Das Armida-Quartett begeistert das Darmstädter Publikum mit Streichquartetten von Mozart, Widmann und Beethoven.
Die vier jungen Musiker des Armida-Quartetts haben wir bereits anlässlich ihres Auftritts beim Rheingau-Musik-Festival 2015 vorgestellt, wo sie kurzfristig für das Artemis-Quartett einsprangen. Nun, im Februar 2016, traten sie auch in Darmstadt im 6. Kammerkonzert der Saison aus. Martin Funda (1. Violine), Johanna Staemmler (2. Violine), Teresa Schwamm (Bratsche) und Peter-Philipp Staemmler (Violoncello) präsentierten an diesem Abend ein spannungsreiches Programm von Mozart bis Jörg Widmann, wobei das moderne Stück des Zeitgenossen Widmann nach altem Brauch in der Mitte stand.
Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquartett KV 387 aus dem Jahr 1782 ist das erste der sechs „Haydn-Quartetten“, die ihren Namen von der expliziten Widmung an Mozarts großen Zeitgenossen erhielten. Dass Mozart sich in diesen späteren Quartetten nach eigenen Aussagen ernsthaft mit der Gattung auseinandergesetzt, ja, sogar mit dem Stoff gekämpft hat, merkt man bereits im ersten Satz. Nicht „frisch und fröhlich“, wie Mozart leider nicht zu selten verkürzt dargestellt wird, kommt dieser Satz daher, sondern bereits in den ersten Takten anspruchsvoll. Das von der ersten Violine vorgestellte Thema wird sofort von den anderen Instrumente mit ausgeprägter eigener Stimmführung begleitet. Von Anfang an herrscht also eine dichte Mehrstimmigkeit, die sich gegen eine leichte Rezeption sträubt. Der Zuhörer muss sich auf die einzelnen Stimmen konzentrieren, um den Aufbau nachvollziehen zu können. Der zweite Satz, ein Fugato im 3/4-Takt, trägt die Bezeichnung „Menuetto“, präsentiert sich aber nicht tänzerisch-leicht, sondern dank der Fugenstruktur von Beginn an als polyphones Geflecht aus vier Stimmen. Im Andante des dritten Satzes trägt die 1. Violine die Melodie, während die anderen Instrumente dazu eine mal homophone, mal polyphone Unterlage beisteuern. Der vierte Satz – „Molto allegro“ – beginnt wiederum als Fuge mit einem Thema aus auf- und absteigenden ganzen Noten. Bis zum Ende wird diese Fugenstruktur mit kleineren Abwandlungen durchgehalten und stellt sowohl an Interpreten als auch an Rezipienten hohe Anforderungen.
Die vier Musiker verdeutlichten durch ihr Spiel, dass es sich hier nicht um ein „Aufwärmstück“ handelte, sondern dass sie vom ersten Takt an höchstem Anspruch gerecht werden wollten. Das taten sie dann auch mit einem Höchstmaß an Transparenz und akzentuierter Intonation. Dabei bestach vor allem die feine Abstufung der Dynamik, die einerseits auch dem feinsten Ton eines Instrumente Raum gewährte, andererseits sich plötzlich aufschwingen konnte zu einem Fortissimo, das dann jedoch nie bemüht oder gar grell sondern stets organisch wirkte. Die Musiker durchleuchteten die Partitur förmlich mit ihren Instrumente und brachten jede Stimme und jedes wieder auftauchende Thema zum Erblühen. Dabei verzichteten sie auf jeglichen Anklang von mozartscher „Süße“ und verliehen dem Werk damit einen konzentrierten Ernst, der seinem Anspruch mehr als gerecht wurde.
Nach kurzer Pause sprangen sie dann um nahezu zwei Jahrhunderte nach vorne, zu Jörg Widmanns Streichquartett Nr. 1 aus dem Jahr 1997. Diese Komposition kann man als Lehrstück über die Entstehung eines musikalischen Werkes verstehen. Zu Beginn klopfen die Musiker abwechselnd mit den Bogen an den Instrumentenkörper und lauschen dem hölzernen Klang, der dem eines Xylophons ähnelt. Dann folgen einzelne Pizzicati, als wollten die Musiker die klangliche Wirkung einer Violinsaite erproben. Langsam schleichen sich feinste, fast ängstliche Streichertöne einzelner Instrumente ein, die sich nach und nach mit anderen treffen und erste, rudimentäre Motive bilden. Von Thema oder gar Melodie kann jedoch keine Rede sein. Dann steigert sich die Musik zu einem homophonen Crescendo, wobei klangliche Effekte gegenüber thematischen überwiegen. Widmann geht es bei diesem Stück offensichtlich darum, den Klangraum eines Streichquartetts auszuloten; das klassische Streichquartett mit seiner Sonatenform spielt dabei keine Rolle. Dem klassischen (und romantischen) Streichquartett will und kann er keine neue Krone aufsetzen.
