Olga hatte sich an die lange Abwesenheit ihres Geliebten Herbert gewöhnt. Sie spürte keine Zäsur, dass es nun doch zu lang, zu unerträglich wurde. Angesichts der vielen Toten des Ersten Weltkriegs in Frankreich hatte sie sich langsam an den Gedanken gewöhnt, dass Herbert gefallen sein könnte. Ständig gab es Nachrichten von gefallenen Soldaten, und Olga kam es vor, als werde eine ganze Generation ausgelöscht.
Bernhard Schlinks neuer Roman „Olga“ erzählt von der Liebe und den gesellschaftlichen Verhältnissen, die den Einzelnen wie einen Spielball hin und her werfen. Olga wächst im Kaiserreich in ärmlichen Verhältnissen bei einer lieblosen Großmutter auf. Sie ist fleißig, folgsam und strebsam, denn sie will unbedingt Lehrerin werden. Herbert, Sohn eines reichen Gutsbesitzers, ist ein neugieriger Geist, der das Abenteuer sucht, später gerne Soldat ist und von Eroberungen und Kolonien für Deutschland träumt.
Olga geht es nicht um Reichtum, sondern einzig um Bildung, die sie später auch gerne an ihre Schüler weitergeben will. Sie spürt eine starke soziale Verantwortung für die einfachen Menschen. Herbert will Ruhm für sich, aber auch den Ruhm des Vaterlands mehren. In seinem Größenwahn steckt eine große Sehnsucht, sich zu verlieren und in der Größe Deutschlands aufzugehen. Olga ist da viel pragmatischer. Sie träumt von einer kleinen Familie und einem bodenständigen Leben.
Auf ungewöhnliche Art erzählt Schlink von diesen beiden unterschiedlichen Charakteren, die für einander eine große Liebe empfinden, aber nicht zueinander finden sondern auseinander streben.
Olga flüchtet sich letztendlich in eine einseitige Kommunikation, indem sie Briefe an Herbert schreibt, auf die jedoch nie eine Antwort folgt. Doch gerade diese Briefe sichern Olga das Überleben in ihrer Einsamkeit.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 311 Seiten und kostet 24 Euro.
Barbara Raudszus
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