Das St. Pauli Theater präsentiert „Hinter der Fassade“ nach Florian Zeller
Paris. Isabelle (Cristin König) korrigiert Klausuren, als ihr Mann Daniel (Herbert Knaup) beginnt sie zu umschleichen. Sein erster Weg führt zum Regal mit dem Whiskey. Auch wenn er vorgibt, nur ein Glas seines Besten genießen zu wollen, scheint dies nicht sein eigentliches Anliegen zu sein. Isabelle hat ein komisches Gefühl im Bauch, aber sie kann es nicht so recht ins Bewusstsein hervorheben. Zunächst bleibt es also im Unterbewusstsein, und sie widmet sich weiter der konzentrierten Arbeit. Da fängt Daniel plötzlich an zu sprechen. Aber er spricht nicht zu Isabelle. Nein, ihr Blick liegt weiter unbewegt auf ihren Arbeiten. Daniel spricht mit dem Publikum. De facto spricht er aber mit sich selbst. Wer weiß, vielleicht sprechen wir ja im Verlauf eines Tages mehr mit uns selbst als mit anderen? Der Autor Florian Zeller bringt nun all dies Gedachte auf die Bühne. Die Gedanken, zumeist und zuerst einmal unstrukturiert, quellen aus dem Geist hervor und sprudeln in den Zuschauerraum. Rasant wechseln die Betrachtungsweisen, denn die Gedankengänge sind schneller als ein Gegenüber, das erst hören und verarbeiten muss, bis es eine Antwort entgegenwerfen kann.
Nun kämpft Daniel also mit dem Problem, wie er seiner Frau Isabelle am besten verkaufen kann, dass er kurz zuvor seinen Freund Patrick (Stephan Schad) traf und diesen voller strahlendem Optimismus und mit großer Entschlossenheit zum Abendessen am kommenden Samstag eingeladen hat. Die unerwartete Crux an der zuerst unverfänglich erscheinenden Situation ist, dass Patrick sich vor nur wenigen Wochen von seiner langjährigen Ehefrau und Mutter seiner Kinder, Florence, getrennt hat. Umso dramatischer wird es, als sich herausstellt, dass Florence Isabelles beste Freundin ist. Und nein, alleine trauernd möchte Patrick nun nicht kommen – selbstredend geht es ihm um die Einführung seiner jungen Geliebten Emma (Jessica Ohl), wegen der er Florence überhaupt erst verlassen hatte. Sofort erkennt man, dass Daniel sich mit der Essenseinladung wirklich eine unlösbare Aufgabe gestellt hat und der Misserfolg bereits mehr als sicher ist.
Lange, lange, lange – unendlich lange rechnet er verbal alle Konstellationen durch, wie er sich aus dieser verfahrenen Situation herausmanövrieren kann. Die Wahrscheinlichkeit einer Überzeugung von Isabelle scheint mit jedem Gedankenzug nur noch unmöglicher. Also muss es nun darum gehen, Patrick eine Rückmeldung zu präsentieren, die glaubwürdig erscheint und ihn nicht als schwachen Mann unter der Fuchtel seiner Frau darstellt. Isabelle hingegen hat längst Lunte gerochen, shnt aber nicht worum es geht. Auch sie denkt, grübelt und argumentiert laut für sich – doch dem eigentlichen und wohl gewaltigen Problem ihres Mannes kommt sie nicht näher. Sie vermutet bereits ein gravierendes Problem in ihrer Ehe, als Daniel sich auch auf mehrfache direkte Ansprache hin nicht erklären möchte.
Dann packt Daniel aus. Wie schlimm doch die Angelegenheit von Patrick und Florence sei! Wie unglaublich schockiert und enttäuscht er von seinem alten besten Freund sei, nachdem der so grausam und herzlos mit seiner Frau umgegangen sei! Wie unerträglich er den Gedanken finde, dass er sie für eine Jüngere verlassen hat. Und wie er seinen Freund Patrick deshalb folglich nicht wieder treffen könne. Isabelle lauscht und denkt. Dabei nickt sie zustimmend und bejaht die harte Kritik ihres Mannes. Doch schließlich beginnt sie mehr dahinter zu ahnen. Wieso bringt Daniel dieses Thema auf? Was fasziniert ihn so an dem Thema so sehrt, dass er nicht mehr davon ablassen kann? Wieso erwähnt er ein nicht geplantes Abendessen, das niemals stattfinden könne und schon gar nicht am kommenden Samstag? Aus Wut wird Skepsis, aus Skepsis Neugier und schließlich Berechnung aus Neugier. Isabelle schlägt schließlich vor, dass Daniel doch bitte Patrick und seine Geliebte zum Dinner einladen soll, denn recht hat er – die privaten Angelegenheiten zwischen Patrick und Florence gehen sie eigentlich nichts an! Daniel ist kurz verwirrt und dann begeistert – er kann es selbst absolut nicht glauben, dass er sein Ziel tatsächlich erreicht hat.
Das eigentliche Zauberstück der Emotionen beginnt natürlich mit dem Start des Abendessens. Mit dem Aufeinandertreffen von Emma und Isabelle. Mit dem zu Anfang noch herzlichen Austausch von Patrick und Daniel. Und ja, auch zwischen Daniel und Emma beginnt sich zügig eine Ebene der Kommunikation zu entwickeln. Auch wenn sie sehr einseitig ist. Daniel ist wahrlich begeistert von dem jungen blonden Hüpfer und muss sich größte Mühe geben, dies niemandem, außer dem in seine Gedankenweilt eingeweihten Publikum, zu zeigen. Was nun passiert? Der Vorstellungskraft sollen keine Grenzen gesetzt werden – Florian Zeller spielt auf der breiten Klaviatur menschlicher Emotionen mit feinen und lauten Tönen, mit kleinen Spitzen und großem Gepolter. Zwischenmenschliche Harmonie und Beziehungsdrama sind ganz nah bei einander und von Ulrich Waller überaus real inszeniert. So treibt „Hinter der Fassade“ dem Zuschauer schon so manches Mal fast die Tränen vor Lachen in die Augen.
Also verpassen Sie nicht den Besuch im St. Pauli Theater für „Hinter der Fassade“ und entdecken Sie sich selbst wieder. Sie werden einen prächtigen Abend genießen, wenn Sie Beziehungen zwischen Frauen und Männer auch täglich begeistern!
Malte Raudszus
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