Der neue Roman „Wackelkontakt“ von Wolfgang Haas ist eine witzige und kurzweilige Lektüre. Dabei ist dieser Roman raffiniert gebaut und erfordert flexibles Leseverhalten, will man den ständig wechselnden Perspektiven und den verschachtelten Erzählsträngen folgen können.
Der Trauerredner Franz Escher lebt einigermaßen unkonventionell als Single. Seine ganze Leidenschaft ist das Puzzeln von großen Kunst-Puzzlen, die mindestens 1000 Teile haben müssen. Darunter macht er es nicht. Bücher über die Mafia sind seine zweite Leidenschaft. Er verschlingt alles, was er dazu finden kann.
Diesmal wartet er auf den Elektriker, der den Wackelkontakt an der Steckdose in seiner Küche reparieren soll. Er greift zu dem Buch, das er zu lesen begonnen hat. Es handelt von dem Nachwuchskriminellen Elio, der für die Mafia arbeitet. Nach seiner Verhaftung wird er von der Polizei und dem Staatsanwalt Falcone zum Kronzeugen umgedreht und schließlich in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Er erhält eine neue Identität mit dem deutschen Namen Marco Steiner und soll in Zukunft in Deutschland leben. Im Knast ist er mit einem deutschen Drogendealer in einer Zelle zusammengelegt worden, damit er schon mal Deutsch lernen kann. Dieser Knastbruder schenkt ihm ein Buch. Es handelt von dem Trauerredner Escher, der auf einen Elektriker wartet…
So erzählen sich zwei Geschichten gegenseitig: Escher liest die Geschichte des Elio, der als Marco Steiner in Deutschland lebt und zunächst eine Karriere als Restaurator von alten Markenfahrrädern macht, dann die Stadt wechselt und als Elektriker arbeitet.
Marco, alias Elio, liest die Geschichte von Escher, der plötzlich einen toten Elektriker in der Wohnung liegen hat, nachdem Escher in Gedanken die Sicherungen wieder eingeschaltet hat.
Wie diese beiden Erzählungen zusammenhängen und welche überraschenden Konstellationen sich ergeben, soll hier nicht verraten werden. Nur ein Hinweis: Wenn man zu Beginn ganz aufmerksam liest, kann man vielleicht den überraschenden Schluss nachvollziehen. Oder man liest den Anfang später noch einmal.
Nun ist der Roman aber nicht nur witzig, vielmehr lässt er die Lebenswege seiner beiden Protagonisten in ihren unerwarteten Wendungen sichtbar werden. Bei beiden ist es immer wieder der Zufall, der den weiteren Lebensweg bestimmt. Der einstige Kleinkriminelle und Mafiaangehörige, von dem schon der Staatsanwalt sagt, dass er ein gute Junge sei, kommt zu einer fast braven kleinbürgerlichen Existenz mit Frau und Tochter. Aber auch daraus ergeben sich neue Verwicklungen, die es zu meistern gilt.
Franz Escher verpfuscht an seinem 19. Geburtstag die Möglichkeit zu einer Liebesbeziehung, weil er sich in sein erstes Puzzle verliebt. Diese Leidenschaft wird auch in Zukunft seine Beziehungen auf ein Mindestmaß beschränken., wenn ihn nicht doch jemand da herausholt.
Für uns als Leser ist dieses Spiel mit den zwei Erzählungen herausfordernd. Gerade haben wir uns in den einen Erzählstrang eingelesen, da nimmt der andere sein Buch zur Hand und liest die andere Erzählung weiter, so dass der Roman wie ein Spiel mit Vexierspiegeln erscheint.
Der Witz des Buches liegt nicht nur in der Spiegelung, sondern auch in der Übertreibung von verrückten Zufällen, die die Lebenswege der beiden Protagonisten miteinander verschränken. So liest sich diese Geschichte wie eine Parodie auf schlechte Kriminalromane, die ohne deus ex machina nicht auskommen.
Das Ganze erzählt Haas mit einem ironischen Unterton, der die beiden Protagonisten mit einbezieht. Sie sehen sich selbst mit den Augen des anderen gleichzeitig von innen und außen. Das ist ein verrücktes Spiel.
Herrlich auch, wie Haas Marcos deutschen Spracherwerb nachvollzieht. Von seinem Knastbruder hat er eine drastische, aber ehrliche Gaunersprache gelernt, mit der er nun im gutbürgerlichen Deutschland nicht mehr ankommen kann. Er muss sich erst einmal sprachlich selbst umerziehen, um aus seinem neuen, angepassten Deutsch eine weitere Camouflage machen zu können.
Mein Vorschlag: Das Buch ist eine gute Abwechslung, wenn man sich von belastender oder sehr herausfordernder vorangegangener Lektüre erholen will.
Natürlich fehlt auch die große Überraschung am Ende nicht. Aber wie gesagt, wenn man den Anfang genau gelesen hat, ist die Überraschung eigentlich eine wohl vorbereitete Lösung. Dazu bedarf es aber des „Tricks 17“, wie Marco Steiner zu seiner 14-jährigen Tochter zu sagen pflegt, wenn ihm etwas besonders gut gelungen ist …
Wolf Haas: Wackelkontakt. Hanser Verlag, 240 Seiten, 25 Euro.
Elke Trost
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