Lucy Fricke: „Das Fest“

Print Friendly, PDF & Email

Lucy Fricke gelingt mit dem kleinen Roman „Das Fest“ eine heitere und dennoch etwas melancholische Erzählung über das Älterwerden und die Frage, ob auch in fortgeschrittenem Alter noch viel Neuanfang möglich ist.

Jakob wird 50, aber er will partout nicht feiern. Bloß keine Party, bloß keine Überraschungen, das hat er sich von seiner besten Freundin Ellen gewünscht, die schon seit ungefähr 30 Jahren sein Leben begleitet, ohne dass die beiden wirklich ein Paar sind. Bloß keine verbindliche, feste Beziehung, das ist der Grundsatz von Jakob.

Natürlich kommt Ellen an seinem Geburtstag zu ihm, Glückwunsch und Geschenk fallen sehr minimalistisch aus, aber man gönnt sich doch eine Flasche Champagner.

Jakob ist mitten in einer Midlife-Krise. Als Filmemacher war er lange sehr erfolgreich, die letzten Projekte aber waren Misserfolge. Jetzt nimmt er sich eine Auszeit, er will gar nichts mehr, nur noch seine Ruhe.

Damit kann Ellen sich nicht zufrieden geben, sie startet an seinem Geburtstag einen letzten Versuch, ihn aus seiner Lethargie aufzurütteln. Hinter den Kulissen hat sie eine alte Liebe, seinen früheren besten Freund, seine frühere Sozialpädagogin und eine Spielkameradin aus der Kindheit aufgetan, die ihm an diesem Tag an verschiedenen Stationen scheinbar zufällig begegnen. Ellen als Ich-Erzählerin zieht sich an der ersten Station zurück, sie wird uns erst am Ende wieder begegnen.

Jakob taucht ungewollt, dann aber zunehmend interessiert, in die verschiedenen Etappen seines Lebens ein. Da werden Missverständnisse geklärt, frühere Situationen noch einmal aufgerollt und neu verarbeitet, verdrängte Freundschaftsgefühle wieder zum Leben erweckt.

Mit dem Freund, der zunächst Partner, dann Konkurrent in der Filmbranche war, taucht er ein in die Zeit ihrer gemeinsamen Jugend, sie sitzen noch einmal auf dem Dach des Hauses seiner Kindheit und erinnern sich an ihr Lebensgefühl damals. Alles erschien ihnen möglich, die Welt lag ihnen zu Füßen, sie glaubten alles erreichen zu können, was sie sich wünschten. Beide sind schließlich ihre eigenen Wege gegangen, die durchaus erfolgreich verlaufen sind, wenn auch nicht alle Knabenblütenträume sich erfüllt haben.

Am anrührendsten ist die Begegnung mit der 20 Jahre älteren Sozialpädagogin Anne, die ihn als Jugendlichen aufgefangen hat. Nach dem frühen Tod seiner Mutter war er dem alkoholkranken Vater ausgeliefert und entsprechend ohne Perspektive. Anne konfrontiert den nun Fünfzigjährigen mit sich selbst als 15jährigen. Er erkennt, welche glückliche Wendung sein Leben durch den Einsatz dieser Frau genommen hat.

Die Erfahrungen dieses Tages reißen ihn tatsächlich aus der Lethargie. Es gibt Menschen, denen er wichtig war und die sein Leben geprägt haben. Das gibt den positiven Impuls, dass es auch mit 50 noch eine Zukunft gibt und noch viele Dinge möglich sind, auch in der Beziehung zu seiner besten Freundin Ellen. Man muss nur den Mut dazu haben.

Witzigerweise erlebt er den Tag nicht ohne Schrammen, er verletzt sich im Schwimmbad beim Sprung vom 5-Meter-Brett. An einer Dachluke klemmt er sich den Finger, und schließlich muss er auch noch ein paar Faustschläge ins Gesicht einstecken. Sie stehen für die Schrammen, die das Leben nun einmal hinterlässt, seelisch wie körperlich. Aber das macht nichts, den anderen geht es ähnlich, sie nehmen ihn auch verquollen und ziemlich derangiert in ihre Mitte.

Dieser kleine Roman ist mit seiner sparsam lakonischen Sprache vergnüglich zu lesen. Die Ich-Erzählerin überlässt in den vier Begegnungskapiteln das Erzählen einer beobachtenden Erzählerin, die uns in Dialogszenen Einblick in die Aufarbeitung der jeweiligen Vergangenheit gibt. Für die Leserinnen und Leser entsteht so ein authentisches Bild der ganz unterschiedlichen Beziehungsepisoden in Jakobs Leben.

Insgesamt ist der Roman eine Ermutigung für alle, die mit ihrem 50. Geburtstag hadern. Es ist keineswegs ein Ende von allem, keineswegs nur noch ein Abwickeln des letzten Lebensdrittels, vielmehr gibt es den optimistischen Ausblick auf viele Neuanfänge. Es scheint, dass die Autorin, die 2024 ihren 50. Geburtstag feierte, auch sich selbst diese neue Perspektive eröffnet.

Die viel ältere Leserin kann das bestätigen. Es kommt noch sehr viel, man muss es nur zulassen und offen sein für Neues.

Ich habe das Buch mit viel Vergnügen gelesen.

Lucy Fricke: Das Fest. Claassen Verlag, 140 Seiten, 20 Euro.

Elke Trost

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar