Im 5. Sinfoniekonzert der laufenden Saison widmete sich das Orchester des Staatstheaters Darmstadt der musikalischen Landschaftsmalerei. Auf dem Programm standen das Cellokonzert in h-Moll von Antonin Dvořák sowie die 2. Sinfonie in D-Dur von Jean Sibelius. Dazu hatte man den französischen Cellisten Bruno Philippe als Solisten sowie die junge Litauerin Izabelė Jankauskaitė als Dirigentin gewinnen können.
Beide Komponisten sind bekannt für ihren fast schon programmatisch zu nennenden Musikstil. Bei Dvořák möchte man spontan den Smetana-Titel „Aus Böhmens Hain und Flur“ zitieren, und bei Sibelius drängen sich förmlich die Assoziationen an weite, unberührte Wald- und Seenlandschaften auf. Das mag zwar kitschig klingen, aber gerade die Komponisten der (Spät-)Romantik ließen sich gerne von landschaftlichen Eindrücken inspirieren, und nicht umsonst ziert Sibelius´ Bemerkung über die Musik als Ausdrucksmittel für mit Sprache nicht beschreibbare Empfindungen das Programmheft dieses Konzertes.
Schon der erste Satz des Cellokonzerts weckt mit dem langen, von warmen Holzbläsern geprägten Vorspiel Vorstellungen einer von der qualmenden und kreischenden Industrialisierung des späten 19. Jahrhunderts nicht betroffenen harmonischen Landschaft. Das Solo-Cello und die hellen Flöten verstärken diesen friedlichen Effekt noch. Liedhafte Sehnsucht durchzieht den gesamten, von den lebendigen Läufen des Cellos und einem auf Augenhöhe agierenden Orchester geprägten ersten Satz. Das Andante des zweiten Satzes beginnt wieder mit den Holzbläsern, und nach dem Einschub eines orchestralen Trauermarsches – für die gerade verstorbene Schwägerin des Komponisten – prägt das Cello zusammen mit den Flöten und Fagotten die elegische Grundstimmung dieses Satzes. Der Finalsatz beginnt marschartig, entwickelt dann deutliche Merkmale eine Volkstanzes und findet seinen Höhepunkt in einem virtuosen Solo des Cellos. Über alle drei Sätze zeigt das Orchester hohe Präsenz und übertönt das Solo-Instrument sogar an einigen Stellen. Doch Bruno Phillipe konnte sich immer wieder aus den akustischen Fesseln des Orchesters befreien und sowohl seine perfekte Technik als auch seine ausgesprochene Spielfreude zum Tragen bringen.
Nach der Pause ging es in den hohen Norden, wo die Einsamkeit der weiten, unberührten Natur lockt. Jean Sibelius schuf dieses Werk um die vorletzte Jahrhundertwende und versuchte wohl auch – vielleicht unbewusst -, eine vermeintlich heile Vergangenheit zu beschwören. Die vier Sätze zeigen sowohl metrisch als auch dynamisch kaum Unterschiede. Das „Allegretto“ des ersten Satzes ist kaum schneller als das „Andante“ des zweiten, und das „Vivacissimo“ des dritten Satzes geht unmerklich in das Finale über. Lange, zusammenhängende Themen samt Durchführung wie in der Klassik gibt es hier nicht, stattdessen wechselnde und wiederkehrende Motive aus wenigen Takten, die durch verschiedene Instrumente und Dynamiken laufen. Der momentane Einfall überwiegt die strenge, zielgerichtete Planung, die Wiedergabe mäandernder Empfindungen steht im Mittelpunkt. Der erste Satz lässt an Jagd und Waldleben denken, der zweite lebt von dramatischen Fanfaren, Trommelwirbeln und langen Fermaten, und eine durchgehende Metrik ist kaum zu erkennen. Der dritte Satz erinnert zu Beginn mit seinen flirrenden Streicherklängen entfernt an Mendelsohns „Sommernachtstraum“, dann wieder überwiegt die Spannung zwischen dramatischen, getragenen und sogar lyrischen Klängen. Am Ende dieser dreiviertelstündigen Aufführung hat man das Gefühl, etwas über Finnlands Weite gelernt zu haben.
Die junge Dirigentin entlockte dem Orchester ein facettenreiches Feld musikalischer Ausdrucksweisen und betätigte schließlich Sibelius´ bereits erwähnte Aussage, dass man bestimmte Dinge nur mit der Musik, nicht aber mit spröden Worten ausdrücken könne.
Frank Raudszus
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