Beim 7. Kammerkonzert interpretieren Kit Armstrong, Andrej Bielow und Felix Kieser Werke von Brahms und Ligeti.
Diese Rezension muss sich leider auf den ersten Teil des Konzertes beschränken, da der Rezensent aus privaten Gründen nach der Pause anderweitig gebunden war. Das tat angesichts der Besonderheit dieses Kammerkonzerts weh, war aber nicht zu ändern. Es war jedoch insofern zu verkraften, als auch im zweiten Teil – wie im ersten – Werke von Ligeti und Brahms zu Gehör kamen.
Was war an diesem Auftritt dreier noch junger Künstler so außergewöhnlich? Nun, bei dem ukrainischen Violonisten Andrej Bielow , mit 35 Jahren der älteste dieses Trios, sind wohl „nur“ seine außergewöhnliche Begabung und seine erfolgreiche Karriere zu nennen, bei dem 24jährigen Pianisten Kit Armstrong jedoch bereits sein naturwissenschaftliches Studium, das ihn neben seiner kometenhaften Pianistenkarriere bis zu einem Master-Titel in Mathematik geführt hat. Die erstaunlichste Karriere hat jedoch der erst 25jährige Hornist Felix Kieser zu bieten: was das Programmheft – aus falscher Diskretion?? – verschweigt, was aber dem Publikum sofort ins Auge springt, sind seine fehlenden Arme. Er verlor sie nicht bei einem Unfall, sondern kam ohne sie zur Welt. Trotz dieser für einen Musiker – zumal einen Hornisten! – geradezu elementaren Einschränkung ließ er sich von seinem Wunsch, das Hornspiel zu erlernen, nicht abbringen, und gehört heute zu den renommiertesten Hornisten. Er bedient sowohl das Horn als auch die Noten mit dem linken Fuß und tut das derart routiniert, dass man es bereits nach wenigen Minuten für selbstverständlich hält. Wir halten den Hinweis auf dieses „Handicap“ durchaus nicht für „politisch inkorrekt“, zumal es sich sowieso nicht kaschieren lässt, jedoch seine Überwindung für eine mindestens ebenso große Leistung wie die rein musikalische der Intonation und Interpretation, die unmittelbar eine Folge von musikalischer Begabung und Begeisterung ist.
Das Programm dieses Konzerts begann mit Johannes Brahms´ Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 in G-Dur aus dem Jahr 1879. Die Musikkritik hat Brahms zu seinen Lebzeiten oft vorgeworfen, keine ausgeprägten musikalischen Ideen zu entwickeln. Man muss sich doch bei dieser Beurteilung von der thematisch dominierten Definition der Klassik lösen. Bei Haydn, Mozart, Beethoven und auch noch Schubert galt es, einprägsame Themen vorzustellen und sie auf vielfältige Weise zu verarbeiten. Dabei stand die Wiedererkennbarkeit eines Themas im Mittelpunkt, wenn auch Beethoven diese Forderung in seinen Spätwerken beiseite schob. Brahms´ Musik jedoch lebt vom ersten Takt an vom unmittelbaren Ausdruck, das heißt, er kommt nicht von einer externen Liedform, die er nach musikalischen Gesichtspunkten variiert, sondern von einer inneren Befindlichkeit, einer seelischen Situation, die er in musikalische Abläufe umsetzt. Doch das innere Wesen der menschlichen Seel – oder abstrakter: Psyche – richtet sich nicht nach formal vorgegebenen Kriterien wie der Liedform, sondern verläuft sehr oft – wenn nicht meist – chaotisch und von Assoziationen, Ängsten und Sehnüchten getrieben. Diese seelischen Vorgänge setzt Brahms in seiner Sonate in entsprechende Motive um, die oft nur aus kurzen, sich permanent wandelnden, expressiven musikalischen Figuren bestehen. Die Expressivität der Melodieführung und des Zusammenspiels von Violine und Klavier sind die hervorstechenden Eigenschaften dieser Sonate. Auch die formale Struktur ordnet sich diesem Ziel unter: die Sätze unterscheiden sich nicht mehr – wie in der Klassik – eindeutig durch ihr Tempo. Der erste Satz ist zwar „Vivace“ überschrieben, kommt aber im Tempo getragen daher, und die „Typvorgabe“ bezieht sich eher auf die Intensität. Das ganze Stück durchzieht die für Brahms typische Wehmut und Weltferne. Diese Musik fordert und feiert nicht die Freiheit des Menschen von Last und Unterdrückung, sie beklagt eher die Enge und das Leid des Lebens. Die Spätromantik hat den optimistischen Impetus der Aufklärung verloren und sieht sich mit den fragwürdigen Konsequenzen der Industrialisierung konfrontiert. Dieses Lebensgefühl des Verlorenseins spiegelt sich in Brahms´ expressiver Kammermusik und damit auch in dieser Sonate wider. Andrej Bielow und Kit Armstrong interpretierten das Stück mit glasklarer, nie schwülstig-breiter Intonation und gaben sich gegenseitig den nötigen musikalischen Raum, der für eine ausgewogene Interpretation nötig ist. Hier gab es keinen Solisten und seinen Begleiter, sondern zwei harmonisch miteinander agierende Solisten.
György Ligeti hat sein Trio für Violine, Klavier und Horn als „Hommage à Brahms“ übertitelt. Der Grund für diese Zueignung wird sehr schnell deutlich: mit den musikalischen Mitteln des 20. Jahrhunderts erschafft Ligeti einen ähnlich expressiven Raum wie Johannes Brahms. Auch hier bewegen sich die drei Instrumente in einem Rahmen von immer wieder sich ändernden Motiven. Ein zentrales Thema, etwa für jeden Satz ein eigenes, gibt es nicht; dafür reihen sich scharf voneinander abgegrenzte melodische und rhythmische Elemente aneinander. Mal antwortet das Klavier den Figuren der Violine mit harten Akkordketten, dann wieder zieht es sich auf kurze Einwürfe zurück und überlässt der Violine das Feld. Das Horn schafft dazu eine ostinate melodische und klangliche Unterlage, die dem Stück streckenweise so etwas wie eine Basslinie verleiht und auch eine besondere Klangfärbung hervorruft. Besonders hervorzuheben ist der dritte Satz mit seinen vertrackten, bewusst versetzten Marschrhythmus, der so klingt, als wolle der Komponist das Ureigen-Militärische des Marsches grundsätzlich hinterfragen oder gar diskreditieren. Das „Lamento“ des Finalsatzes setzt dem konsequenterweise eine düstere, bisweilen apokalyptisch anmutende Note entgegen. Die drei Musiker brillierten in ihrer Interpretation dieser äußerst schwierigen und mit vielen Brüchen arbeitenden Komposition mit hoher Präzision, feiner Abstimmung und einem untrüglichen Gespür für die Eigenarten dieser Musik. Dadurch schafften sie es auch, den Rückverweis auf die gerade verklungene Brahms-Sonate herzustellen und damit dem Untertitel der Ligeti-Komposition einen nachvollziehbaren Sinn zu verleihen.
Der Applaus zur Pause fiel ausgesprochen kräftig aus und galt zu einem großen Teil wohl auch dem Hornisten, der mit seinem Spiel zeigte, was sich mit Willen und Talent erreichen lässt. Im zweiten Teil spielte dann Kit Armstrong verschiedene Klavierstücke und Etüden von Ligeti, bevor alle drei Musiker Johannes Brahms´ Trio für Klavier, Violine und Waldhorn in Es-Dur interpretierten.
Frank Raudszus
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