BaRockmusik einmal anders

Print Friendly, PDF & Email

Seit Beginn der Neuzeit haben sich Naturwissenschaft, Technik und auch die Kunst stetig weiterentwickelt. Kunst hat dabei erheblich von verbesserter Technik profitiert, sei es in Gestalt der Photographie und des Films oder in besseren Musikinstrumenten. Die Entwicklung letzterer hat wiederum zu reinerer und feinerer Intonation geführt. Darüber hinaus wuchs mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft auch das Bewusstsein für den Wert einer gründlichen und stetigen Aus- und Weiterbildung der Musiker. Das hat in den letzten Jahrhunderten zu einer permanenten Verbesserung musikalischer Ensembles vom Duo bis zum Sinfonieorchester geführt. In Ermangelung von Hörbeispielen aus dem 18. und 19. Jahrhundert kann man die nachweisbaren Qualitätssteigerungen des 20. Jahrhunderts guten Gewissens rückwärts in die Vergangenheit extrapolieren.

Das Ensemble „Concerto Köln“

In diese „Ideologie“ der ständigen Verbesserung platzt plötzlich – etwa Mitte des letzten Jahrhunderts – die Idee, historische Musikstücke „authentisch“ im Stil ihrer Zeit zu spielen. Da die Hörbeispiele aus der Entstehungszeit fehlen, muss man auch hier zu Mutmaßungen greifen, bzw. die technischen Einschränkungen früherer Jahrhunderte als Vorgabe für den Klang heranziehen. Das tun Ensembles wie das „Concerto Köln“ offensichtlich und entwickeln daraus eine ganz eigene Art, alte Musik zu spielen. Dabei stellt sich die Frage, woher dieser Wunsch rührt, vorgegebene Musik nicht so zu spielen, wie die moderne Instrumenten- und Intonationstechnik es ermöglicht, sondern eine alte, vermeintlich ursprüngliche, das heißt „echte“ Aufführungspraxis wiederzuentdecken und zu pflegen. Eine Antwort darauf könnte in einer gefühlten Zivilisations- und Fortschrittsmüdigkeit liegen, wie wir sie auch von anderen gesellschaftlichen Bereichen kennen, eine andere, dass man einer vermeintlich „guten alten Zeit“ nachtrauert, die man am liebsten zurückholen würde. Dabei hängen diese beiden Antworten eng zusammen. Die alternative  Deutung, hier handele es sich einfach um ein kommerzielles Geschäftsmodell, eine Marktnische zu nutzen, scheint dann doch ein wenig zu zynisch.

Wenn man also die „historische Aufführungspraxis“ als gegeben hinnehmen muss, stellt sich die Frage der Wirkung auf die Rezipienten, und hier bot das „Concerto Köln“ bei seinem Auftritt in Darmstadt reiches Anschauungsmaterial. Das vierzehnköpfige Ensemble, zu dem neben Violine, Viola, Kontrabass und Cello auch ein Cembalo und eine Laute gehören, agiert auf der Grenze zwischen Kammermusik und Sinfonik und betont mal diesen, mal jenen Aspekt.

Der Schwerpunkt dieses Ensembles liegt nicht nur in der Wiederentdeckung der historischen Aufführungspraxis sondern auch darin, vergessene Musikstücke wieder in den Konzertsaal zu bringen. In diesem Konzert waren es die Concerti von Evaristo Felice Dall´Abaco und von Charles Avison, die nach Jahrhunderten der Vergessenheit wieder auf der Konzertbühne erklangen. Am Beginn stand jedoch eine Ouvertüre von Giovanni Battista Sammartini aus dem Jahr 1750, die schlicht und liedhaft daherkommt und den für die Barockmusik typischen Unterhaltungswert betont. Man kann sich vorstellen, wie die Gesellschaft bei dieser Musik tafelte und angeregt plauderte. Dall´Abacos Concerto in d-Moll dagegen zeigt bereits ein breiteres Spektrum an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten und bewegt sich zwischen tänzerischen, temperamentvollen und ausgesprochen virtuosen Passagen. Schon hier wurde die Aufführungspraxis des Concerto Köln deutlich hörbar. Markant ist der deutlich kürzere und härtere Strich der Geiger. Das Ensemble verzichtet auf die Verfeinerung der Tonführung hinsichtlich Dynamik, Intensität, Phrasierung und Ausdrucksstärke und beschränkt sich bewusst auf eine Art bodenständigen Musikantentums, das eine neue Schlichtheit zum Mittelpunkt der Interpretation macht. Das gilt sowohl für das Ensemble als auch für den Ersten Geiger und Solisten Shunske Sato, der bei aller Virtuosität eher kraftvoll und lustbetont als künstlerisch verfeinert spielt. Die perfekte Technik dient bei ihm nicht dazu, der Musik die letzten Geheimnisse zu entlocken, sondern sie einfach mit viel Freude zu spielen.

