Rechte Parteien sind international – wenn nicht weltweit – auf dem Vormarsch. In Deutschland liegt die AfD derzeit gleichauf mit der angehenden Regierungspartei CDU/CSU, und in anderen EU-Ländern sieht es eher noch drastischer aus. Der Historiker und politische Journalist Volker Weiß hat die rechte Szene in Deutschland zum Gegenstand des vorliegenden Buches gemacht und versucht, politische und psychologische Strukturen zu identifizieren. Dabei spielt die psychologische Perspektive weniger eine individuelle denn eine politische Rolle, indem Weiß versucht, die psychologischen Taktiken der rechten Meinungsführer herauszuarbeiten. Schließlich geht es ja darum, wie die Rechte in verhältnismäßig kurzer Zeit – ähnlich wie in den zwanziger Jahren! – einen so starken Einfluss auf weite Kreise der Bevölkerung gewinnen konnte.
Erstaunlicherweise steht nicht die Migrationsfrage am Anfang und Ende dieses Buches, wie man angesichts des tagespolitischen Diskurses meinen könnte, sondern viel weiter ausgreifende Überlegungen, die eher grundsätzlicher Natur sind als dass sie aktuelle Probleme aufgreifen.
Der erste Teil befasst sich fast ausschließlich mit der Neuschreibung der Geschichte aus russischer Sicht. Natürlich spielt dabei der Ukraine-Krieg eine zentrale Rolle, doch eher als Auslöser denn als Basis der russischen Strategie. Weiß zeigt anhand vieler Beispiele, wie Russland die eigene und die Welt-geschichte systematisch an den eigenen, aktuellen Bedürfnissen ausrichtet, wobei der imperiale Mystiker Dugin diepropagandistischen Fäden zieht. Der russischen Regierung geht es in erster Linie um die (Kriegs-)Akzeptanz im eigenen Land, und da werden scheinbar konträre historische Sachverhalte derart präsentiert, dass sie entsprechende Emotionen – Verlusterfahrungen und -ängste, Sehsüchte und Rachegelüste – direkt bedienen. Die Repression in der UdSSR wird als Durchsetzungsstärke gefeiert, die Souveränität der Nation betont, und gleichzeitig werden Souveränitätsbestrebungen anderer Länder als faschistischer Terrorismus gebrandmarkt. Die russischen Propagandisten kennen laut Weiß ganz genau das kurze Gedächtnis der breiten Masse und deren Unwillen, die Widersprüchlichkeit eigener Sehnsüchte zu erkennen. So wird die russische Geschichte nachträglich umdefiniert als ein einziger Kampf um die Bewahrung wertvoller Traditionen gegen eine dekadente (westliche) Welt. Da hat dann die UdSSR ganz alleine Nazi-Deutschland besiegt, und die Alliierten haben schon während des „vaterländischen Krieges“ gegen die Heimat der Russen agiert.
Doch dieser Rekurs auf die aktuelle russische Geschichtsklitterung ist kein Selbstzweck, sondern dient nur als Ausgangspunkt für die rechte Szene in Deutschland, die diese Vorlage dankbar aufnimmt, weil aus ihrer Sicht die gegenwärtige Lage in Europa der geschilderten russischen Geschichte gleicht. Doch sind die deutschen Rechten nicht nur dankbare Abnehmer einer „zufällig“ vorhandenen Sicht auf die Geschichte, sondern Russland fabriziert diesen Diskurs gezielt für die westeuropäischen Länder, sprich: für deren rechtes Lager. Wie die russische Bevölkerung will diese Zielgruppe diese Strategie als solche „feindlich“ nicht erkennen, weil die darin enthaltenen Emotionen den eigenen gleichen.
