John Dew inszeniert am Staatstheater Darmstadt Richard Wagners „Tristan und Isolde“
Die Liebe in all ihren Ausprägungen ist der vorherrschende Gegenstand der meisten Opern, seien sie nun von Händel, Mozart, Verdi oder Pucchini. Doch keiner hat dieses Thema derart kompromisslos und vereinnahmend aufgearbeitet wie Richard Wagner. In allem die Grenzen sprengend und die höchsten Ansprüche an sich, die Musiker und das Publikum stellend, hat er auch hier die Liebe zu einem absoluten, in sich nicht nur widersprüchlichen sondern letztlich nicht realisierbaren Lebensinhalt erhoben. Seine Oper „Tristan und Isolde“ kann man als Reinkarnation von Wagners Liebesvorstellungen betrachten, die zum nicht geringen Teil aus sener eigenen Biographie erwuchsen.
Nach seiner politisch bedingten Flucht aus Deutschland nach den 48er-Unruhen lernte er in Zürich Mathilde Wesendonk kennen, die Frau eines großzügigen Mäzenaten, und verliebte sich unsterblich in sie. Diese letztlich unerfüllte Liebe, die der erwähnte Mäzen abrupt beendete, schlug sich in „Tristan und Isolde“ nieder, und die Oper wurde dadurch zu einem einzigen musikalischen Sehnen über drei Akte. Dieses Sehnen, vor allem das immer wieder auftauchende Leitmotiv mit dem berühmten „Tristan-Akkord“, zieht sich in variierter Form durch die ganze Oper und übt einen geradezu magischen Sog auf die Zuhörer aus.
Laut Libretto wirbt Tristan Isolde als Frau für König Marke, obwohl die beiden sich aus einem früheren, dramatischen Treffen bereits ihre Liebe gestanden haben. Isolde sinnt wegen dieser Demütigung auf Rache und plant, sich und Tristan noch während der Überfahrt durch einen Gifttrank zu töten. Doch ihre Zofe Brangäne vertauscht den Todestrank gegen einen Liebestrank, der die beiden nach dem Genuss unrettbar in gegenseitige Liebe verfallen lässt. Da die Brautwerbung nicht mehr rückgängig zu machen ist, müssen Tristan und Isolde ihre Liebe geheim halten. Doch Trsitans angeblicher Freund Melot stellt ihnen eine Falle und überrascht das Liebespaar zusammen mit König Marke in flagranti. Der so entlarvte Tristan fordert Melot zum Zweikampf und lässt sich absichtlich besiegen, nachdem er von Isolde das Versprechen eingeholt hat, ihm in den Tod zu folgen. Im dritten Akt liegt Tristan tödlich verwundet in seiner Burg und wartet auf Isolde, die allerdings so spät kommt, dass er in ihren Armen stirbt. Der dazustoßende Marke kommt ebenfalls zu spät, um ihnen mitzuteilen, dass er nach Brangänes Beichte nichts mehr gegen ihre Liebe hat. Isolde beklagt in der berühmten letzten Passage „Isoldes Liebestod“ Tristans Tod. Ob sie ihm wirklich folgt bleibt offen, da Wagner darüber nichts sagt. John Dew lässt daher dieses Ende ebenfalls offen. Im Gegensatz zu „Romeo und Julia“ endet das Ganze nicht in einem perfekten, symmetrischen Doppeltod, sondern lässt verschiedene Interpretationen offen, die jedoch für die Qualität der Oper und jeglicher Inszenierung irrelevant sind, da es in erster Linie um die Darstellung der Unmöglichkeit einer Liebe unter Lebenden ist. Nur der Tod kann diese Liebe vollenden.
Diese im Grunde genommen ahistorisch angelegte Handlung verlangt von einer Inszenierung keine Anbindung an eine bestimmte Epoche. Und so hat Heinz Balthes die Bühne auch knapp, beinahe spartanisch angelegt. Einige Sitzmöbel, die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen könnten, markieren ebenso das Innere eijes Schiffes wie die Burg König Markes oder Tristans eigene Burg. Der tatsächliche Ort des Geschehens spielt keine Rolle, die Ereignisse spielen sich im Inneren der Figuren ab. Auch die Kostüme von José-Manuel Vázquez folgen diesem Konzept. Sie siedeln das Stück irgendwo zwichen dem Ende des 19. Jahrhunderts und der heutigen Zeit an, ohne dabei einen besonderen Akzent zu setzen. Die unterschiedlichen Orte und Situationen beschreibt diese Inszenierung einzig mit den Mitteln der Beleuchtung.
Schon das Vorspiel beginnt mit dem berühmten „Tristan-Akkord“ – F, H, Dis, Gis -, der in kein klassisches System passt und sich erst in der Jazz-Musik wiederfindet. Dieser Akkord drückt auf einzigartige Weise das herzzerreißende Sehnen der Liebe aus, und das melodisch-harmonische Motiv um diesen Akkord herum zieht sich als Leitmotiv durch die gesamte Oper.
Im ersten Akt verlegt Dew den Männerchor der Seeleute hinter die Bühne, womit er verdeutlicht, dass die Protagonisten – Tristan und Isolde mit ihren Begleitern Kurnewal und Brangäne – sich im Inneren des Schiffes befinden. Die beiden Männer verharren im Hintergrund der Bühne, während Isolde, gespielt von Ruth-Maria Nicolay, und Brangäne (Erica Brookhyser) im Vordergrund die Bühne beherrschen. Hier erzählt Isolde ihrer Zofe von den Hintergründen ihrer Rachsucht: dass Tristan ihren Verlobten im Kampf getötet habe und ihr dann – schwer verwundet – in die Hände gefallen sei; dass sie den Wehrlosen nicht habe töten könne, da sie sich in ihn verliebt habe; dass er versprochen habe, zu ihr als Liebender zurückzukommen, aber sie jetzt an Marke verraten habe; dass sie diese Schmach nicht ertragen könne und mit ihm zusammen sterben müsse. Diese Erzählung trägt sie mit wachsender Erregung vor, und Wagners Musik verstärkt diese Erregung. Dabei muss man betonen, dass Wagner den Sängern keine musikalische Vorlage gibt. Wagners Personen singen keine Arien mit wiederkehrenden Refrains und eingängigen Melodien, deren melodischen und harmonischen Rahmen das Orchester vorgibt, sondern die Sänger müssen eine Melodielinie singen, die dem Satzbau und der Aussage folgt. Dabei setzt der Gesang oft ohne das Orchester ein, das dann mit harmonisch passenden Akkorden und Klangfolgen die entsprechende orchestrale Atmosphäre schafft. Da die Sänger und Sängerinnen in der „durchkomponierten“ Oper den gesamten Text wie im Sprechtheater singen, gibt es kaum Pausen der stimmlichen Anforderungen.
Arien im eigentlichen Sinn gibt es vor allem bei „Tristan und Isolde“ nicht mehr. Der durchgängige, expressive Gesang der handelnden Personen ist Normalzustand. Auch „schön“ im Sinne Mozarts oder Verdis ist diese Musik nicht, da sie unmittelbar die Emotionen ohne vordergründige ästhetische Rücksichten ausdrückt. Dafür sind Gesang und Orchestermusik von unerhörter Dichte und Intensität. Das Orchester beschränkt sich nie auf die Begleitung der Sänger sondern gestaltet die jeweilige Situation mit den eigenen Mitteln. Die verschiedenen Gefühlslagen der Figuren werden dabei durch Klangfarben und Akkorde ausgedrückt, die in dieser Oper streckenweise atonalen Charakter annehmen. So werden die Rachegelüste der verratenen Frau in dissonanten Klängen und aufgewühlten Akkorden lebendig. Das Duett zwischen Tristan und Isolde über den „Sühnetrank“ lässt an Dramatik ebenfalls nichts zu wünschen übrig, da Tristan sehr schnell ahnt, dass es hierbei nicht um eine Versöhnung sondern um den gemeinsamen Tod geht. Nachdem er diesem zugestimmt hat – aus schlechtem Gewissen oder gar aufkeimender Liebe? -, treibt die Musik beim Trunk des vermeintlichen Todestranks zu einem Höhepunkt, der dann zu einer Grabesstille absinkt, bevor die beiden wider Erwarten aus der Starre erwachen und sich im ersten Ausgenblick im Jenseits vereint wähnen. Nur mit Mühe können Brangäne und Kurwenal die Liebenden auseinanderreißen und dem auftretenden König Marke die Braut präsentieren.