Das wurde dann bei Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ besonders deutlich. Vor der Pause erklangen „Frühling“ und „Sommer“, und hier ließ es das Ensemble richtig „krachen“, um einen saloppen Ausdruck zu verwenden. Die Sommergewitter fuhren fast physisch auf das Publikum nieder, und Kontrabass wie Cello sorgten für eine geradezu an modernen Rock erinnernde Rhythmus-Begleitung. Auch die anderen Streicher setzten mit ihren jeweiligen Parts nicht in einer sinfonisch oder kammermusikalisch perfekt konzertierten Weise ein, sondern betonten mit den fast überfallartigen Einsätzen eher das Überraschende, fast Komödiantische dieser Musik. Hier wurde plötzlich deutlich, dass die Barockmusik nicht die bildungsbürgerliche, todernste Feier der Hochkultur war, wie sie heute oft aufgefasst wird, sondern reine Unterhaltungsmusik, die sowohl den Spielern als auch den Zuhörern Spaß und Unterhaltung bieten sollte.

In diesem Stil ging es auch nach der Pause weiter. Nach dem Concerto von Charles Avison, dass – ganz in obigem Sinne – mit einer einfachen Struktur aufwartet und keine Überinterpretation erfuhr, folgten die beiden anderen Sätze aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ – der „Herbst“ und der „Winter“. Auch hier bot das Ensemble, allen voran Shunske Sato an der Ersten Geige, ein wahres Feuerwerk an Musikantentum. Schon der Einstieg präsentierte sich so überraschend wie originell. Aus der Stimmung aller Instrumente schälten sich erste Melodien, dann spielte der Cembalist in den Stimmenwirrwarr hinein, bis die anderen Instrumente einstimmten und das Stück begann. Damals hat man wohl – ähnlich einer heutigen Jam-Session im Jazz – Musikstücke aus einzelnen Improvisationen heraus entwickelt.

Die einzelnen programmatischen Elemente der jeweiligen Jahreszeit kamen markant zu Ausdruck, etwa der ausgelassene Tanz bei der Erntefeier oder die Parodie auf die einfachen Dorfmusikanten, die auch in diese Musik hineinspielt. Dabei variierte das Ensemble das Stück sowohl melodisch als rhythmisch in einer Weise, die man so von anderen Interpretationen noch nicht gehört hat. Offensichtlich galt die notierte Partitur damals nicht als sankrosankt sondern nur als Grundlage für die eigene musikalische Improvisation. Das Ensemble entlockte vor allem dem „Herbst“ mit der eigenen Interpretation viele Überraschungseffekte und  machte daraus ein Stück spontaner Unterhaltungsmusik, servierte in gewisser Weise damit ein Stück (Ba)Rockmusik. Aber auch der „Winter“ mit seinen klirrenden Kangfarben erfuhr vor allem im zweiten Satz durch eigenwillige Variationen völlig neue interpretatorische Aspekte.

Die technische Perfektion dieses Ensembles zu erwähnen, hieße Eulen nach Athen zu tragen; sie ist geradezu selbstverständlich, sollte aber gerade deswegen noch einmal betont werden. Allen voran ist Shunske Sato zu nennen, der im Stile des barocken „Musikanten“ ein wahres Feuerwerk entzündete.

Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete mehr als kräftigen Beifall. Dafür gab es dann auch noch eine Zugabe, ebenfalls aus dem Barock. Diese kam jedoch eher traditionell ohne spektakuläre Interpretation daher.

Frank Raudszus

,

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar