Stimmstarker Unterhaltungskünstler

Print Friendly, PDF & Email

In der E-Musik war es lange Zeit guter Ton, als vortragender Solist hinter das Werk zu treten und nur die zu interpretierende Musik vorzutragen. Grund dafür waren wohl auch Exzentriker wie Franz Liszt, die oftmals mehr sich selbst als das Werk inszenierten. In den letzten Jahren hat sich diese Grundeinstellung geändert, auch unter dem Aspekt, die Künstler und damit die Kunst näher an das Publikum heranzurücken. Bei Konzerten spricht man das Publikum des Öfteren direkt an und erklärt die Musik auch verbal.

Im 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt trat nun ein Sänger auf, der diese offene Position auf markante Weise vertritt und lebt. Der Bariton Äneas Humm, Jahrgang 1995, kommt aus einer schweizerisch-ungarischen Künstlerfamilie und hat die Entertainer-Qualitäten wohl aus den k.u.k.-Genen seiner magyarischen Vorfahren aufgesogen. Sein Liederabend mit Werken von Ludwig van Beethoven, Robert Schumann, Hugo Wolf und Amy Beach war ein Paradebeispiel für die gelungene Aktivierung eines typischen Klassik-Publikums.

Der Bariton Äneas Humm

Es begann schon mit der Vorstellung seiner Klavierbegleiterin Doriana Tchakarova aus Bulgarien, die er während der Pandemie als musikalische Youtube-Aktivistin kennenlernte, und mit der er seitdem ein erfolgreiches Duo etabliert hat. Diese biographische Anekdote schuf gleich eine gewisse Nähe.

Schon die Interpretation der vier Beethoven-Lieder – „Flohlied“, „Sehnsucht“, „Der Liebende“ und „An die Hoffnung“ begann mit einer kleinen Einführung, in der er die Bedeutung des meist nur wegen seiner Sinfonien, Sonaten und Streichquartette gerühmten Komponisten auch auf dem Liedsektor hervorhob, wo er immerhin mit etwa 100 Liedern vertreten ist. Humms präsente Stimme von metallischer Klarheit verlieh diesen Liedern die unverwechselbare Dringlichkeit, die sich auch bei lyrischen Texten niederschlägt. Schon hier ergänzte er die stimmliche Interpretation mit darstellerischer Körpersprache, Gestik und Mimik. Beim Lied „An die Hoffnung“ fiel dabei vor allem auf, wie stark Beethoven die musikalische Wirkung gegenüber der Satzstruktur der Texte betont. Ihm geht es nicht um eine flüssige, „natürliche“ Abbildung der Worte, sondern um den Ausdruck der Emotionen, und Äneas Humm betonte diesen Aspekt in seiner Interpretation konsequent.

Robert Schumanns Zyklus „Liederkreis“, op. 39, trug Humm mit vorangestellter Bitte um Applausfreiheit zwischen den einzelnen Stücken vor, da das für die Tonfindung besser sei. Auch hier gleich die offene Ansprache des Publikums bei einem nachvollziehbaren Punkt auf durchaus charmante Weise. Bei dem Vortrag merkte man ihm an, wie er förmlich in den Texten der einzelnen Liedern „lebt“ und deren Inhalte mit all seinen stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringt, jedoch, ohne dass es auch nur einen Augenblick lang übertrieben oder gar sentimental wirkte. Traumwandlerisch fand er den richtigen Pfad auf dem schmalen Grat zwischen technisch-distanziertem und emotional plakativem Ausdruck. Schumanns Texte weckten damit beim Publikum eine Ahnung vom zerrissenen Lebensgefühl der Romantik im Allgemein und des Komponisten im Speziellen. In diesem Zusammenhang ist auch das gute Zusammenspiel mit Doriana Tchakarova hervorzuheben, das sich trotz der freien Metrik der meisten Lieder in punktgenauen Einsätzen nach Pausen und Ritardandi niederschlug. Und Humm verlieh den einzelnen Stücken durch eine geradezu szenische Darstellung eine besonders intensive Wirkung, so das Verhaltene, Träumerische, Suchende in der „Mondnacht“. Mit seiner Interpretation des Schumann´schen „Liederkreises“ präsentierte er ein facettenreiches Kaleidoskop der Gefühle.

Die Pianistin Doriana Tchakarova

Nach der Pause ging es in diesem Stil mit Hugo Wolf weiter, dessen an Richard Wagner angelehnter Stil vor allem in Humms Gesang deutlich zum Ausdruck kam. Noch freiere Metrik und noch expressiverer Ausdruck als bei Schumann sind die wesentlichen Merkmale dieser spätromantischen Lieder, die Humm fast schon mit einer hintergründigen Ironie vortrug. Die einzelnen Worte und Texte gestaltete er geradezu mit wagnerianischer Freude aus – es fehlte nur die wallende Wehmut der Alliterationen. Und bei der „Stille des Waldes“ fühlte man sich fast an Wagners „Siegfried-Idyll“ erinnert.

Der letzte Programmpunkt war der amerikanischen Komponistin und Pianistin Amy Beach gewidmet, die noch unter der Frauenfeindlichkeit des Kunstbetriebes im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert litt und die Musik weitgehend autodidaktisch erlernte. Sie vertonte unter anderem Gedichte mehrere deutschsprachiger Autoren, darunter ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe („Nähe des Geliebten“), und Äneas Humm trug diese Lieder im hochemotionalen Stil der Spätromantik vor. Dabei zeigte er – neben seinen stimmlichen Fähigkeiten – sein darstellerisches Können, indem er in diese Lieder eine feine Ironie einspielte, die zwar das jeweilige Lied nie denunzierte, jedoch die Steigerung der Emotionen in eine geradezu jenseitige Welt mit dem zarten Wimpernschlag der Nachgeborenen kommentierte. Das Erfrischende dieser Interpretation liegt vor allem darin, dass ein Künstler nicht jedes Werk als für alle Zeit unantastbar verehrt, sondern durchaus auch seine Zeitgebundenheit zum Ausdruck bringt. Die Überheblichkeit der Nachgeborenen ist peinlich, doch die feine Ironie rückt die Stellung eines jeden Werkes zurecht und zeigt die besonderen Eigenarten einer Epoche und ihrer Künstler. Das gelang Äneas Humm an diesem Abend vortrefflich.

Das führte er auch noch einmal bei den beiden Zugaben vor, die bewusst ein wenig Kaffeehaus-Atmosphäre verbreiteten, jedoch ohne jegliche Qualitätsabstriche. Äneas Humm schafft das Kunststück, beim Publikum sowohl die Achtung vor seinem Können als auch gleichzeitig ein gewisses Schmunzeln zu wecken. Und Doriana Tchakarova war ihm dabei eine kongeniale Begleiterin.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar