Das Staatstheater Darmstadt gibt in den Kammerspielen Yasmina Rezas neues Stück „Bella Figura“.
Eigentlich ist die Ausgangssituation dieser satirischen Gesellschaftskomödie ideal, um damit Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten, Eitelkeiten und Bosheiten der bürgerlichen Gesellschaft vorzuführen: Boris, ein schon etwas angejahrter Kleinunternehmer, trifft mit seiner langjährigen geliebten Andrea ausgerechnet auf die beste Freundin seiner Frau, die natürlich von Boris´Affäre nichts wissen sollte. Daran könnte man jetzt ein Feuerwerk aus Heuchelei, Doppelmoral und Selbstgerechtigkeit abfackeln. Doch das will Yasmina Reza, die zum Beispiel in „Der Gott des Gemetzels“ dieses Genre nach allen Regeln der Kunst beherrscht, in diesem Stück nicht so ganz gelingen.
Die erste Szene lässt noch auf einen satirischen Leckerbissen hoffen. Boris´ und Andreas Liebschaft ist längst zur Routine erstarrt, eben zu dem erotischen Alltag, der zu Seitensprüngen führt. Doch da dem Seitensprung von einer Affäre eher etwas Lächerliches als Prickelndes anhaftet, bleiben beide zusammen. Andrea spürt, dass sie für Boris als Frau eher Feierabendvergnügen als ernsthafte Partnerin und daher nur „zweite Wahl“ ist. Dafür hasst sie Boris und sich selbst, weil sie den Absprung nicht schafft. Die Alternative des Alleinseins schreckt sie offenbar mehr als eine Fortsetzung der unbefriedigenden Affäre. Doch lässt sie Boris ihre Frustration verbal spüren, indem sie ihm alles an den Hals wirft, was eine Frau einem Mann vorwerfen kann, und ihn mit Vorliebe an seinen schwächsten Stellen trifft. Die Enttäuschung führt dazu, dass Boris beim Wegfahren eine ältere Fußgängerin anfährt, die sofort wie tot auf der Straße liegenbleibt. Nach kurzer Zeit stellt sich jedoch heraus, dass sie nur die Schwerverletzte simuliert, um die Aufmerksamkeit ihres Sohns und ihrer Schwiegertochter auf sich zu ziehen. Dieses Trio ist ebenso vom Leben frustriert wie Boris und Andrea. Yvonne, so der Name der älteren Dame, fühlt sich von ihrer Schwiegertochter Françoise abgelehnt und von ihrem Sohn vernachlässigt. Dabei spielt jedoch eine gehörige Portion altesbedingt noch verstärkter Egozentrik eine Rolle. Man kann Françoises Abneigung gegenüber Yvonne durchaus nachvollziehen, wenn auch Françoise selbst eine ähnliche, muffige Egozentrik an den Tag legt, die sich sowohl gegen Ehemann wie Schwiegermutter wendet. Da kommt die plötzliche Entdeckung, dass die beste Freundin von ihrem Mann betrogen wird, gerade richtig, und Françoise kann sich für ihre Frustrationen rächen. Eric dagegen wird zwischen den beiden Frauen zerrieben, denen er es nie recht machen kann.
Soweit so gut, doch an diesem Punkt beginnt das Problem des Stücks, denn das neue Trio verdoppelt im Prinzip nur die Beziehungsprobleme des anderen Paares, ohne wirklich neue Aspekte oder einen radikalen Perspektivwechsel zu bringen. Warum Françoise sich nichts mehr aus Eric macht, wird nicht so ganz klar. Ist die egozentrische Yvonne die Ursache oder wehrt sich diese nur gegen ihre vermeintliche Marginalisierung? Vernachlässigt Eric seine Frau wegen seiner Mutter, oder ist erstere selbst eine egozentrische Nörglerin? Diese Fragen werden nicht beantwortet, und so dümpelt die Parade der Bosheiten ohne neue Handlungselemente vor sich hin. Die gegenseitigen Vorwürfe wiederholen sich, die bissigen Dialoge drehen sich im Kreis, und es ist kein dramaturgischer Fortschritt zu spüren.
In manchem erinnert das Stück an Becketts „Warten auf Godot„, das ebenfalls von kreisförmigen dramaturgischen Abläufen und einem scheinbaren Stillstand lebt. Doch im Gegensatz zu Becketts Stück fehlt dieser Komödie das Rätselhafte, ist es zu nahe an realistischen Alltagsgeschichten aufgehängt, als dass es existenzielle Abgründe aufreißen könnte. Auch wenn das Ende an Becketts Stück erinnert. Dort heißt es zum Schluss: „Also? Wir gehen? – Gehen wir!“ – ein typisch offenes Ende. Bei Yasmina steht zum Schluss die Frage im Raum „Was machen wir?“ und als Antwort ein Schulterzucken. Bisweilen drängt sich der Vergleich auf, doch eben aufgrund der vordergründigen Handlung nur bisweilen und nicht durchgängig.
Regisseur Bernhard Mikeska hat versucht, die dramaturgische Schonkost durch einige Regieeinfälle zu würzen. So lässt er das zerstrittene Trio lauthals palavernd die Bühne verlassen und später unter ähnlichen Streitgesprächen hinter der Zuschauertribüne wieder vorkommen. Damit kann er jedoch nur kurzfristige Akzente setzen. Daher lässt er sich dann etwas einfallen, das zwar der Inszenierung eine optische Pointe verleiht, doch ohne eine zwingende Begründung: er lässt die gesamte Bühne mit Schaum auffüllen, in dem sich die Darsteller – vor allem Eric – mehr verzweifelt als lustbetont wälzen. Zwar drängt sich die Alliteration „Träume sind Schäume“ aus, doch einerseits sind in diesem Stück sowieso alle Träume ausgeträumt, so dass die Metapher schief in der Kulisse hängt, und andererseits wäre diese Verbindung auch etwas platt. So grübelt der Zuschauer ohne Ergebnis über die Frage, welchen dramaturgischen Sinn der aufquellende Schaum ausdrücken soll. Auch das fortgesetzte, fast schon demonstrative Wälzen der Darsteller in den Schaumbergen gibt darüber keinen Aufschluss.
Die Darsteller versuchen dennoch, dieser Inszenierung so etwas wie Witz oder Spannung zu verleihen. Judith van der Werff ist eine aus Frustration bis zum Äußersten scharfzüngige Andrea, Thomas Meinhard ein hilfloser Boris, der außer mit dieser zickigen Geliebten auch noch mit einer drohenden Insolvenz konfrontiert ist und verzweifelt versucht, Contenance zu wahren. Margit Schulte-Tigges spielt die Yvonne als eine bewusst mit dem Topos der „verrückten Alten“ spielenden Frau, während Jele Brückner sich auf die Pose der mundfaulen Dauerbeleidigten beschränkt. Mathias Znidarec schließlich kurvt als Erich bemüht aber chancenlos zwischen Mutter und Ehefrau umher und ertränkt seine Verzweiflung im Bühnenschaum.
Was diesem Stück fehlt, sind einerseits die tieferen Beziehungen zwischen den beiden Gruppierungen, die dann auch die Handlung vorantreiben könnten. Die Freundschaft zwischen Françoise und Boris´ Frau reicht nicht als dramaturgischer Hebel. Andererseits verharren die Beziehungen der Figuren in statischer Apathie, ohne dass neue Aspekte, etwa alte Verletzungen, Traumata oder gar Sehnsüchte, zur Sprache kommen. Das Stück erinnert halt nur an Becketts „Warten auf Godot“, hält den Vergleich mit diesem jedoch nicht aus.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Heinz Holzmann
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