Eine etwas andere Begründung der aktuellen Problemlage aus der Sicht eines überzeugten Linken.
Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, international bekannt als „bekennender“ linker Philosoph, hat seine Einstellung zu aktuellen Problemen zuletzt in den „Blasphemischen Gedanken – Islam und Moderne“ zum Ausdruck gebracht. In seinem neuen Buch, eher ein ausgedehnter Essay, ergänzt er diese Ausführungen mit ganz eigenen Interpretationen der Flüchtlingswelle, die derzeit nach Europa schwappt. Die beiden Bücher sollte man als zwei Betrachtungen einer komplexen Problemlage betrachten, die sich gegenseitig – auch explizit – aufeinander beziehen.
Zizek sieht in der Flüchtlingswelle eine „doppelte Erpressung“ der Politik, weil einerseits die Linke mit der „Schuld“ des Westens gegenüber der Dritten Welt arbeite und eine Politik der „offenen Tür“ fordere, andererseits die Konservativen einen Schutz vor der Zerstörung der westlichen Kultur durch Migranten einforderten. Daraus entwickelt er die Forderung an die Linke(!), mit liebgewordenen Tabus zu brechen. Darunter versteht er einmal die Forderung, den vermeintlichen Feind – hier der Islamist – aus seiner Lebenssituation zu verstehen, und fragt, ob das auch für Hitler gelten würde. Ebenso lehnt er die Denunziation des Verweises auf die europäische Kultur als Rassismus ab, da sich seiner Meinung nach gerade die „europäischen Werte“ als Waffe gegen den für alles verantwortlichen Kapitalismus eignen. Dasselbe gilt für den Schutz der eigenen (europäischen) Lebensweise gegen die Migrantenflut. Die breite Bevölkerung müsse geschützt werden, allerdings vor dem Kapitalismus. Man müsse also auf die Sorgen der „einfachen Leute“ hören, jedoch den globalen Kapitalismus als Grund dafür entlarven. Ganz offen widerspricht er auch dem Mantra der Linken, jegliche Islamkritik als rassistische Islamophobie zu verurteilen. Deutlich benennt er die archaischen, autoritären Riten des Islams (Scharia) und seine systematische Unterdrückung der Frauen und aller Minderheiten (z. B. Homosexuelle) und lässt keinen Zweifel daran, dass diese menschenunwürdigen Praktiken konstituierender Teil des Islams seien. Der links-liberale Ausruf „Der Islamismus hat nichts mit dem Islam zu tun“ ist für Zizek offensichtlich gefährlicher Unsinn.
In einer geradezu bewundernswerten intellektuellen Volte erklärt er den Terrorismus als eine Art „göttliche Gewalt“, wobei er diese nicht religiös meint sondern sie historisch-ironisch aus anderen Schriften zitiert. Diese Gewalt habe kein konkretes Ziel wie etwa eine „proletarische“ Revolution, sondern in ihr artikuliere sich die Frustration breiter Schichten über ihre (ökonomische) Lage und der Hass auf die (vermeintlich) Schuldigen ganz unmittelbar, sozusagen wie eine „höhere Gewalt“. Ähnliches hat Zizek auch schon in den „blasmephischen Gedanken“ geäußert, wo er den islamistischen Terror als den Neidreflex eines gesamtgesellschaftlichen Minderwertigkeitskomplexes (der Muslims) deutet.
Letzten Endes führt Zizek alles auf seinen Lieblingsfeind zurück, den Kapitalismus. Wenn er die irakische Situation auf Bushs Krieg zurückführt, kann man ihm bis zu einem gewissen Grad noch folgen. Wenn er jedoch für den syrischen Bürgerkrieg die willkürliche Grenzziehung zwischen Syrien und Irak das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 als Ursache heranzieht, dann wirkt das wie an den Haaren herbeigezogen. Ähnliches gilt für die innerafrikanischen Bürgerkriege, die er auf die Ausbeutung durch den – westlichen – Kapitalismus zurückführt. Zwar erweitert er den Kreis der kapitalistischen Länder notgedrungen um die gar nicht so westlichen Länder China und Russland und benutzt dafür den Begriff „Staatskapitalismus“, man liest jedoch förmlich zwischen den Zeilen, dass diese Länder die ideologische Klarheit mit ihrer westlichen Feindbildung gehörig stören. Der Kapitalismus ist für ihn an allem schuld, wobei er auf eine engere, schlüssige Beweisführung – Firmen, Länder, ökonomische Handlungen – verzichtet. Im Grunde genommen greift er die westliche „freie Marktwirtschaft“ an, hütet sich jedoch davor, diesen Begriff selbst zu denunzieren. Es ist nämlich viel schwieriger, einen vom Tenor her positiv besetzten („frei“) Begriff zu denunzieren, als ein bereits etabliertes Feindbild aufzugreifen. Ein solches ist der „Kapitalismus“, obwohl dieser bei Zizek nie definiert sondern nur als Kampfbegriff benutzt wird. Wollte er dem Kapitalismus als Feindbild auf den Grund gehen, müsste er sehr bald die Abschaffung des Geldes und die Rückkehr zur Tauschwirtschaft fordern, angesichts der weltweiten Bevölkerung eine Forderung mit geradezu katastrophalen Folgen.
Die islamischen Flüchtlinge sind für Zizek die Leidensgenossen der ausgebeuteten Arbeiter in den kapitalistischen Ländern und befinden sich mit ihnen in einem gemeinsamen Klassenkampf, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Umgestaltung der Weltwirtschaft zu einem neuen Kommunismus steht daher vorrangig auf Zizeks Programm, wobei er wohlweislich darauf verzichtet, diese neue Variante zu beschreiben. Dass es ohne Zwang nicht gehen wird, lässt er auch in diesem Buch durchblicken, wenn auch nur als – halb historisches, halb ironisches – Zitat anderer politischer Autoren. Die Nähe zu den gerade erst untergegangenen sozialistischen Staatsgebilden und das Anschauungsmaterial existierender sozialistischer Staaten wie Nordkorea und Venezuela lässt es ihm offensichtlich nicht opportun erscheinen, zu detailliert auf die mögliche Alternative einer kommunistischen Weltordnung einzugehen. Es könnte unangenehme Rückfragen geben, die er nur schwer beantworten könnte.
Wenn Zizek den westlichen Toleranzbegriff, die „Willkommenskultur“ gegenüber den Flüchtlingen und die Unterstützung der Dritten Welt als selbstgerechte Heuchelei und Scheinheiligkeit zu entlarven versucht, dann mag darin ein Körnchen Wahrheit stecken. Doch bei seinen Schuldzuweisungen übersieht er, dass gerade diese eine (rassistische) Diskriminierung enthalten. Wenn er die Bürgerkriege in Nahost und in Afrika auf historische Entscheidungen und vergangene Kriege des westlichen Kapitalismus zurückführt, reduziert er die Bevölkerungen dieser Länder auf rational minderbemittelte Stämme, die nicht in der Lage sind, sich mit historischen Situationen rational auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden. Länder mit Bodenschätzen könnten diese verantwortungsvoll und mit gesundem Eigeninteresse nutzen. Wenn er den Kapitalismus als Verursacher kritisiert, entlastet er die jeweilige Gesellschaften samt ihren Regierungen von jeder Verantwortung für ihr eigenes Geschick. Sie sind sozusagen unmündige Kinder, die quasi automatisch jedem ausländischen System zum Opfer fallen. Dass westliche – in seiner Diktion „kapitalistische“ – Länder Fehlentscheidungen treffen können, liegt in der unvollkommenen Natur des Menschen, dass aber ein bestimmtes System – hier der Kapitalismus – Ursache allen Übels ist, kann man nur als ideologische verzerrte Wahrnehmung der Welt bezeichnen.
Doch Zizeks „Geschäftsmodell“ besteht offensichtlich darin, das seit 1990 verwaiste Feld der internationalen Linken zu beackern, und mit seinen Büchern spendet er den narzisstisch tief gekränkten Linken – vor allem in den westlich-kapitalistischen Ländern – Trost und Labsal. Da tut es auch nichts zur Sache, dass die Literaturverweise zum größten Teil auf Werke des Philosophen Slavoj Zizeks verweisen. Eine wahrhaft geschlossene Argumentationskette.
Das Buch ist im Ullstein-Verlag erschienen, umfasst 95 Seiten und kostet 8,- Euro.
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