„Meine Männer“ ist eine leichtfüßig geschriebene Lektüre mit Tiefgang über die Männer, die das Leben der Autorin Viktorija Tokarjewa geprägt und ihre schriftstellerische Karriere gefördert haben. Es ist aber auch ein zutiefst russisches Buch, das deutsche Leserinnen immer wieder verblüfft.
Viktorija ging in die Schule „104“. Schon das wirkt lieblos-anonym und identitätslos. Sie findet schnell zwei Freundinnen, beide mit dem Vornamen Ljusja. Aus Sicht der Lehrer passen die drei Mädchen eigentlich nicht zusammen, denn Einserschülerinnen wie die beiden Ljusjas sind wie Generäle und sollten sich mit der Viererschülerin Viktorija – also einem einfachen „Soldaten“ – besser gar nicht erst abgeben.
Doch wie das Leben so spielt, schießt Viktorija nach einem Lehrerwechsel im Fach „Literatur“ von der Vierer- zur Einserschülerin empor. Sie bekommt als einzige die Eins und spürt, dass sie alle überflügeln kann, wenn sie nur will. Dieses positive Erlebnis aus der Schulzeit prägt sie für ihr Leben.
Jahre später tritt sie ihre erste Stelle als Gesangslehrerin in einer allgemeinbildenden Schule an. Die Schule wirkt wie ein Straflager: ein einstöckiger Gebäuderiegel aus Holz. Die Hälfte der Väter ihrer Schüler sitzen im Gefängnis. Der Schüler Sobakin – rothaarig und sommersprossig – hängt im Unterricht immer unter der Zimmerdecke. Er schlingt Arme und Beine um die Wasserrohre und klammert sich an ihnen fest. Viktorija gelingt es nicht, den Schüler von der Decke zu pflücken; dafür bricht in der Klasse eine Art Bürgerkrieg aus, als die Schüler den Jungen herunterholen wollen. Das artet dermaßen aus, dass sich Viktorija hinter dem Klavier versteckt.
Sie merkt recht bald, dass der Lehrerberuf nicht ihre Erfüllung ist. Deshalb will sie doch lieber zum Film. Tatsächlich erhält sie eine kleine Rolle und lädt zur Premiere ihre Verwandten und Freunde ein. Leider ist dann genau ihre Szene gestrichen worden. Über Protektion erhält sie schließlich einen Platz an der Filmhochschule. Dort bekommt sie eine Meisterlehre, Beurteilungen, ein schöpferisches Umfeld – und Konkurrenz. Aber vor allem eine Lehrerin, die von ihr begeistert ist.
Die Beschreibung von Viktorijas Leben liest sich gut, und man erkennt schnell, dass in Russland vieles anders ist. Das zeigen Sätze wie „München ist eine gute Stadt: sauber, schön, mit guten Geschäften und guter medizinischer Versorgung. Aber gut ist nicht dort, wo es gut ist, sondern dort, wo du gebraucht wirst.“ – „In der Heimat herrschte ein völlig anderer Blutkreislauf.“ – „In unserem Land war es immer so: wer alles war, wurde ein NICHTS.“
Viktorijas großes Glück ist schließlich, dass der Verleger des Diogenes-Verlags sie unter Vertrag nimmt. Ausführlich berichtet sie über die russisch-schweizerische Begegnung und die Faszination, die von dem Verleger-Ehepaar ausgeht. Auch Gorbatschow und Anton Tschechow sind Männer, die zu ihrem Fortkommen und zu ihrer persönlichen Entwicklung beitragen, da diese nach ihrer eigenen Aussage „Architekten ihres Lebens“ waren.
Gerade die Andersartigkeit eines Frauenlebens im Vergleich zu Deutschland macht das Buch spannend und lesenswert.
Das Buch ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 164 Seiten und kostet 20 Euro.
Barbara Raudszus
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