Jeder kennt das alte deutsche Märchen vom Aschenputtel: Böse Stiefmutter und neidische Stiefschwester quälen das arme Aschenputtel. Prinz verliebt sich in das arme Mädchen, doch böse Schwester übernimmt ihre Rolle. Zufall hilft, Aschenputtel kriegt den Prinzen, und die Bösen gehen leer aus.
Im Englischen heißt dieses Märchen „Cinderella“. Aus dem englischen Namen hat das Schmidt-Theater Cindy Reller gemacht und das Ganze in eine heutige Stadt verfrachtet, die Hamburg sein könnte. Cindy muss für ihre Stiefmutter und die einfältige, aber selbstbewusste Stiefschwester Blondie sowohl den Tierladen als auch den Haushalt schmeißen, während die beiden sich dem Alkohol bzw. heiratsfähigen Millionären widmen. Nur ihre Tiere und das Singen erwärmen ihr unterdrücktes Gemüt.
Währenddessen suchen Vater und Sohn Grootfru von der gleichnamigen Werbeagentur nach dem ultimativen Werbesong für ihren arabischen Scheich aus Dubi-Dubi-Dubai. Der Sohn hört zufällig Cindys Gesang, ohne sie zu sehen, doch Mutter und Schwester bekommen durch eine dumme Verwechslung Wind von der Sache, und die (nicht nur) stimmlich völlig unbegabte Blondie schlüpft in die Rolle der begnadeten Sängerin, um nicht nur den lukrativen Werbevertrag, sondern vielleicht auch einen solventen Ehemann abzustauben.
Doch bei einem Besuch der Tierhandlung verliebt sich Grootfru junior in Cindy, ohne etwas von ihrer Sangeskunst oder gar von den Intrigen zu ahnen. Da er nach dem Willen des cholerischen Vaters auch noch Lumina, die Tochter des Scheichs, heiraten soll, ist die Tragödie vorgezeichnet. Aber dies wäre kein Märchen, wenn nicht doch alles gut ausgehen würde. Zwar spielt dabei kein blutiger Schuh mit, aber Genosse Zufall und andere dramaturgische Volten sowie unerwartete Großherzigkeit sorgen dafür, dass am Ende nicht nur eine Doppelhochzeit stattfindet, sondern auch alle Beteiligten rundherum zufrieden sind.
Autor Heiko Wohlgemuth und Komponist Martin Lingnau haben diese Geschichte durch viele überraschende textliche und musikalische Einfälle in einem solchen Maße angereichert, dass keinen Augenblick Langeweile aufkommt. Dabei geht es verbal und gestisch durchaus auch deftig zu, wie es das Lokalkolorit der Reeperbahn verlangt. Für zarte oder gar prüde Gemüter ist diese Inszenierung nicht gedacht.
Als „Running Gag“ tritt dabei der schwule Coach und „Mädchen-für-alles“ Emsig auf, der nicht nur die Wutanfälle des Firmenchefs mit der Sauerstoffmaske und Kinderliedern behandelt, sondern auch noch als wandlungsfähiger Sangeskünstler auftreten muss. Sein tuntenhaftes Gehabe geht natürlich voll gegen die „political correctness“, aber das ist den Theatermachern nur recht, und so spielen sie diese Szenen genüsslich aus.
Natürlich wird auch das uralte Thema „Senior- und Juniorchef“ ausgiebig durchgespielt, und dabei bleibt kein Auge trocken. Grootfru junior muss „per aspera ad astra“ gehen und steht einige Male vor dem Rauswurf, ehe er ins Happy End einkehren kann.
Natürlich nimmt dieses Musical die Märchenvorlage nicht ernst im Sinne einer psychologisierenden Inszenierung, sondern zieht alle (pseudo)moralischen Werte des Märchens durch den Kakao, indem es Charaktere und Handlungen satirisch überzeichnet. Dazu gehören auch direkte Interaktionen mit dem Publikum, von denen Blondies unvermitteltes und improvisiertes „Dating“ mit einem Herrn aus der ersten Reihe besonders hervorsticht.
Die Darsteller haben offenbar viel Spaß an dieser flotten Aschenputtel-Variante und legen bis zum Schluss viel Tempo vor. Dazu singt jede und jeder mindestens eine Solonummer in allerschönster Schlagermanier.
Das Bühnenbild bewegt sich bewusst im biederen Stil der Siebziger, gewinnt jedoch dann und wann fast eruptionsartig an Farbe und Exotik. Da tanzen dann verschleierte Schöne (auch gerne mit stark behaarten Beinen) zu orientalischen Klängen und erotischer Beleuchtung, oder die Tiere der Tierhandlung fallen in tänzerische Ekstase.
Das Schöne und Erfrischende an dieser Inszenierung ist, dass Regie und Darsteller nicht nur den Stoff nicht wirklich ernst nehmen, sondern auch permanent sich selbst und die Inszenierung ironisch in Frage stellen. Das Ganze ist halt ein Heidenspaß, für die Darsteller wie für die Zuschauer. Und das ist auch gut so!
Frank Raudszus
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