Der zweite Block untersucht die analoge Situation in Deutschland, wo sich eine ähnliche Geschichtsverdrossenheit entwickelt hat. Die eigene Vergangenheitsbewältigung wird als verdrießliche Belastung – „Schuldkult“ – empfunden, und die DDR-Vergangenheit verdoppelt diese Situation noch einmal. Da wird dann einerseits die „westdeutsche“ Regierung als eine Steigerung der repressiven DDR-Führung empfunden, und im nächsten Diskurs wird diese eben noch repressive DDR als Hort der alten deutschen Werte gelobt. So kopiert die deutsche Rechte den russischen Diskurs, indem sie gute und schlechte Erinnerungen aus zwei Diktaturen je nach Bedarf mischt und dem Wahlpublikum die jeweils bekömmlichste Mixtur serviert. Auch hier ist man sich der Widersprüche zwar durchaus bewusst, vor allem, wenn die eigene Feder vor kurzem noch das Gegenteil verfasst hat, doch man rechnet erfolgreich mit dem schlechten Gedächtnis und dem Unwillen des Zielpublikums, eigene Widersprüche als solche zu erkennen. Taktisch gesehen, können es sich die Rechten nicht leisten, auf signifikante Anteile der Bevölkerung zu verzichten, und so wird mal mit dem sozial(istisch)en Argument um Altlinke und mal mit ethnischer Homogenität um Neo-Nazis gerungen. Für die Rechte ist nicht die eigene Widersprüchlichkeit das Problem, sondern eine gerade noch ausreichende publizistische Distanz zwischen sich widersprechenden Aussagen. Da gilt es dann, diese Widersprüchlichkeit als nur scheinbare hinzustellen und logische Stringenz rhetorisch zu eliminieren.
Ähnliches gilt auch für den dritten großen Block, in dem der Autor das Verhältnis der heutigen Rechten zum Nationalsozialismus analysiert. Ausgangspunkt ist dabei die kürzlich gefallene Aussage führender AfD-Politiker, die Nazis seien eigentlich Kommunisten gewesen. Dass Weiß das angeblich von Goebbels stammende Zitat schnell und eindeutig entlarvt, ist dabei eher Nebensache und erwartbar, die Analyse der fast schon geniale Perfidie der AfD-Propagandisten dagegen treffsicher und schlagend. Mit der Verschiebung der Nazis ins linke Lager verschiebt man die Schuld auf die verhassten Kommunisten und kann gleichzeitig dem Dritten Reich einen sozialen Mantel umhängen, den dieses Regime nie wirklich zur Hand gehabt hat. Weiß weist eindeutig nach, dass der Nationalsozialismus stets von einem ethnisch homogenen Volkskörper ausging, in dem jeder seinen festen Platz einnahm und sich mit den materiellen Gegebenheiten abzufinden hatte. Mitbestimmung und materielle Gerechtigkeit im Sinne des Sozialismus hatten hier keinen Platz.
Im letzten Teil geht Weiß noch einmal auf die spezielle Lage der „neuen Bundesländer“ – ehemalige DDR – und deren ganz eigenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen ein. Er zeigt, wie die lange Bindung an die UdSSR einerseits und die enge Einbindung in eine autoritäre Gesellschaft noch lange nachwirken und nachträglich die damaligen Verhältnisse ins verklärte Gegenteil umschlagen lassen können. Dass dabei die geschilderten Neudefinitionen alter Verhältnisse einer langfristigen, letztlich in Moskau geborenen Strategie entsprechen, merken dabei die wenigsten. Bis weit in die ehemalige Linke hinein werden dann der Westen und vor allem die USA zu Alleinschuldigen und das eurasische Russland zum Erlöser stilisiert. Dass diese Entwicklung eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie in Deutschland und anderen westlichen Ländern darstellt, liegt auf der Hand.
Dass das von der neuen deutschen Rechten proklamierte Deutsche Demokratische Reich in seiner Abkürzung böse Erinnerungen weckt, ist dabei eher ein ironisches Apercu.
Das Buch ist im Verlag Klett-Cotta erschienen, umfasst 287 Seiten und kostet 25 Euro.
Frank Raudszus
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