William Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ kennt man als Schauspiel und Oper, etwa von Purcell und Britten. Doch schon im 18. Jahrhundert gab es opulente Ballettinszenierungen, die später aus Gründen der Authentizität wieder etwas an Bedeutung verloren. Nun hat sich das Hessische Staatsballett unter der Leitung von Tim Plegge dieses Stoffs angenommen und daraus eine Art getanzter Oper gemacht. Die Assoziation der Oper bietet sich deswegen an, weil die Musik zu diesem Tanzstück wie bei einer Oper aus dem Graben kommt und vom Orchester des Staatstheaters intoniert wird. Entsprechend stark ist der musikalische Eindruck dieser Inszenierung.
Da die Musik einen wichtigen Bestandteil dieser Produktion darstellt, ohne damit den choreographischen Teil schmälern zu wollen, lohnt es sich, kurz auf die Zusammenstellung der Musik einzugehen. Das Gerüst liefert Felix Mendelssohns Ballettmusik, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Choreographie zieht. Daneben erklingt klug abgestimmte Musik von Alfred Schnittke, Bernd Alois Zimmermann und Dmitri Schostakowitsch, um nur einige zu nennen.Doch obwohl die Musik zwei Jahrhunderte widerspiegelt, entsteht nie das Gefühl eines musikalischen Bruches. Jedes Musikstück passt zu der jeweiligen Szene, und Mendelssohns Musik dienst sozusagen als Erkennungsmelodie und Grundlage.
Das Bühnenbild spielt eine ebenso große Rolle wie die Musik. Dazu hat Frank Philipp Schlößmann zwei unterschiedliche Bühnenbilder geschaffen. Den Athener Palast des Königs Egeus stellt eine Kombination aus hohen Seiten- und Rückwänden sowie einer variabel abhängbaren Decke dar. Die grauweiße Schraffur spiegelt den rationalen Aspekt des Stücks dar, der Staatsraison und Planung beinhaltet. Wenn es dann in den Zauberwald geht, in den sich Hermia und ihre Freunde retten und in dem auch die Feen, die Handwerker sowie Oberon, Titania und vor allem Puck ihre Kreise ziehen, dann erhebt sich am Bühnenende ein hohes Gestrüpp aus sich überkreuzenden Holzlatten und Leuchtröhren. Letztere sorgen dann je nach Bedarf zusammen mit der normalen Bühnenbeleuchtung für die verzauberte Atmosphäre, die einem Städter schon die Sinne rauben kann.
Um die optische Wirkung abzurunden, hat Judith Adam mit viel Freude am Detail phantasievolle und farbenprächtige Kostüme geschaffen. Ludmilla Komkova schwebt wahrlich wie eine Königin der Feen in einem so hoheitsvollen wie erotischen Aufzug über die Bühne, und Ramon John kommt als geradezu asketische Figur daher. Puck, getanzt von Masayoshi Katori, springt in Pumphosen und mit Hörnern auf dem Kopf über die Bühne, die Elfen schweben in Phantasiekostümen um Titania, und die Handwerker um den unglücklich-glücklichen Zettel wiederum wuseln in einer Art Trash-Mode über die Bühne. Die vier jungen Leute dagegen – Hermia (Lara Lisa Peinado), Lysander (Denis Kanev), Helena (Clémentine Herveux) und Demetrius (Tatsuki Takada) – tragen heutige Alltagskleidung, womit Tim Plegge die Zeitlosigkeit des Stoffes betont.
Den Handlungsablauf inszeniert Tim Plegge ohne spektakuläre Abweichungen oder Zusätze entlang der Textvorlage, nur dass hier die Körpersprache die Funktion des gesprochenen Wortes übernimmt. Zwar ist es für jeden Zuschauer von Vorteil, die Handlung zu kennen, aber auch ohne diese Kenntnis kann man den Ablauf der Ereignisse jederzeit nachvollziehen. Mimik und körperlicher Ausdruck drücken den Kern der jeweiligen Situation mehr als ausreichend aus. Als Beispiel sei nur die erste Szene genannt, die den Ausgangspunkt des Märchens klärt. Auch ohne jegliche Textkenntnis wird schnell klar, dass Hermia Lysander liebt, ihr Vater Egeus sie jedoch mit Demetrius verheiraten will. Auch Helenas unerwiderte Liebe zu Demetrius und dessen Desinteresse – ja, Widerwille! – kommen ohne ein gesprochenes Wort mehr als deutlich zum Ausdruck.
