe zur Beobachtung zur Verfügung standen, verflüchtigte sich das Polarlicht schnell und war nur in Ansätzen noch zu erkennen. Man muss wohl öfter diesen nächtlichen Ausflug wagen, um irgendwann einmal ein Nordlicht in voller Schönheit zu erleben.
Wildes Wasser in Geysiren und Wasserfällen
Dafür ist das Erlebnis am Folgetag umso beeindruckender. Mit dem Bus geht es hinaus aus der Stadt nach Osten ins Binnenland. Schon bald ändert sich die ocker-braune Umgebung und nimmt eine weiße Färbung an. Je weiter wir uns von der Küste entfernen, desto schwächer wird der wärmende Effekt des Meeres und die Gletscher gewinnen klimatisch die Oberhand. Feiner, weißer Pulverschnee bedeckt durchgehend das Land, und ringsumher grüßen schneebdeckte Berge aller Größenordnung bis zu 1.200 Metern.
Nach dem Besuch einer Tomaten-Farm – eine Spezialität auf Island – geht es weiter zu den Geysiren, die auf einem leicht ansteigenden Schneefeld neben der Straße vor sich hindampfen. Manche brechen alle zehn Minuten aus, manche alle zehn Jahre. Nur bei ein oder zwei der dampfenden Wasserlöcher kann man mit dem Fotoapparat in der Hand auf den nächsten Ausbruch warten und wird dann belohnt. Unsere Reiseführerin Katharina erklärt uns die Wirkungsweise eines Geysirs am Beispiel eines Wassertopfes. Dort bilden sich bei Erhitzung Dampfbläschen am Boden des Topfes, weil die Hitze von unten kommt, und steigen dann zur Oberfäche auf. Bei den geysiren ist es ähnlich, doch wegen der hohen Wassersäule in dem typischen Geysirloch können die Bläschen gegen den Wasserdreuck nicht aufsteigen. Es bildet sich daher am Boden eine schnell wachsende Dampfblase, deren zunehmender Druck irgendwann den Wasserdruck übersteigt, was dann zu einer plötzlichen Eruption führt. Dann beginnt das Spiel von neuem.
Eine weitere Attraktion auf dieser Fahrt ist der Wasserfall Gullfoss, der aus zwei aufeinander folgenden Einzelfällen von elf und einundzwanzig Metern besteht, die sich über eine Breite von über zweihundert Metern erstrecken. Hier donnert das Wasser aus einem breiten Plateau hinab in eine tiefe, schmale Schlucht, die sich das Wasser über Jahrtausende in das weiche Gestein gegraben hat. Um diesen Wasserfall rankt sich noch eine rührende Geschichte von einer tapferen Frau, der das land um den Wasserfall gehörte und die durch ihren unermüdlichen Einsatz verhinderte, dass englische Investoren Anfang des 20. Jahrhunderts dieses Naturschauspiel durch die Errichtung eines Staudamms zerstörten. Die Isländer dankten ihr mit einem Denkmal am Aussichtspunkt auf den Gullfoss.
Kluft zwischen Europa und Amerika
Auf dem Rückweg fahren wir durch urtümliche Felsen- und Mooslandschaft, die sich über der auseinanderklaffenden Spalte der beiden Kontinentalplatten gebildet hat. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich hier spontan Spalten von mehreren Metern Breite und beachtlicher Tiefe gebildet, die sich wiederum mit Felsbrocken und Bewuchs füllten. Das etwa einem Kilometer breite Tal zwischen den beiden Kanten der Kontinentalplatten ist in steter Bewegung und hat sich kontinuierlich abgesenkt. An der „amerikanischen“ Platte wandern wie einen Weg empor, der am oberen Ende inzwischen durch eine künstliche Brücke ersetzt werden musste, da sich der Boden unter dem Weg wie ein Schlund geöffnet hatte. Oben angekommen, genießen wir einen spektakulären Blick über den großen Binnensee „Þingvallavatn“ auf die dahinter liegenden, schneebedeckten Berge. Das ist ein wahrlich gelungener Abschluss eines rundherum beeindruckenden Rundreise durch das südliche Island.
Übrigens: in diesem einen Tag sahen wir nur einen winzigen Teil der Insel. Wer sie wirklich kennenlernen will, sollte eine zweiwöchige Tour unternehmen. Aber Achtung: die Fahrt mit dem eigenen Wagen kann sehr teuer werden, da die Straßen im Inneren der Insel nicht im europäischen Sinne befahrbar sind. Laut Aussage unserer Reiseführerin versenken jährlich ein Drittel der selbst fahrenden Touristen ihre Mietwagen in irgendwelchen reißenden Gebirgsbächen, die sie – nur aufgrund einer Furt – für passierbar hielten. Man sollte hier also einen professionellen Reiseveranstalter nutzen.
Bleibt noch das dritte „G“ des Titels dieses Beitrags zu erklären. Die Isländer zeichnen sich durch eine ausgeprägte Gelassenheit aus. Dazu mag die geringe Bevölkerungsdichte ebenso beigetragen haben wie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Infrastruktur. Hier gibt es keine schnell getaktete Online- oder Medien-Industrie. Die wesentlichen Wirtschaftsfaktoren sind Fischfang und ein wenig Landwirtschaft. Selbst der Tourismus hält sich – glücklicherweise – in Grenzen, da es an Unterkünften und entsprechender Verkehrsinfrastrukur mangelt. Um es etwas verkürzt auszudrücken: wenn der Isländer vom Fischfang heimkehrt, kann er in Ruhe die Füße wegstrecken, da es keine hektische Vergnügungsindustrie gibt. Außerdem verlocken die hohen Preise – vor allem für alkoholische Getränke – nicht gerade zu ausufernden abendlichen Vergnügungen.
Frank Raudszus
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