Uraufführung von Robert Menasses „Paradies der Ungeliebten“ im Staatstheater Darmstadt
Das berühmte Zitat aus dem „Hamlet“ in der Titelzeile dieser Rezension trifft nur zum Teil zu, stammt das Stück doch von einem Österreicher, der es dort leider nicht auf die Bühne bringen konnte. Also müsste man das „D“ eigentlich gegen ein „Ö“ austauschen, denn die Wiener Bühnen zieren und genieren sich seit über drei Jahren in voreilender Angst vor eventuellen Klagen wegen vermeintlicher Ähnlichkeiten mit lebenden Personen. Natürlich sagt man so etwas nur hinter vorgehaltener Hand, finden sich doch für Intendanten immer auch angeblich künstlerische Gründe, ein Stück abzulehnen. „Idomeneo“ lässt grüßen! Soviel zur Vorgeschichte des Stücks, das irgendwann einmal den Darmstädter Theaterleuten in die Hände fiel und sofort einhellige Zustimmung fand. Daraus ergibt sich die aufschlussreiche Konsequenz, dass nach Thomas Bernhard ein weiterer österreichischer Theaterautor sein Glück in der Fremde suchte, dieses Mal jedoch nicht aus eigenem Entschluss, sondern weil er aus der „Theaterhölle“ von Wien vertrieben wurde.
Das obige Shakespeare-Zitat trifft deshalb zu, weil das Stück nominell in Dänemark spielt. Doch dem Autor geht es dabei nicht um die von einer rechtslastigen Regierung geprägte Politik im heutigen Dänemark – zur Entstehungszeit dieses Stücks regierte dort noch eine andere Partei – sondern um die Darstellung eines allgemeinen Trends in westlichen Demokratien: die Verflachung der politischen Kultur zu Populismus und Opportunismus. Und so sahen denn auch die Übersetzer und Dramaturgen verschiedener Länder in dem Stück die Beschreibung der jeweils eigenen Zustände, etwa die Berlusconi-Regierung in Italien oder die rechten Bewegungen in Deutschland. Diese Reaktionen zeigen, dass Robert Menasse mit dem „Paradies der Ungeliebten“ einen wunden Punkt der europäischen Demokratien getroffen hat.
Die Figuren des Stücks – auch die Frauen – tragen durchweg die Namen der dänischen Fußball-Nationalmannschaft, die – durch politische Zufälle in letzter Minute überraschend zur Europameisterschaft zugelassen – 1992 gegen Deutschland das Endspiel gewann. Diese sportliche Überraschung dient als Metapher für den plötzlichen und unerwarteten Aufstieg populistischer Bewegungen, die traditionell aus der rechten Ecke kommen, aber – siehe saarländische Politiker – nicht unbedingt auf diese Richtung festgelegt sind. Dass ausgerechnet der politische Rechtsaußen den Namen des damaligen Torhüters Schmeichel trägt, ist eher als marginale sportliche Verfälschung des Bildes zu werten, denn Torhüter greifen nie an, sondern halten sich im Rückraum auf.
Peter Schmeichel (Matthias Kleinert) jedoch ist alles andere als ein ruhender Pol in der gesellschaftlichen Abwehr, sondern eher ein Unruheherd. Er greift in konsequentem Populismus die gängigen Ängste und Vorurteile breiter Volksschichten auf und formuliert sie medienwirksam, wobei er seine Reden mit Versprechungen für den Fall eines Wahlsieges spickt, die eher als Drohung für seine liberal gesinnten Gegner gemeint sind und einen weiten Interpretationsspielraum eröffnen. Schmeichel ist nicht dumm, eher zynisch-verschlagen. Er gibt sich keinerlei Blößen in Gestalt faschistischer Hasstiraden gegen die üblichen Feinde – Ausländer und anderes „Gesocks“ – sondern überlässt die Umsetzung seiner politischen Ziele – vorerst – der Phantasie seiner Zuhörer und Wähler, wohl wissend, dass zumindest seine Wähler sich diese Maßnahmen wünschen. Die Ironie dieser Geschichte will es, dass Schmeichels Privatsekretär und „Mädchen für alles“, ein junger Muslim namens Ahmed (Leander Lichti) ist, der sich allerdings mittels eines glattrasierten Skinhead-Schädels bereits den politischen Paradigmen seines Arbeitgebers angepasst hat. Ahmed ist omnipräsent, was sich besonders darin zeigt, dass er auch in Szenen ohne seine aktive Beteiligung permanent anwesend ist, wobei er jede freie Minute zum Lesen nutzt. Die dahinter stehende Aussage, dass sich die Muslims bereits eine lückenlose Präsenz geschaffen haben und sich durch gezielte Bildung dem Status der herrschenden Schichten annähern wollen, mag bezüglich der Bildung im Widerspruch zur Alltagsrealität stehen, ist jedoch nicht unbedingt von der Hand zu weisen.
