Das 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt bringt neben dem Klavierduo Silver-Garburg noch zwei Sprachkünstler auf die Bühne.
Die gegen alle künstlerischen Konventionen gerichtete Protestbewegung „Dada“ entstand im Jahr 1916 in der Schweiz. Gründer waren verschiedene Künstler, die vor dem Krieg in die Schweiz geflohen waren. Anlässlich des hundertsten Jubiläums dieser Gründung hatte sich das Staatstheater ein besonderes Programm ausgedacht, das obendrein auch zu dem diesjährigen Moto „Humor in der Musik“ passte. Neben dem musikalischen Teil, der Klaviermusik von Camille Saint-Saëns, Francis Poulenc, Erik Satie und Igor Strawinsky bot, standen – im Wechsel mit der Musik – dadaistische Texte von Ernst Jandl und Kurt Schwitters auf dem Programm. Die Musik verantwortete das Duo Sivan Silver und Gil Girburg an zwei oder an einem Flügel, für die Texte schickte das Staatstheater die Darmstädter Schauspieler Christian Klischat und Stefan Schuster auf die Bühne.
Wie es sich für einen humorvollen Abend gehört, stand zuerst die Sprache im Vordergrund, denn sie kann Witz wesentlich direkter vermitteln als die interpretationsbedürftige Musik. Doch Ernst Jandls Text „Talk“ entzieht sich jeglicher Interpretation, denn er besteht nur aus sinnfreien Silbenfolgen, gebildet aus dem allseits bekannten „blabla“, ausgeweitet um das „ä“ und variiert in verschiedensten Kombinationen dieser Buchstaben. Stefan Schuster trug diesen Unsinnstext mit einer bewussten Intonation wie eine ernstgemeinte Rede vor und verdeutlichte damit die Absicht Jandls, Fest- und Sonntagsredner zu karikieren. Das sich daran anschließende Klavierstück „Hémiones“ aus Saint-Saëns´ „Karneval der Tiere“ für zwei Klavier unterstrich diese Parodie noch, da der Komponist in diesem Stück über einen Esel einen uns leider nicht mehr bekannten Zeitgenossen aufs Korn genommen hat. So müssen sich die heutigen Zuhörer an der Lautmalerei der Musik und der virtuosen Kunst der beiden Pianisten erfreuen.
Klavierduos an zwei Klavieren stehen vor dem Problem, dass die Spieler erstens wegen der Ausdehnung der Instrumente nicht so dicht nebeneinander sitzen wie etwa beim vierhändigen Spiel oder bei einem normalen Streichquartett und dass sich Einsätze und Abstimmung wegen der fehlenden Klangdifferenz der Instrumente schwerer kontrollieren lassen. Doch Sivan Silver und Gil Garburg meistern dieses Problem nicht zuletzt dadurch, dass sie auch im richtigen Leben ein Paar sind. Das wirkt sich natürlich besonders beim späteren vierhändigen Spiel aus, bei dem sich die Arme oft über längere Passagen überkreuzen. Das funktioniert nur, wenn man sich auch bei größter Nähe noch versteht.
Im Wechsel kamen dann Ernst Jandls „Karawane, La zeechn u bapp“ und Francis Poulencs „Sonate pour piano aux quatre mains“, Jandls „Andantino und Erik Saties „Fantaisie sérieuse“, Kurt Schwitters´ „Ursonate“ und Igor Strawinskys „Fünf leichte Stücke für Klavier zu vier Händen“ sowie Jandls „Sieben kleine Geschichten“ und Saint-Saëns´ „Introduction und Rondo capriccioso a-Moll“ zu Gehör. All diese Paarungen zeichnete ihr humoristischer, zeitweise anarchistischer Grundtenor aus. Jandls und Schwitters´ Texte strotzen geradezu vor unerwarteten Buchstaben. Da jagen sich Konsonantenketten, oder einzelne Vokale stehen blöd im Raum wie eine Kuh, dann wieder fasst der Kalauer Fuß, wenn aus „so viel Vieh“ die gute „Sophie“ wird, die dann wiederum durch die verschiedensten Variationen dieser Lautfolge gejagt wird. Das Ganze trugen im Wechsel Christian Klischat und Stefan Schuster mit der Intonation vermeintlichen tieferen Sinns vor, so wie etwa ein Politiker oder ein Theaterschauspieler seinem Publikum einen konflikt- und problembeladenen Text vorträgt. Sogar unerwarteten Kommentaren aus dem Publikum begegnete Klischat mit Augenkontakt und einer besonders nachdrücklichen Betonung der nächsten Lautmalerei, als beantworte er eine konkrete Frage des Zuhörers.