Das Armida-Quartett spiegelte diesen Ansatz durch ein konzentriertes, sich langsam steigerndes Spiel wider. Man sah den Musikern förmlich an, wie sie sich in die Klänge versenkten und dabei nicht nur dem Klang des eigenen Instrumentes lauschten sondern vor allem das klangliche Zusammenspiel der vier Instrumente verfolgten und bewusst steuerten. Dieses Stück barg nicht nur für die Zuhörer sondern offensichtlich auch für die Musiker immer wieder neue klangliche Überraschungen.
Wie üblich steht der musikalische Höhepunkt am Ende eines solchen Konzertes, und wer käme da in Frage – außer Beethoven? Von ihm hatte das Armida-Quartett das Streichquartett Nr. 7 in F-Dur ausgewählt, das erste der sogenannten „Rasumowsky“-Quartette. Das im Jahr 1806 entstandene Werk mit der Opuszahl 59,1 gehört bereits zu den reiferen Werken Beethovens, und von Beginn an zeigt sich, dass Beethoven hier neue Wege geht. Die Themenführung wirkt freier und unabhängiger von der bis dahin geltenden Sonatenform, was sich daran erkennen lässt, dass die Durchführung wesentlich mehr Raum einnimmt als die Exposition. Dadurch sind Musiker und Zuhörer bereits im ersten Satz herausgefordert, da die Durchführung – vor allem bei Beethoven – wesentlich vielfältiger ist als die Exposition. Die Zuhörer werden sofort in die typisch Beethovensche Musikwelt mit ihren abstrakten Mustern entführt, die eine ganz eigene atmosphärische Dichte entwickeln. Das Armida-Quartett interpretierte diesen Satz ausgesprochen straff, man könnte auch sagen „entkernt“ von allem Überflüssigen (falls es das bei Beethoven gibt). Vom ersten Augenblick herrschten höchste Konzentration und eine Atmosphäre der konzeptionellen Auseinandersetzung. Man spürte förmlich, wie die Musiker den Zugang zu Beethovens Musik mit ihren ureigensten Mitteln ebneten und die Essenz herausarbeiteten. Etwaige lyrische Einschübe wurden dabei ebenso von allem Sentimentalen gereinigt wie Crescendi, denen die Musiker bewusst jegliche vordergründige Deutung – Protest, Aufschrei – verweigerten. Im Allegretto des zweiten Satz hielten sie nicht nur die Spannung, sondern steigerten sie sogar noch durch die fast ostinate Intensität der unterliegenden Metrik. Nach diesem Satz geschah etwas, was im Konzert sonst selten vorkommt: die Zuhörer spendeten spontanen „Szenenapplaus“!
Dagegen wirkte der Adagio-Satz in seiner intensiven Dichte geradezu unterirdisch, und die Musiker verliehen diesem fast schwermütigen Satz durch ihr so feines wie konzentriertes Spiel eine hohe Spannung. Der langsame Satz geht fast unmerklich in das Rondo des Finalsatzes über, den die vier Musiker durchaus nicht als fröhlichen Ausklang präsentierten sondern als eine musikalische Botschaft, die durch das Fugato am Ende noch geschärft wird. Aufgrund der thematischen und harmonischen Komplexität eröffnet dieser Satz eine eigene musikalische Welt, die mit dem klassischen Begriff „Rondo“ nur unvollständig zu beschreiben ist. Als Zuhörer bleibt man bis zum Schluss in dieser Welt der „absoluten“ Musik gefangen, die nichts mehr zu tun hat mit dem menschlichen Alltag und seinen (Volks)Liedern.
Das Armida-Quartett schaffte es, den Spannungsbogen dank einer ausgefeilten, höchst transparenten und dynamisch kontrastreichen Spieltechnik bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Ein seltenes Ereignis: man hörte während des gesamten Beethoven-Quartetts keinen einzigen Huster und auch sonst kein Geräusch von den Rängen. Es herrschte gebannte Stille, die sich erst nach dem letzten Akkord in begeistertem Beifall entlud. Dieser hielt so lange an, bis das Quartett noch den Finalsatz eines Mozart-Quartetts als Zugabe spielte. Das löste dann die musikalische Spannung im Saal etwas, so dass die Zuhörer gelockert und geläutert den Heimweg antreten konnten.
Frank Raudszus
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