Aufschlussreich ist auch die Tatsache, dass in Schmeichels Umfeld keine Frau auftaucht. Zwischen ihm und Ahmed herrscht eine unterschwellig homosexuelle Spannung, die bekanntlich typisch für die meist rechtsorientierten Männerbündler-Gemeinschaften ist, siehe Röhm und die SA. Diese Spannung scheint jedoch einseitig von Schmeichel auszugehen, während Ahmed sie kühl kalkulierend nutzt. Nicht zuletzt beruht diese homophile Grundstimmung auf dem Vorbild des faschistischen Vaters, der die Treue zur Partei und dem Führer über alles stellte. Mit ihm verbindet Schmeichel ein posthumes, quasisexuelles Hörigkeitsverhältnis, betet Schmeichel doch all die hohlen Sprüche von „Ehre und Treue“ geradezu ehrfürchtig nach.
Während dieser Schmeichel also kühl seinem populistischen Geschäft nachgeht und seinen Weizen blühen sieht, verharren die anderen Politiker wie die Kaninchen vor der Schlange. Da ist vor allem der Kanzler Flemming Poulsen (Harald Schneider), von seinem Amt überfordert und dem Nervenzusammenbruch nahe. Als Kanzler sieht er sich im Kreuzfeuer der Kritik von Opposition, Medien und auch der eigenen Partei, in der ehrgeizige Nachrücker bereits ungeduldig auf sein politisches Ende warten. Sein persönlicher Berater Andersen (Matthias Fuchs), treibt ihn zwar in burschikoser Vertraulichkeit zur Aktivität an, kann und will ihm aber auch nicht die Verantwortung abnehmen oder ihm psychisch helfen. So sucht Poulsen in seiner Zerrissenheit menschliche – und erotische – Nähe bei seiner Sekretärin, da seine Frau sich längst innerlich von ihm losgesagt hat. Das Amt des Kanzlers stellt für ihn nur noch eine schwere Bürde dar, unter der er nahezu zusammenbricht, und statt sich um Regierungsangelegenheiten zu kümmern, schreibt er lieber exzentrische Briefe an seine Sekretärin. Das Kanzleramt ist ein Vakuum, Politik findet hier nicht statt. Daher wartet auch sein Vizekanzler Christiansen (Tom Wild) nur auf die Wahlen, um anschließend mit Schmeichel eine Koalition einzugehen und Kanzler zu werden. Christiansen ist der reine Karriererist, der die attraktive Referentin (Karin Klein) zwar erotisch „mitnimmt“, aber dessen Blick auch während sogenannter „schöner Stunden“ immer auf die Karriere gerichtet bleibt. Die Inhalte der Politik sind für ihn austauschbar, der Besitz der Macht alles.
In diesen Strudel von Psychopathen und Karriereristen gerät der so idealistische wie naive Journalist Laudrup, der in heftigen Diskussionen mit seinem Freund Torben Frank (Stefan Schuster) den Aufstieg Schmeichels und den Niedergang seiner von der sozialdemokratischen Partei nicht mehr länger finanzierten Zeitung beklagt. Schließlich versteigt er sich zu der Pose eines Tyrannenmörders, zu welchem Zweck er einen todkranken Aidskranken sucht und prompt in die Hände des korrupten Polizeichefs und Schmeichel-Anhängers Nielsen (Gerd K. Wölfle) fällt. Schmeichel weiß die hündische Ergebenheit und Führersucht Nielsens geschickt für sich zu nutzen und treibt ihn mit geradezu sadistischen Methoden zu ungesetzlichen Methoden und beinahe in den Wahnsinn. Am Ende sorgt eben dieser Nielsen mit ungesetzlichen Methoden für einen „Showdown“ zwischen Schmeichel und dem Journalisten Laudrup, der jedoch dank dessen Wachheit im letzten Moment anders ausgeht als von allen erwartet. Als eher ironische Zutat zu dieser Szene ist noch der ehemalige Schauspieler Olsen (Aart Veder) zu nennen, der irgendwann einmal beschloss, sein vermeintlich schauspielerisches Talent in den Dienst der Politik zu stellen („Und dann beschloss ich, Politiker zu werden“) und seitdem seine Umwelt mit gestelzten Deklamationen klassischer Stücke anödet. Vor allem Shakespeare hat es ihm angetan, und unfreiwillig wird er – wie Polonius – Zeuge der Auseinandersetzung zwischen Schmeichel und Laudrup. Am Ende wird er zwar nicht erstochen, gibt sich aber dem Spott der Umgebung preis.