Gil Garburg und Sivan Silver hatten sich mittlerweile gemeinsam an einen Flügel gesetzt und traktierten diesen jetzt mit sich gegenseitigen jagenden und überkreuzenden vier Händen. Erik Saties Fantasie steigert sich zum Schluss zu einem wilden Can-Can – auch das Parodie des Zeitgeistes -, und Strawinskys Klavierstücke zitieren aus einem völlig neuen Blickwinkel die Musikbezeichnungen „Andante“, „Espanila“, „Balalaika“ und „Napolitano“, um in einem wilden „Galop“ zu enden. Das den ersten Teil beschließende „Introduction und Rondo“ von Camille Saint-Saëns ruft dann noch einmal einen bekannten „Ohrwurm“ in Erinnerung, bei dem hier aber statt der Violine eine zweite Klavierstimme erklingt. Vor allem die Klavierstücke von Satie, Poulenc und Strawinsky bürsten die musikalischen Konventionen des frühen 20. Jahrhunderts gegen den Strich, karikieren und unterlaufen den Sehnsuchtston der Spätromantik durch schroffe Klänge und durch eine Themenführung, die immer wieder die Erwartungshaltung des Zuhörers narrt. Heute hört man das ohne größere Irritationen, aber zur Zeit ihrer Entstehung hat diese Musik sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern für Stirnrunzeln und Unbehagen geführt. Das Duo Silver-Garburg brachte die Ecken und Kanten dieser Musik mit Spielfreude und mit technischer Perfektion zum Ausdruck, und man sah vor allem Sivan Silver den Spaß förmlich an, da sie ihr Spiel mit unterschiedlichen mimischen Varianten des Lachens untermalte.
Im zweiten Teil war dann buchstäblich „Schluss mit lustig“. Einerseits waren hier keine weiteren Dada-Texte vorgesehen, andererseits schwenkte auch die Musik ins Ernsthafte. Letzteres bedingte daher Ersteres. Igor Strawinskys „Le Sacre du printemps“ mit Dada-Texten zu umrahmen wäre wohl zu recht als unpassend empfunden worden. Nicht umsonst hat diese Ballettmusik zu einem der größten Musik- bzw. Theaterskandale des letzten Jahrhunderts geführt, bei dem sich im Pariser „Théatre des Champs-Élisées“ Anhänger und Gegner dieser Musik gegenseitig verprügelten oder gar zum Duell forderten. Diese Musik ist schon orchestral gewaltig und ob ihrer unerbittlichen Rhythmik geradezu verstörend, doch im Klaviervortrag zu vier Händen wirkt sie noch härter und zupackender, weil die provokanten Harmonien auf dem Flügel noch schärfer zur Geltung kommen. Silver und Garburg boten hier einen wahren Höhepunkt der Klaviermusik. Allein der Versuch, diese außergewöhnliche Musik auf den Flügel zu übertragen, ist schon bewundernswert, doch was die beiden daraus machen, noch viel mehr. Kompromisslos intonierten sie die harten Rhythmen und dissonanten Harmonien und lassen dadurch den Kosmos von Strawinskys Musik in einem neuen Licht erstrahlen. Virtuos meisterten die beiden Pianisten den gemeinsam genutzten Flügel, was nicht einfach war, da beide sich nicht – wie bei vierhändigen Schülerspiel – auf ihre Hälfte beschränkten sondern weit in die Domäne des anderen hineingriffen. Das erforderte höchste Konzentration und Koordination, was nicht nur oftmaligen Blickkontakt erforderte sondern auch dazu führte, dass sich Sivan Silver in ihren – kurzen – Spielpausen oft weit zurücklehnte, um ihrem Partner das Tastenfeld zu überlassen. Über Strecken griffen sie über und zwischen die Arme des Partners, der währenddessen ungerührt komplexeste Passagen spielte, und verliehen Strawinskys Musik mit ihrer Interpretation eine geradezu bedrohliche Dichte.
Das Publikum zeigte sich von diesem Abend, besonders aber von dem Klavier-Duo, begeistert und spendete lang anhaltenden, kräftigen Beifall. Das motivierte die beiden Musiker wiederum, noch zwei bekannte Musikstücke zu vier Händen als Zugabe zu spielen.
Frank Raudszus
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