Diese Klarheit der Körpersprache zieht sich durch die gesamte Choreographie, ohne dass die Darsteller jemals zu dick aufzutragen oder gar plump zu wirken. Wenn Oberon den Puck anweist, Titania mit einem Zaubertrank zu verwirren, und dieser die Aufgabe selbständig auf die jungen Leute erweitert, benötigen auch diese Szenen dank der gleichermaßen phantasievollen und disziplinierten Körpersprache keine Erklärung. Ähnliches gilt für die Bestrafung Pucks durch Oberon, wenn dieser seinen Diener am Ohr über die Bühne zieht, oder für die Szene, in der Titania dem in einen Esel verwandelten Zettel verfällt.
Natürlich beschränkt sich die Körpersprache nicht auf den Ersatz der gesprochenen Worte, sondern hier beginnt das anspruchsvolle Tanztheater. Tim Plegge bleibt seinem Stil eines ästhetischen Tanztheaters – manche nennen es leicht abwertend „neoklassisch“ – treu und betont den fließenden und auf die natürliche Körperlichkeit abgestimmten Tanz. Eine Rückkehr in das wirklich klassische Ballett mit schmachtenden oder „nur schönen“ Bewegungen bedeutet diese ästhetische Ausrichtung jedoch nicht. Besondere seelische Befindlichkeit finden hier ihre Entsprechung auch in entsprechenden Körperhaltungen oder -bewegungen, die man nicht in erster Linie ästhetisch ansprechend nennen würde. So windet sich Clémentine Herveux als Helena in Liebesverlangen vor Demetrius in allen möglichen Verrenkungen, wie wir sie von dem puristischen Tanztheater vor einer Dekade kennen, oder in dem konfusen Liebesverlangen nach der Verzauberung verlieren sich die verwirrten jungen Leute ebenfalls in seltsame Verrenkungen. Diese wirken jedoch nie unnatürlich oder gar abstoßend, sondern spiegeln eher die innere Orientierungslosigkeit wider.
Und selbst für die Liebhaber des klassischen Balletts gibt es etwas zu sehen, wenn Ludmilla Komkova als Titania besten Spitzentanz vorführt und damit ein wenig wie eine ironisches Zitat des klassischen Balletts wirkt. Doch selbst Anhänger des modernen Tanztheaters können die Wirkung dieser perfekt getanzten Figuren und der ästhetischen Körperhaltung nicht leugnen.
Alle Szenen durchzieht dabei der Humor wie ein roter Faden, mal vordergründiger in der Figur Pucks oder Zettels, mal hintergründiger in den Szenen der Liebesverwirrungen oder bei der großen Hochzeitsgesellschaft am Schluss. Ein besonders guter Einfall ist auch die Verlagerung der gespielten Geschichte um Pyramus und Thispe auf ein Puppentheater. Das sorgt nach den intensiven Tanzdarbietungen noch einmal für Auflockerung und Abwechslung, wobei auch hier der Regie immer noch witzige Nebenhandlungen einfallen, die einen weiteren Lacher wert sind.
Neben der humoristischen Grundstimmung sind es die vielen kleinen Regieeinfälle, die diese Produktion so abwechslungsreich und leicht machen. Immer gibt es etwas Neues zu schauen, und den Tänzern fällt immer wieder eine improvisierte Geste oder Figur ein, die aus einem anspruchsvollen Tanztheater ein unterhaltsames Schauspiel machen, ohne dass darunter die Qualität des Tanzes leidet. Eben diese Qualität zeigt das gesamte Ensemble auf hohem Niveau selbst in den kleineren Nebenrollen.
Das Orchester stellt für diese tänzerische Leistung einen musikalischen Rahmen zur Verfügung, der jeder Oper und jedem Sinfoniekonzert gut anstehen würde. Musikliebhabern kann man schon allein wegen der Musik den Besuch dieses Stücks empfehlen. Michael Nündel achtet bei aller Dynamik und Präsenz der Musik stets darauf, dass die Musik nicht zu sehr dominiert sondern in diesem Fall dem Bühnengeschehen zuzuspielen hat. Das ist zwar eine Gratwanderung, aber Dirigent und Orchester meistern sie souverän.
Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete lang anhaltenden, kräftigen und sogar rhythmischen Applaus.
Frank Raudszus
No comments yet.