Der erste Akt dieser Inszenierung bietet bereits einen dramatischen und musikalischen Höhepunkt, für den neben dem Orchester vor allem die beiden Frauen verantwortlich sind. Ruth-Maria Nicolay erweist sich nicht nur als äußerst stimmsichere und konditionsstarke Sängerin, sie gestaltet ihre Figur mit bewundernswerter darstellerischer Kraft. Man spürt die gleiche Wut wie bei Brünhilde, als sie erfährt, dass nicht Gunther sondern Siegfried ihren Widerstand überwunden hat. Die Erinnerungen an ihre Begegnung mit Tristan und die Enttäuschung über dessen Verrat spiegeln sich nicht nur in ihrem Gesang, sondern genauso intensiv in ihrer Mimik und Gestik. Neben ihr fällt jedoch Erica Brookhyser keineswegs ab. Stimmlich sehr präsent und sicher, darstellerisch stark aber nicht in den Vordergrund drängend, findet sie das richtige Maß, um dieser Rolle Kontur und Bedeutung zu verleihen. Bereits nach diesem Akt spendete das Publikum begeisterten Beifall.
Den zweiten Akt beherrscht vor allem die lange Liebesszene zwischen Tristan und Isolde, die sich heimlich treffen, während Marke auf der Jagd weilt. Dazu erscheint hinter dem Gazevorhang auf der abgedunkelten Bühne erst ein weiße Scheibe als Sinnbild des aufgehenden, kalten Mondes, der mit fortschreitender Nacht langsam höher steigt und sich dann plötzlich zur Morgensonne wandelt, die das Liebesgeschehen buchstäblich „an den Tag bringt“ und das Liebespaar auf der hellen Bühne schutzlos dem überraschend auftretenden König Marke und Tristans vermeintlich treuem Freund Melot präsentiert. Zentraler Punkt dieses Aktes ist jedoch das intensive Liebeserlebnis von Tristan und Isolde, das sich sowohl im Gesang wie auch im Orchester zu einem Liebesrausch emporschwingt, wie ihn in seiner Intensität und Übersteigerung nur Wagner darstellen konnte. In diesem Akt findet auch Andreas Schager, der Darsteller Tristans, der im ersten Akt noch weitgehend im Hintergrund blieb, zu gesanglichem wie darstellerischen Höhepunkten. Das Liebesduett zwischen ihm und Ruth-Maria Nicolay ist an Intensität und stimmlicher Präsenz bei beiden kaum zu überbieten.
Das Ensemble schaffte es, den Spannungsbogen auch im dritten Akt unverändert hoch zu halten. Zwar beginnt dieser Akt eher zurückgenommen zwischen dem tödlich verwundeten Tristan und Kurwenal. Doch das Bangen Tristans, ob Isolde noch recntzeitig eintrifft, sorgt bald für Dramatik, denn Tristan fühlt den Tod nahen. Dabei steigert sich Andreas Schager in ein geradezu manisches Delirium zwischen Todessehnsucht und Bangen hinein, das höchste sängerische Anforderungen mit körperlicher Hinfälligkeit verbinden muss. Ein Drahtseilakt, den Schager ohne jeden Anflug von Lächerlichkeit meistert. Im gesungenen Sterben steckt ja stets ein latentes Stück unfreiwilliger Komik, das es gilt nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Auch hier wieder sekundiert das Orchester mit viel Eigenständigkeit den Ausbrüchen des Todgeweihten Tristan, und gemeinsam treiben Sänger und Orchester dem Augenblick zu, in dem – fast zu spät – Isolde erscheint, um Tristan in ihren Armen sterben zu lassen. Ein letztes gemeinsames Duett, und dann heben Isolde und das Orchester zu „Isoldes Liebstod“ an, der Apotheose der Liebe am Schluss dieser Oper, die dann mit drei leisen Schlägen des Orchesters verklingt.
Hatte das Publikum bereits nach den ersten beiden Akten kräftigen Beifall gespendet, so steigerte sich dieser nun zu begeistertem, von Bravo-Rufen gespicktem Applaus, der teilweise in einen rhythmischen Rausch verfiel. Vor allem den beiden Hauptdarstellern galt der Beifall, aber auch Erica Brookhyser, Ralf Lukas (Kurwenal) und Thomas Mehnert (Marke). Alle trugen zu diesem Erfolg bei, kein Schwachpunkt minderte die Wirkung. Das Orchester unter der Leitung von Lukas Martin Meister, der abgekämpft den Beifall entgegennahm, steigerte sich im Laufe des Abends zu immer neuen Höhepunkten und arbeitete die gewagten Klanggebilde von Wagners Musik mit Präzision und Intensität heraus, ohne die Sänger auf der Bühne jemals in akustische Bedrängnis zu bringen. Ein wahrhaft großer Opernabend – für den, der Wagner schätzt.
Frank Raudszus
Alle Bilder © Barbara Aumüller
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