Überhaupt kann man viele – eher ironische – Parallelen zwischen Hamlet und Menasses Stück erkennen: Schmeichel beschwört den Geist seines Vaters, Laudrup verfällt in Zweifel und Verzweiflung des machtlosen Intellektuellen, König (Kanzler) Poulsen zittert vor seinen nachdrängenden Konkurrenten, obwohl er selbst höchstens einen Königsselbsmord begangen hat. So endet denn das Stück auch mit einem verfremdeten Shakespeare-Zitat aus dem Mund des politischen Schauspielers Olsen: „Der Rest ist – schweigt!“.
Menasse eröffnet in seinem Stück eine pessimistischen Blick auf die politische Landschaft der westlichen Demokratien, ohne sich dabei gleich des Wunschgegners George W. zu bedienen. Schon diese bewusste Beschränkung auf europäische Zustände und den Verzicht auf nahe liegende Polemik kommt dem Stück zugute. Darüber hinaus vermeidet er jedoch bei allen Figuren vordergründige Klischees. So ist eben Schmeichel kein Monstrum mit Schaum vor dem Mund, wie politisch korrekte Zeitgenossen zum Beispiel Adolf Hitler immer gerne dargestellt wissen wollen, sondern ein durchaus cleverer Machtpolitiker, der um die Schwächen der Demokratie weiß und die Vorteile des Populismus‘ zu nutzen weiß. Seine politische Ausrichtung beruht nicht auf einer genetisch bedingten Faschismus-Neigung sondern auf einer antisozialen Prägung durch den Vater, der ihm den Hass auf alles Andersartige und die Angst vor Frauen eingeimpft hat. Kanzler Poulsen ist kein lächerlicher Waschlappen sondern eine tragische Figur, die von ihrer (Macht-)Position eindeutig überfordert ist und sich nur nach Ruhe und Frieden sehnt. Laudrup ist nicht der hehre Held, der die Fahne der Freiheit und der politischen Integrität vor sich herträgt, sondern ein Träumer, der mit gefährlichen Theorien spielt. Olsen ist die wandelnde Karikatur aller Narzissten, die sich ein Leben lang überschätzen und im Mittelpunkt des Interesses stehen müssen, ohne ihre eigene Lächerlichkeit auch nur zu ahnen.
Das Stück zeigt deutlich seine Herkunft aus der Feder eines Romanciers. Das ausführliche Wort hat immer Vorrang vor einer dramaturgisch reichen Handlung, ja, letztere existiert eigentlich nur in Ansätzen. Menasse geht es um die Charakterisierung der typischen Rollen im politischen Geschäft, und er liefert eher ein facettenreiches Gemälde dieser Politiklandschaft denn eine dramatisch zugespitzte Handlung. Diese Verlagerung in das Wort erfordert natürlich vom Zuschauer erhöhte Aufmerksamkeit, muss er doch die Aussage des Stückes allein aus den Ausführungen der einzelnen Figuren erkennen. Außerdem erfordert es besondere schauspielerische Leistungen, da sich die Darsteller nicht hinter einer temporeichen Handlung verstecken können sondern durchgehend die Spannung durch die Darstellung ihrer jeweiligen Figur aufrecht erhalten müssen.
Letzteres schafften sie bei der Premiere jedoch auf hervorragende Weise und machten damit die Uraufführung dieses Stücks zu einem Erfolg. Matthias Kleinert als zynischer Schmeichel und Andreas Manz als zerfahren-idealistischer Laudrup hatten daran aufgrund ihrer Rollen den größten Anteil, doch die anderen Darsteller, besonders Harald Schneider als zerrissener Kanzler, standen ihnen in nichts nach. Gerd. K. Wölfle gab überzeugend einen so unterwürfigen wie machthungrigen Polizeichef, Tom Wild einen machtgeilen Vizekanzler und Aart Veder den pfauenartig sich spreizenden Schauspieler. Klaus Ziemann spielte den großbürgerlichen Schwiegervater Laudrups mit der kalten Herablassung des Standeshöheren und Hans Matthias Fuchs fühlte sich in der Rolle des abgebrühten „PR-Machers“ offensichtlich wohl. Leander Lichti gab den Ahmed mit der dieser Rolle angemessenen stoischen Hintergründigkeit. Nur die Frauen kamen in diesem Männerstück ein wenig zu kurz, waren sie in ihren Rollen doch nur verfügbare Objekte der Männerwelt. Dennoch bewältigten Gabriele Drechsel (Sekretärin des Kanzlers) und Karin Klein (Referentin des Vizekanzlers) ihre Rollen mit der von ihnen gewohnten Souveränität.
Das Premierenpublikum nahm diese Uraufführung mit großem Beifall auf und dankte nicht nur dem Ensemble mit „Bravo“-Rufen sondern applaudierte auch Regisseur Hermann Schein und vor allem dem Autor Robert Menasse..
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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