Liebe, Sex und Tod in Teheran.
Die Autorin Ramita Navai stellt bereits im Vorwort dieses Buches die Behauptung auf, Lügen gehörten in Teheran zum Alltag und seien notwendig, um zu überleben. Auch die frömmsten Teheraner sind ihrer Meinung nach Meister der Täuschung. Die Kinder werden schon früh angehalten, nicht nach außen dringen zu lassen, dass es Alkohol im Haus gibt; junge Mädchen schwören feierlich, dass sie unberührt sind, und schützen ihr Jungfernhäutchen , indem sie Analsex betreiben, und Ladenbesitzer erlauben während des Ramadans guten Kunden schon mal, im Hinterzimmer heimlich zu essen und zu trinken.
Eine Lüge zieht weitere nach sich, und der Koran erlaubt sogar, „in bestimmten Fällen für einen höheren Zweck zu lügen“. Doch die Lüge ist eine Notwendigkeit, um in diesem Staat, in dem die Regierung sich in die intimsten Angelegenheiten seiner Bürger einmischt, zu existieren. Ramita Navai hat Geschichten aus dem Leben verschiedener Bürger der zwölf Millionen Einwohner bergenden Stadt Teheran zusammengetragen, die dem Leser Einblick gewähren in das Arrangement der Menschen zwischen religiöser und staatlicher Kontrolle.
In der Episode „Somayek“ erfährt man, wie und warum arrangierte Ehen anfangs alles gut meinen aber eben nicht auf Ehrlichkeit zwischen den Partnern beruhen und dann zwangsläufig zu großer Enttäuschung führen. Auch die beratenden Mullahs, die gut für ihre Dienste kassieren, betreiben nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Sie zitieren Suren aus dem Koran – häufig sehr orakelhaft – und überlassen es den Betroffenen, selbst einen Weg aus ihrem Dilemma zu finden.
In „Dariush“ wird ein junger Perser, der in den USA aufgewachsen ist, über die Liebe für die Widerstandsbewegung MEK angeworben und bezahlt seine Torheit beinahe mit dem Leben.
So reihen sich wahre Geschichten aus den Stadtteilen rechts und links der Valiasr-Straße aneinander und beschreiben Einzelschicksale iranischer Frauen und Männer, junger und alter – von Menschen eben, die versuchen, in dieser korrupten Stadt zu überleben. Viele von ihnen erhalten für geringe Vergehen über neunzig Peitschenhiebe, müssen Folter in den berüchtigten Gefängnissen ertragen oder werden gehängt wie Leyla, die es gewagt hatte, aus finanzieller Not in einem pornographischen Film mitzuwirken. Aufgrund von Schätzungen des „Iran Human Rights Documentation Center“ erwarten derzeit zwei- bis dreihundert Frauen die Hinrichtung, wobei es in vielen Fällen um Sittlichkeitsdelikte geht.
Ramita Navai belegt im Anhang ausführlich, wie ihre Geschichten zustande gekommen sind. Dabei musste sie die Namen der Hauptpersonen verändern, um sie zu schützen. Oft muss sie auch einen stringenten Handlungsablauf schildern, der auf Recherchen anderer Personen basiert. So werden bisweilen die Schicksale mehrerer Menschen auf eine fiktive Person zugeschnitten.
Ramita Navai war von 2003 bis 2006 Korrespondentin der „Times“ in Teheran. Für ihr Buch „Stadt der Lügen“ hat sie den „Royal Society of Literature Jerwood Award“ für „non fiction“ sowie den „Debut Political Book of the Year Award 2015“ erhalten.
Das Buch ist im Verlag Kein & Aber erschienen, umfasst 287 Seiten und kostet 22 Euro.
Barbara Raudszus
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