Seit einiger Zeit ist bei deutschen Theatern wieder der Trend zu beobachten, Prosa-Stücke zu Bühnenversionen umzuarbeiten. Das kann – je nach Vorlage – gut aber auch schief gehen, gelten doch für Prosawerke ganz andere Gesetze als für Bühnenstücke. Die „Neue Bühne Darmstadt“ hat sich diesem Trend angeschlossen, mit Carl Zuckmayers Novelle „Die Fastnachtsbeichte“ allerdings ein Stück ausgesucht, das sich für die Bühne besonders gut eignet. Dazu trägt einmal die Gattung der „Novelle“ – oder auch „Erzählung“ – bei, die dank ihrer Kürze die Handlung verdichtet und auf die Epik des Romans verzichtet. Zum anderen enthält gerade diese Erzählung sehr viel Theaterelemente wie zugespitzte Dialoge und eine bewusst auf Spannung angelegte Handlung. Darüber hinaus hat Zuckmayer, der für eine so geistreiche wie erfolgreiche Unterhaltungsliteratur bekannt war, in dieses Stück alle Versatzstücke erfolgreicher Theaterstücke hineingepackt: eine großbürgerliche Familie mit adligem Hintergrund, eine leicht dubiose verwandschaftliche Beziehung zu Sizilien (Palermo!), erotische Beziehungen zwischen Herrschaft und Gesinde mit lebenslangen Folgen und die daraus entstehenden Konflikte von Solidarität, Eifersucht und Erpressung.
Das Stück beginnt düster und geheimnisvoll, als im Jahr 1913 mitten in der Mainzer Fastnacht ein junger Soldat in den Dom taumelt, mit einer Beichte beginnt und dann verstirbt – an einem Dolchstich im Rücken. Er wird als der angeblich bei der Fremdenlegion – auch dieses Element darf nicht fehlen! – gefallene Sohn einer ehemaligen Dienstmagd – so nannte man das Personal noch vor dem Ersten Weltkrieg – der Familie Panezza identifiziert, und damit beginnt ein Verwirrspiel, dass der Autor zwecks Erhöhung der Spannung von verschiedenen Seiten her aufzieht. Langsam schält sich allerdings der wahre Kern der Affäre heraus, der letztlich auf familiäre Kalamitäten zurückzuführen ist. Wenn auch die Auflösung des Mordes am Schluss ein wenig wie ein „deus ex machina“ daherkommt – mehr wollen wir hier nicht verraten -, bleibt es bis zum Schluss spannend, und neben der Aufklärung des Mordes werden auch einige dunkle Familiengeheimnisse gelüftet und gleich mehrere Schuldeingeständnisse geleistet.
Renate Renken hat das Stück mit ihrer Truppe für die Bühne umgeschrieben und dabei einige gute Ideen eingebracht. Vom Film hat sie die Rückblende übernommen und lässt Szenen, welche die Protagonisten im Text erzählen, von den jeweiligen Personen erzählen, wobei die Erzählsituation nach wenigen Sätzen durch szenische Mittel wie kurze Verdunkelung in eine Bühnendarstellung übergeht. Das ist gut gemacht und trotz der – gegenüber dem Film! – beschränkten Mitteln des Theaters jedes Mal glaubwürdig. Auf diese Weise bleibt einerseits Zuckmayers ursprünglicher Text als eine Art Gerüst erhalten, andererseits gewinnen die Szenen eine szenische Lebendigkeit, die ein reiner Bericht nie hätte erreichen können.
Zwar gehört die Handlung eher in die Kategorie des „standardisierten“ Familiendramas aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert einschließlich etwas gruseliger Menschenwesen aus dem menschlichen Untergrund, aber das tut weder dem Stück noch seiner Inszenierung durch die Neue Bühne Abbruch. Spannung ist bis zuletzt garantiert, und eine gute Portion – unaufdringlicher – Moral gehört auch dazu. Die Inszenierung lebt vor allem durch ihr szenisches Tempo, das keine Längen aufkommen lässt, und die eingestreuten Fastnachtsszenen mit tanzenden und singenden Kostümierten tun ein Übriges.
Bei dieser Inszenierung kommen neben dem gesamten Ensemble auch noch Gäste zum Einsatz. Reiner Poser füllt die Rolle des schuldbewussten Grandseigneurs Panezza überzeugend aus, Bianca Weidenbusch tritt mit ausgeprägter Variabilität gleich in mehreren Rollen auf und ist als Lodolfo kaum wiederzuerkennen. Gabriele Reinitzer spielt unter anderem die innerlich zerrissene alte Bäumler, Axel Rüther und Marcel Schüler sind ihre so unterschiedlichen Söhne Clemens und Ferdinand. Ralph Dillmann wechselt -welch Ironie! – vom Proester zum Kommissar und zurück, und Gabriele gibt eine so geheimnisvolle wie verstörte Viola. Nicole Klein wirkt sowohl als leichtes Mädchen des „Etablissements“ wie auch als erotisch aufgeladene Karnevalsprinzessin überzeugend. Als Gäste wirken Anna Baum und Markus Hill (Panezza junior) mit. Jens Hommola gibt unter anderem den arroganten Staatsanwalt.
Das gesamte Ensemble überzeugt in dieser spannenden Inszenierung durch engagiertes Spiel und Konzentration, und man sieht den Darstellern die Spielfreude förmlich an. Eine spannende Geschichte mit geheimnisvollen Elementen sowie rührenden oder nachdenklich stimmenden Momenten ist dafür die richtige Voraussetzung, und Zuckmayers Stück liefert diese Mischung in geradezu archetypischer Form.
Das Publikum zeigte sich beeindruckt von dieser Premiere und spendete kräftigen Beifall.
Frank Raudszus
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